Pilze bilden ein verzweigtes Netzwerk im Untergrund. Dieses sogenannte Pilzmyzel ist im Zusammenspiel mit speziellen Nährböden ein Rohstoff mit Zukunft – als Baumaterial, Verpackung oder Leder-Alternative.
Die größten Lebewesen der Erde müssen essen, aber haben keinen Magen. Sie haben keine eigenen Blätter oder Wurzeln, und trotzdem erobern sie ganze Wälder. Unsichtbar und lautlos weben sie gigantische Netzwerke im Boden. Pilze und Pflanzen leben in symbiotischer Gemeinschaft. Ein solches Mykorrhiza-Netzwerk nützt Baum wie Pilz gleichermaßen.
Pilze gehören zur Gruppe der Destruenten und sind zusammen mit Bakterien und anderen Bodenlebewesen ein essenzieller Teil der Stoffkreisläufe. Sie zersetzen organisches Material wie Holz, tote Tiere und Blätter. Außerdem spielen Pilze eine Rolle bei der Herstellung von Bier und Brot (Hefe), der Entdeckung von Penicillin (Schimmelpilz) und der Herstellung eines Hepatitis-B-Impfstoffs (Hefe).
Das verborgene Reich unter der Erde
Pilze sind weder Pflanzen noch Tiere, sondern bilden ihr ganz eigenes Reich. Rund 120.000 Arten sind bisher bekannt, eine Studie schätzt, dass es weltweit mehrere Millionen Pilzarten gibt. Pilze gibt es in allen Formen, Farben und Größen, von mikroskopisch kleinen Hefezellen über Schimmelpilzen bis hin zum Dunklen Hallimasch in Oregon. Ausgebreitet auf mehr als 880 Hektar Waldboden gilt der Hallimasch von Oregon als das größte bekannte Lebewesen, entdeckt vor ziemlich genau 25 Jahren.
Manche Pilze können töten, andere heilen oder das Bewusstsein verändern. Speisepilze wie der Champignon machen nur einen Bruchteil davon aus. Was wir im Wald als Pilz erkennen, ist nur der sichtbare Fruchtkörper. Der eigentliche Organismus liegt verborgen unter der Erde. Es ist ein feines, verzweigtes Netz aus Pilzfäden. Dieses Myzel ist das Herzstück des Pilzes.
Pilzmyzel als nachwachsender Rohstoff
Genau dieses Pilzmyzel ist ein Hoffnungsträger, wenn es um nachhaltige Rohstoffe geht. Um den Pilz als Rohstoff zu nutzen, muss man ihn kultivieren. Dazu gibt man den Pilz in ein Gefäß mit Nährboden, zum Beispiel Sägespänen. Und dann macht der Pilz, was er am besten kann: zersetzen. Die Pilzfäden durchdringen den Nährboden, das Pilzmyzel wächst und bildet ein stabiles, dreidimensionales Gerüst.
Je nach Nährboden und Pilzart entstehen Materialien mit anderen Eigenschaften. Manche sind dehnbar und reißfest, eine gute Lederalternative oder Verpackungsmaterial. Andere sind ultraleicht und erstaunlich stabil, ein gutes Baumaterial. Wieder andere sind essbar und haben eine fleischartige Konsistenz. Es klingt wie eine Schatzkiste im Boden, die nur darauf wartet, ausgegraben zu werden.
Die Rohstoffproduktion im Labor
Das Potenzial von Biomaterialien aus Pilzmyzel erforscht Hannes Hinneburg am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP in Potsdam. In seinem Labor wachsen Pilzmyzele in rechteckigen Kisten. Wenn der Pilz das Substrat vollständig durchzogen hat, zieht Hinneburg die obere Schicht ab. In den Händen hält er einen Lappen, der an Leder erinnert. Der restliche Block eignet sich als Dämmmaterial. Im besten Fall kann man so den gesamten Pilz verwerten, sagt der Forscher.
In seinem Labor wachsen Pilzmyzele in rechteckigen Kisten. Auf einem Substrat aus Sägespänen kann man den Pilz seiner Wahl wachsen lassen. “Das macht man meistens in Form von bewachsenen Weizenkörnern, wo der Pilz schon drauf ist, die kann man schön leicht verteilen”, erklärt Hinneburg.
Noch sind die im Labormaßstab hergestellten Materialien teuer. Erst eine Massenproduktion könnte die Kosten senken. Dazu bräuchte es einen größeren Absatzmarkt. Zum Beispiel in der Baubranche haben es neue Materialien schwer. Das Pilzmaterial sei zwar nachhaltig, aber weder in der Performance noch im Preis überlegen, so Hinneburg.
Es braucht mehr Forschung
Deshalb tüfteln Hinneburg und seine Kollegen weiter. Ein Ziel ist es, das Pilzmyzel wasserfest zu machen, damit es sich bei Regen nicht auflöst. Und auch die Zugfestigkeit soll besser werden. Dazu soll bald ein Projekt starten, bei dem Hinneburg mit Gentechnikern zusammenarbeitet. Die Pilzeigenschaften sollen durch Gentechnik optimiert werden. Wenn alles klappt, könnte das Pilzmaterial irgendwann Teil einer echten Kreislaufwirtschaft werden.