Um die Zolleinigung zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten schwebt ein dichter Nebel offener Fragen und Rätsel. Eines der merkwürdigsten Rätsel ist sprachlicher Natur, hat aber wichtige wirtschaftliche Folgen. Die Europäische Kommission beansprucht, dass mit der Einigung ein Deckel, also eine Obergrenze für amerikanische Einfuhrzölle, auf europäische Waren von 15 Prozent erreicht worden sei. Ökonomen hingegen beschreiben den Zoll von 15 Prozent als Boden oder Basiszollsatz. Deckel oder Boden? Beide Seiten haben recht.
Ein Deckel ist der Zollsatz von 15 Prozent insoweit, als der amerikanische Präsident Donald Trump zugesichert hat, dass die Warenzölle diese Marke nicht überschreiten. Das ist die europäische Darstellung, und es ist – verglichen mit den Abkommen anderer Länder mit Trump – ein Erfolg für die EU. 15 Prozent sind 15 Prozent, schon vorhandene Zollsätze werden nicht zusätzlich addiert. Der Zollsatz von 15 Prozent sei „all inclusive“, betont die Kommission. In diesem Sinne lässt die politische Einigung sich zu Recht als ein Deckel beschreiben.
Nur ein Teil der Wahrheit
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn in dem Dekret, mit dem Trump Ende Juli die pauschalen Zollsätze für mehr als 90 Länder und Regionen fixierte, gibt es speziell und nur für die Europäische Union eine wichtige Unterscheidung. Demnach werden Waren, die zuvor mit einem Zollsatz von weniger als 15 Prozent verzollt wurden, seit Donnerstag mit 15 Prozent verzollt. Waren, die zuvor mit mehr als 15 Prozent verzollt wurden, werden aber auch weiterhin mit dem höheren Satz verzollt. Insoweit fixiert die Einigung auf 15 Prozent einen Boden oder eine Art Mindestzoll.
Mit mehr als 15 Prozent verzollt werden zum Beispiel weiterhin Stahl-, Aluminium- und Kupferprodukte, die Trump mit Sonderzöllen von 50 Prozent belegt hat. Auch hat Trump den Sonderzoll auf Autos, der sich mit dem traditionellen Zoll auf 27,5 Prozent addiert, entgegen der politischen Einigung noch nicht auf 15 Prozent gesenkt.
Der Zoll auf Tabak: 350 Prozent
Darüber hinaus aber verzollen die Vereinigten Staaten schon seit vielen Jahren und schon lange vor Trumps Sonderzöllen eine lange Liste von Waren mit mehr als 15 Prozent. Einen Zoll von 350 Prozent legt Amerika etwa auf Tabakprodukte – weniger aus Sorge um die Volksgesundheit, sondern mehr als Schutz für die Tabakplantagen in Virginia. Mit 131,8 Prozent verzollt Amerika die Einfuhr von Erdnussbutter.
Malzbier, elektrothermische Öfen, Skier, Trockenmaschinen für Garne und Textilien, Bilderrahmen aus Metall, Rollerskates oder Tennis- und Badmintonschläger sind mit einem Zoll von 50 Prozent belastet. Keramikgeschirr für gewerbliche Nutzung, eine Vielzahl Kleidungsstücke aus Kunststoff oder Schuhe unterliegen Zöllen von 26 bis 48 Prozent. Bettwäsche aus Leinen wird mit 20,9 Prozent verzollt, Eiscreme, Baumwollhemden und -blusen mit 20 Prozent, Handschuhe aus Kunststoff mit 18,8 Prozent, bestimmte Handtaschen mit 17,6 Prozent. All diese Zölle von mehr als 15 Prozent bleiben auch nach der politischen Einigung mit der EU bestehen.
Tausende Zölle steigen
Diese Zölle treffen viele einzelne Hersteller in der Europäischen Union, sie sind aber für die Gesamtheit des Handels vergleichsweise unbedeutend. Im vergangenen Jahr wurden rund 1024 Produkttypen bei der Einfuhr in die USA mit Zöllen von 15 Prozent oder mehr belastet, hat der Ökonom Simon Evenett von der schweizerischen Denkfabrik Global Trade Alert ermittelt. „Das hört sich nach viel an, doch die EU exportiert mehr als 15.000 Produkttypen in die Vereinigten Staaten“, sagt Evenett. Dem Wert nach trafen die Zölle von mehr als 15 Prozent Waren für etwa 4,7 Milliarden Dollar. Dem steht entgegen, dass die Europäer im Jahr Waren im Wert von rund 600 Milliarden Dollar nach Amerika ausführen.
Aus Sicht europäischer Exporteure ist wichtiger, dass der neue Zollboden von 15 Prozent für viele Tausende Produkte eine Zollerhöhung bedeutet, von denen zuvor viele gar nicht zollbelastet waren. Vom Wert her trifft das aus europäischer Sicht vor allem Autos, die Amerika zuvor mit nur 2,5 Prozent belastete – und in Zukunft auch pharmazeutische Produkte, sollten die Vereinigten Staaten diese wie von Trump angedroht mit Sonderzöllen belegen.
Dann wird der Zollboden nach europäischem Verständnis wieder zum Zolldeckel, weil dann die 15 Prozent als Obergrenze stehen. Ob Trump sich daran halten wird, ist eine andere Frage. Bis dahin indes bleibt der Medikamentenimport in die USA weiter zollfrei.