Deutschland ist digitales Mittelmaß | FAZ

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Deutschland kommt beim digitalen Fortschritt in Europa nicht über das Mittelfeld hinaus. Das zeigt der bisher unveröffentlichte Bitkom Digital Economy & Society Index (DESI) 2025, der die digitale Leistungsfähigkeit aller EU-Mitgliedstaaten vergleicht. Besonders alarmierend: In der Kategorie „Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung“ rutscht Deutschland auf Platz 21 ab. Während andere Länder bei der Digitalisierung Tempo machen, droht Deutschland, den Anschluss zu verlieren – trotz punktueller Fortschritte etwa beim Netzausbau.

Im Gesamtranking des Bitkom-Index 2025 belegt Deutschland Rang 14 unter den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Damit verharrt die größte Volkswirtschaft Europas seit Jahren im digitalen Mittelfeld. Zuletzt hatte Deutschland Platz 13 belegt. Der DESI-Index wurde von der EU-Kommission von 2014 bis einschließlich 2022 jährlich veröffentlicht. Seit 2023 ist der Index in den Bericht über den Stand der digitalen Dekade („State of the Digital Decade“) integriert und wird nicht mehr als eigenständiger Index veröffentlicht. Das hat nun der Branchenverband Bitkom übernommen und sich bei der Erstellung des Index eng an den Parametern der EU-Kommission orientiert.

„Wir kommen aus dem Mittelfeld einfach nicht heraus. Das liegt auch daran, dass andere Länder sehr viel mehr Gas geben als wir“, kritisiert Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Die vergangene Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP habe das selbst gesteckte Ziel einer führenden Rolle bei der Digitalisierung „klar verfehlt“. Sie hatte noch gehofft, unter die ersten zehn Nationen zu kommen.

Der Staat fragt nach Informationen, die er längst hat

Besonders deutlich wird der Rückstand im Bereich der digitalen Verwaltung. „Der 21. Platz in der Kategorie e-Government ist natürlich so ziemlich das Schlimmste, was uns passieren kann. Und das bei dem Anspruch, den wir an unser Land stellen“, sagt Wintergerst. Tatsächlich hat Deutschland in diesem Bereich sogar eine Rückwärtsrolle gemacht. Während Staaten wie Estland, Dänemark und Finnland längst umfassende digitale Verwaltungsdienste anbieten, ist der Onlinezugang zu staatlichen Leistungen hierzulande oft noch Stückwerk.

Noch immer sind etliche Verwaltungsdienstleistungen nicht überall digitalisiert, etwa wenn es um die Anmeldung eines neuen Kfz oder einer neuen Adresse geht. Umständlich sind auch Steuersachen: Nach wie vor fragt der Staat seine Bürger nach Informationen, die er längst hat – zum Beispiel bei der Neuberechnung der Grundsteuer. Umgekehrt nennt Wintergerst die Bundesagentur für Arbeit unter der Führung der ehemaligen SPD-Politikerin Andrea Nahles als Positivbeispiel. Dort sei die Digitalisierung schon sehr weit vorangeschritten.

Dabei ist das Problem nicht mangelndes Wissen um die Defizite. „Das digitale Deutschland ist perfekt vermessen, die Probleme liegen offen zutage“, sagt Wintergerst. Doch die föderale Struktur mit verschiedenen Zuständigkeiten auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene erweise sich als Hürde auf dem Weg, „kongruent zu digitalisieren“. Die einzelnen Ebenen müssten „stärker kooperieren“, fordert der Bitkom-Präsident – und will das auch als Ansage an das politische System verstanden wissen.

Große Fortschritte im 5G- und Glasfaserausbau

Beim Netzausbau steht Deutschland besser da. Im Bereich „Network Quality“ belegt das Land Platz 9 im europäischen Vergleich. Mehr als 99 Prozent der Haushalte haben 5G. Und inzwischen kann jeder zweite Haushalt auf Glasfaser zugreifen. Bis 2030 soll der Ausbau abgeschlossen sein, schätzt Wintergerst, sagt aber auch: „Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe.“ Die Nutzung in der Bevölkerung sei noch nicht da, wo sie sein sollte. Zu viele Menschen setzten immer noch auf eine veraltete Technologie. „Das Kupfernetz funktioniert auch bestens, das reicht vielen aus.“ Im Ranking zur Netznutzung („Network Usage“) fällt Deutschland deshalb auf Platz 19 zurück.

Ähnlich mittelmäßig sind die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung. Im Bereich „Digital Skills“ belegt Deutschland lediglich Platz 15. „Wir sind zu einem Land der Technologieskeptiker geworden“, findet der Digitalunternehmer. „In dem Land der Dichter, Denker und Ingenieure brechen die Ingenieure immer mehr weg.“ Deshalb sei der Respekt vor KI hierzulande so groß. Andere Länder gingen damit pragmatischer um.

Unternehmen digitalisieren schneller als der Staat

Die Wirtschaft schneidet im internationalen Vergleich besser ab: In der Kategorie „Digital Transformation of Businesses“ erreicht Deutschland immerhin Platz 8. Viele Unternehmen treiben die Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle und Prozesse voran – oft schneller als der öffentliche Sektor. Doch auch hier droht der Fachkräftemangel zum Flaschenhals zu werden.

Angesichts dieser Bilanz richtet sich der Blick auf die neue CDU-geführte Bundesregierung und ihre Digitalpolitik. Die Einrichtung eines eigenständigen Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung wird vom Bitkom grundsätzlich begrüßt, ebenso wie die neue Struktur, wie sie nach dem Organisationserlass des Bundeskanzleramtes gestaltet ist. „Dabei hat man sich offenbar etwas gedacht“, sagt Wintergerst. Doch er fordert mehr als nur eine neue Behörde: „Es wäre sinnvoll, wenn die Bundesregierung eine Digitalstrategie auflegen würde. Dann könnte man sie daran auch messen.“