So teuer wohnt Deutschland | FAZ

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Die Wohnungsinserate könnten unterschiedlicher kaum sein. Da ist der Aufruf einer jungen Familie auf der Plattform Kleinanzeigen, die dringend in München nach einer Drei-Zimmer-Wohnung sucht. Der Vater ist selbständig, die Mutter arbeitet an einer Schule, der Sohn ist sieben Jahre alt. 1000 Euro bieten sie als Belohnung für eine erfolgreiche Vermittlung. Geld geschenkt gibt es auch bei einer anderen Anzeige. Allerdings nicht vom Suchenden, sondern vom Vermieter. Die erste Kaltmiete sei gratis, so das Versprechen für die Dreizimmerwohnung in Marl, 40 Kilometer von Dortmund entfernt, die Miete liegt bei knapp 440 Euro.

Deutschland steckt in einer Wohnungskrise, das ist bekannt. Umso mehr überrascht es, wenn sich zwischen die teuren und begehrten Mietangebote Anzeigen wie diese mischen. Oder wenn eine Analyse veröffentlicht wird wie jene des Statistischen Bundesamts kürzlich, in der es heißt: Der Durchschnittsdeutsche wohnt auf 94,4 Quadratmetern und zahlt 7,28 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter, also nicht mal 700 Euro. Auf Social Media macht sich seither Verwunderung breit. Wer wohnt denn bitte so günstig, fragen die Nutzer. Können diese Zahlen stimmen? Gibt es etwa gar keine Wohnungskrise?

Doch. Nur ist der deutsche Wohnungsmarkt viel fragmentierter, als er auf den ersten Blick scheint und es so manche Schlagzeile vermuten lässt. Es lohnt sich also, genauer zu analysieren, wie teuer die Deutschen tatsächlich wohnen. Um bei den Zahlen zum Durchschnittsdeutschen zu bleiben: Diese stammen aus dem Zensus, der die Teilnehmer unter anderem zu ihrer Wohnsituation fragt. Zuletzt hat dieser im Jahr 2022 stattgefunden, die Zahlen sind also nicht mehr ganz aktuell.

Viel wichtiger aber ist: Der Zensus umfasst auch Bestandsmieter – und gerade Mieter mit alten Verträgen leben häufig vergleichsweise günstig. Auch das zeigt sich in den Reaktionen im Internet. Ein Nutzer schreibt, er wohne auf 100 Qua­dratmetern und zahle 550 Euro Kaltmiete. Er ist nicht der einzige. Im Zensus waren 80 Prozent der Wohnungen für bis zu 750 Euro Kaltmiete vermietet. Mittlerweile dürften weniger Wohnungen unter diese Schwelle fallen – doch die Menschen, die seither nicht umgezogen sind, dürften sich immer noch über relativ niedrige Mieten freuen.

Womit das wahre Problem auf dem Immobilienmarkt sichtbar wird: die hohen Neuvertragsmieten. Nur in den strukturschwachen Dörfern ist der Quadratmeterpreis niedrig, teils bei fünf Euro. Das zeigt eine Auswertung des Immobiliendienstleisters JLL für die F.A.S. Dort gibt es aber wenig Jobchancen, manche Wohnungen stehen ganz leer. Ansonsten sind die Neuvertragsmieten in den vergangenen Jahren deutschlandweit enorm gestiegen.

Besonders die Metropolen haben eine eigene Dynamik entwickelt und sich vom restlichen Markt abgekoppelt. Wer dort heute einen Mietvertrag abschließt, zahlt 62 Prozent mehr als im Jahr 2017. Damals waren es noch 9,30 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter, mittlerweile sind es knapp 15 Euro. Gemessen wurde der Median, also der Wert in der Mitte. Die Auswertung fokussiert sich auf Angebotsmieten, also etwa die Miete für jene Wohnungen, die auf Immobilienportalen inseriert werden. Spitzenreiter ist dabei München mit etwa 23 Euro, hochgerechnet auf eine Wohnung mit 70 Quadratmetern sind das 1600 Euro Kaltmiete.

In den vergangenen Jahren sind immer mehr Menschen nach Berlin, Frankfurt und Co. gezogen. Zusätzlich hat eine weitere Entwicklung im Jahr 2022 die Entkoppelung der Metropolen verstärkt: „Durch die gestiegenen Zinsen konnten sich viel weniger Menschen eine Eigentumswohnung leisten“, sagt Sören Gröbel von JLL.

In den Städten, wo die Immobilienpreise ohnehin schon hoch waren, habe das dazu geführt, dass manche Menschen ihren Eigentumstraum verschieben oder ganz aufgeben mussten und Mieter blieben – und je mehr Menschen nach Mietwohnungen suchen, umso teurer wird es. Problematisch sind die hohen Neuvertragsmieten aus mehreren Gründen. So führen sie dazu, dass junge Familien in viel zu kleinen Wohnungen verharren, so mancher Alleinstehende wiederum in einer zu großen Wohnung lebt.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Wer trotzdem umzieht, zahlt teils sogar die Hälfte des Einkommens an Miete, für die Altersvorsorge bleibt nichts übrig. Oder man entscheidet sich für ein Leben in einer ländlicheren Region, wo die Mieten niedrig, dafür aber die Jobaussichten teils schlechter sind. Damit gehen in den Städten, die Innovationszentren sind, wichtige Fachkräfte verloren. Die hohen Mieten sind also längst nicht mehr nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein wirtschaftliches Problem.

Hinzu kommt, dass es außerhalb der Stadt zwar günstiger ist, von Mietsteigerungen sind die Gegenden aber nicht verschont geblieben. Neben den Metropolen hätten viele günstige Regionen besonders aufgeholt, sagt Gröbel. So sind die Mieten in ländlich-dörflichen Regionen seit 2017 um 50 Prozent ge­stiegen.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer aber gibt es: Der Mietanstieg hat sich in den vergangenen zwölf Monaten zumindest an vielen Orten abgeschwächt, auch in den Metropolen: Zwar wird es immer noch teurer, aber nicht mehr so stark. Manche Gegenden stoßen an eine Grenze, was die Erschwinglichkeit betrifft, sagt Gröbel. Die Menschen können und wollen sich nicht mehr leisten. Das dürfte auch so mancher Vermieter einsehen.