Trump feuert Statistikerin: Wenn auf amtliche Daten kein Verlass mehr ist

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Als Donald Trump im Jahr 2017 erstmals Präsident der Vereinigten Staaten wurde, war Al Roth in großer Sorge. Der Wirtschaftsnobelpreisträger war gerade zum Präsidenten der „American Economic Association“ gewählt worden, der wichtigsten Ökonomenvereinigung des Landes. Was passiert, fragten sich die Ökonomen nun, „when the government goes dark“ – wenn auf die Informationen, die die Regierung veröffentlicht, kein Verlass mehr ist oder sie gar keine mehr herausgibt?

Roth setzte einen Ausschuss aus Personen ein, die auch in diesem Fall noch Zugang zu verlässlichen Daten haben würden. Dazu zählte unter anderem der Chefökonom von Google. Der Suchmaschinenkonzern weiß so viel über die Menschen im Land wie kaum ein anderes privates Unternehmen. „Es gibt keinen wirklichen Ersatz für zuverlässige, standardisierte und über einen langen Zeitraum hinweg erhobene staatliche Statistiken“, sagt Roth heute. „Aber es gibt Statistiken, die mit diesen korrelieren.“ Wenn der Staat etwa nicht mehr in der Lage sei, Veränderungen der Arbeitslosigkeit zuverlässig zu melden, könne es hilfreich sein, die Häufigkeit der Google-Suchanfragen nach dem nächstgelegenen Arbeitsamt zu betrachten.

Trump bevorzugt Loyalisten

Was Al Roth vor acht Jahren befürchtete, scheint heute in den Vereinigten Staaten immer mehr der Wirklichkeit zu entsprechen. Am vergangenen Wochenende revidierte das Bureau of Labor Statistics (BLS), eine amerikanische Bundesbehörde, die Arbeitsmarktzahlen aus den Vormonaten nach unten. In den USA waren also weniger neue Jobs entstanden als zuvor gedacht. Ungewöhnlich war dieser Vorgang eigentlich nicht. Die Behörde veröffentlicht immer erst vorläufige Zahlen und korrigiert sie später. Für Donald Trump war es trotzdem ein Affront: Er feuerte die BLS-Chefin Erika McEntarfer und warf ihr vor, die Arbeitsmarktdaten zu seinen Ungunsten zu manipulieren. Ersetzen wird er sie wohl mit einem Loyalisten.

Das kannte man bisher nur aus weniger demokratischen Ländern. In Amerika folgte dem Rauswurf ein Aufschrei insbesondere unter Wissenschaftlern. Der Ökonomenverband, sonst um politische Neutralität bemüht, verurteilte die Aktion als Eingriff in die Unabhängigkeit der statistischen Datenerhebung.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Amtliche Statistik, das mag langweilig klingen. Erst recht im Vergleich zum „Zoll-Hammer“, zur Ankündigung von Deportationen, zum Rückbau des Klimaschutzes und manch anderem, was Donald Trump sonst noch so in einer durchschnittlichen Woche anstellt. Aber für das Funktionieren einer Volkswirtschaft ist die amtliche Statistik essenziell. Die Zahlen des BLS können Börsenkurse bewegen. Sie beeinflussen, ob die Zentralbank die Zinsen senkt oder erhöht, und es kann üble Folgen haben, wenn sie dabei um einen Viertelprozentpunkt daneben liegt. Unternehmen richten Lohnerhöhungen, Einkaufs- und Investitionsentscheidungen an den Daten aus. Ob die Wirtschaft gut läuft oder nicht, kann auch Präsidenten ihren Job kosten. Der monatliche Arbeitsmarktbericht, an dem Trump sich nun störte, gilt als wertvoller Frühindikator für Auf- und Abschwünge. „Andere Länder sind neidisch auf die Qualität dieser Daten“, sagt der deutsche Arbeitsmarktökonom Enzo Weber. Auch das sei ein Grund, warum Ökonomen in der ganzen Welt lieber an amerikanischen Daten forschen als an denen ihrer Heimatländer. Wäre auf diese Daten kein Verlass mehr, würde aus den USA eine Volkswirtschaft im Blindflug.

Trump feuerte BLS-Chefin Erika McEntarfer.
Trump feuerte BLS-Chefin Erika McEntarfer.Reuters

Schon vor McEntarfers Rauswurf hatte die Qualität der Daten gelitten. Die Antwortrate der Umfragen, die das BLS für seine Datenerhebung durchführt, fällt seit Jahren. Erheblichen Schaden richtete nach Trumps Amtseinführung dessen inzwischen in Ungnade gefallener Gehilfe Elon Musk an. Seit dessen radikalem Kürzungsprogramm für Staatsausgaben gilt für die Behörde ein Einstellungsstopp. Viele erfahrene Mitarbeiter nahmen ein Abfindungsangebot an. Das Budget wurde gekürzt.

In Russland wurden immer weniger Daten veröffentlicht

Die Auswirkungen zeigen sich schon jetzt in den Inflationszahlen, für deren Erhebung das BLS ebenfalls zuständig ist. Wo keine aktuellen Preise für ein Produkt in einer Region erhoben werden können, schätzt die Behörde den Wert anhand der Preise ähnlicher Produkte. Gibt es auch diese nicht, nimmt sie Preise aus benachbarten Regionen. Das geschah bis Februar relativ konstant in nur etwa zehn Prozent der Schätzungen. Im Juni lag dieser Wert bei 35 Prozent.

Die Unsicherheit in den Daten war also ohnehin schon gewachsen. Jetzt kommt womöglich noch eine systematische Verzerrung hinzu, falls ein Trump gewogener Amtschef die Datenerhebung in seinem Sinne beeinflusst. Die nächsten Arbeitsmarktberichte dürften entsprechend genau beobachtet werden.

In Ländern mit weniger starken Institutionen ist die Politisierung öffentlicher Statistiken gang und gäbe. In Argentinien wurden über Jahre Inflationszahlen veröffentlicht, die nicht stimmten – bis ein argentinischer Ökonom von den USA aus selbst Zahlen bei einer großen Supermarktkette sammelte und auf einen dreimal höheren Wert kam. In Griechenland wurden in den Nullerjahren Zahlen systematisch manipuliert, was erst im Zuge der Eurokrise aufflog.

Noch gravierender ist die Situation in autokratischen Ländern. In Russland seien die Statistiken bis zum Beginn des Kriegs in der Ukraine noch relativ verlässlich gewesen, sagt der russische Ökonom Oleg Itskhoki, der an der Harvard-Universität forscht. Mit der Zeit seien aber viele Daten einfach gar nicht mehr veröffentlicht worden. Das, sagt Itskhoki, sei üblicher, als Daten direkt zu manipulieren. Anfangs habe man die russischen Daten noch recht leicht auf dem Schwarzmarkt kaufen können, das aber sei seit 2022 schwieriger geworden.

Investoren setzen auf eigene Daten

Das wohl bedeutendste Beispiel für Statistiken, die mit Vorsicht zu genießen sind, liefert die Volksrepublik China. Wachstumszahlen, Arbeitslosenzahlen, Inflationszahlen – sie sagen ebenso viel darüber aus, was politisch erwünscht ist, wie über den tatsächlichen Zustand der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.

Dass die amerikanischen Statistiken ähnlich unzuverlässig werden wie die chinesischen, ist unwahrscheinlich. Doch die Volksrepublik zeigt eindrucksvoll, wie Unternehmen und Wissenschaftler reagieren, wenn auf amtliche Daten kein Verlass mehr ist.

Eine Folge davon ist, dass Investoren und Ökonomen viel stärker auf eigene und unabhängige Daten setzen, sagt Han Lin. Der US-Amerikaner war einst für die Großbank Wells Fargo tätig und ist heute China-Chef der Denkfabrik Asia Group sowie Finanzprofessor in Shanghai. Er zählt Beispiele auf: Um das chinesische Wirtschaftswachstum zu schätzen, nutzen Unternehmen etwa Satellitendaten, die zeigen, wie stark Städte und Gewerbegebiete nachts beleuchtet sind. Oder sie schauen, wie voll U-Bahnen sind. Spätestens seit China zeitweise aufhörte, Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit zu veröffentlichen, und danach plötzlich niedrigere Werte als zuvor auswies, greifen Unternehmen auch verstärkt auf die Daten von Job-Plattformen zurück. „Die Arbeitsmarktdaten sind nie verlässlich, allein schon, weil sie sich nur auf Chinas Stadtbevölkerung beziehen“, sagt Dan Wang, China-Direktorin der Denkfabrik Eurasia.

Aber auch das Sammeln der Daten selbst wird schwieriger, wenn die Statistik politisch wird. So führt etwa die Zen­tralbank in Peking eine regelmäßige Umfrage unter Geschäftsbanken durch, in der sie deren Blick auf das Wachstum abfragt. Statt diese Fragen ehrlich zu beantworten, versuchen die Banken, nicht in die Schusslinie zu geraten und möglichst konstante Antworten zu geben, sagt einer, der den Vorgang gut kennt. Auf einer Skala von 0 bis 10 gäben die Banken stets Werte von 6 bis 7 an. Die Umfrage verliert dadurch ihre Bedeutung, die Regierung ist selbst stärker im Blindflug.

Die Zahlen liegen nah an den politischen Wünschen

Solche Beispiele gibt es in China zuhauf. Ein Unternehmensgründer berichtete der F.A.S., die Lokalregierung habe ihn gebeten, einen zehnmal höheren Umsatz anzugeben. So zieht es sich durch die gesamte Datensammlung über jede Regierungsebene bis zur Zentralregierung. Die Provinzen liegen allesamt Jahr für Jahr sehr nah an den politisch erwünschten Wachstumswerten. Die Zen­tralregierung weiß, dass die Parteikader keine schlechten Werte angeben, um ihre Karriere nicht zu gefährden, und bezieht das in ihre Rechnung ein.

Das Ergebnis ist, dass niemand mehr so recht weiß, wie es der Volkswirtschaft eigentlich geht. Die Zentralregierung könnte deshalb die Notwendigkeit von Konjunkturmaßnahmen unterschätzen, befürchten Beobachter seit Langem. Die sinkenden Steuereinnahmen zeichnen das Bild einer deutlich angeschlagenen Volkswirtschaft. Im ersten Halbjahr sanken die Steuereinnahmen um 1,2 Prozent. „Steuereinnahmen sind häufig genauer, weil die Daten automatisch gesammelt werden und nicht geschätzt werden“, sagt Dan Wang. Unter den Chinesen wähnt sich ohnehin kaum jemand in einer boomenden Volkswirtschaft.

In Deutschland experimentiert das Statistische Bundesamt seit einiger Zeit mit neuartigen Datenquellen, um die amtliche Statistik zu verbessern und Frühindikatoren für wirtschaftliche Entwicklungen zu finden, die schneller vorliegen als Registerdaten. So können etwa Mobilfunkdaten etwas über das Pendelverhalten der Menschen aussagen. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt lässt sich anhand von Daten des Karrierenetzwerks Linkedin nachvollziehen. Aber nichts davon könne die amtliche Statistik ersetzen, warnt Daniel Vorgrimler, der im Statistischen Bundesamt die Abteilung für Forschung und Entwicklung leitet: „Wenn Sie eine Glaskugel putzen, bleibt es trotzdem eine Glaskugel. Sie bekommen auch ganz viele Informationen nicht. Sie wissen zum Beispiel dann nicht, ob mehr Frauen oder mehr Männer arbeitslos sind.“ Auch könne man nie ausschließen, dass die Korrelation zwischen der beobachteten und der geschätzten Variable irgendwann zusammenbreche.

Abbruch der Korrelation als Warnsignal

Solch ein plötzlicher Abbruch der Korrelation könnte allerdings gerade ein Warnsignal sein, sagt der russische Harvard-Ökonom Oleg Itskhoki. Solange die Regierung Zahlen veröffentliche, könne man sie mit den alternativen Indikatoren vergleichen. „Korrelationen brechen oft in Krisen zusammen. Wenn das in normalen Zeiten passiert, zeigt das, dass etwas Komisches passiert ist.“

Wächst eine Volkswirtschaft langsamer, in der niemand weiß, wie es um sie steht? Ganz genau messen könne man das nur schwer, sagen Ökonomen. Aber drei Dinge seien gut belegt. Erstens: Unsicherheit ist schlecht fürs Wachstum; und wenn Zahlen politisiert werden, nimmt die Unsicherheit zu. Zweitens: Wichtig für den Erfolg einer Wirtschaft ist die Qualität ihrer Institutionen. Und drittens: „Ein Rauswurf ändert nicht viel.“ So sagt es Oleg Itskhoki. „Aber er sendet ein Signal: Loyalität wird mehr geschätzt als Expertise.“ Auf Dauer ändere sich die Art der Menschen, die für die Regierung arbeiten wollen. „Ein paar Runden davon, und wir bekommen Leute mit einer bestimmten Geisteshaltung.“ Und die Expertise nimmt ab.

Spannend ist vor diesem Hintergrund vor allem, wen Donald Trump für den Posten an der Spitze der Notenbank Federal Reserve nominiert. Die Amtszeit von Jerome Powell läuft noch bis 2026.