Genosse Lukas ist unzufrieden mit der eigenen Partei. Es geht um ein mögliches AfD-Verbotsverfahren, das die SPD-Führung anstrengen will. Lukas sieht das etwas differenzierter. „Die Antwort der SPD kann doch nur eine radikale Wende der eigenen Politik sein. Wann kommt endlich die Aufarbeitung, warum wir in den letzten 20 Jahren mehr als die Hälfte der Wähler verloren haben? Die AfD ist doch nur ein Ventil für unser eigenes Versagen. Wir müssen endlich wieder Politik nahe an der MEHRHEIT der Menschen machen. Wo sind die charismatischen, ehrlichen SPD-Leader?“
Ein sommerlicher Abend Anfang August, es haben sich gut 400 SPD-Mitglieder in das digitale Treffen eingewählt, bei dem die Parteispitze erklären will, warum sie ein AfD-Verbotsverfahren vorbereitet. Carmen Wegge, Bundestagsabgeordnete, und Georg Maier, Innenminister von Thüringen, haben sich die knapp anderthalb Stunden aber auch genommen, um die Fragen der Mitglieder zu beantworten. Denn sie wissen: Unter SPD-Mitgliedern ist ein AfD-Verbot deutlich umstrittener als auf dem SPD-Parteitag, der vor ein paar Wochen mit 100 Prozent Zustimmung der Delegierten für das Verbotsverfahren gestimmt hat.
Dort, in der Messehalle in Berlin, haben zwar viele SPD-Mitglieder zum AfD-Verbot gesprochen. Aber es war weniger eine Diskussion und mehr Selbstvergewisserung, auf der richtigen Seite zu stehen. Dieser Abend, der digitale Austausch der 400 Genossen, ist differenzierter, nachdenklicher.
Die Argumentationslinie der Parteiführung
Parteimitglied Lukas hat seine Skepsis in den Chat geschrieben, in der Hoffnung, dass Wegge und Maier darauf eingehen werden. Die legen aber erstmal die Argumentationslinie der Parteiführung dar. Maier sagt, die Demokratie habe noch nie so unter Druck gestanden wie heute. Ja, es gebe die Gefahr, dass ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht scheitere. Das würde bedeuten, „dass es nach hinten losgeht“. Aber noch gefährlicher findet Maier, keinen Versuch zu unternehmen, die AfD zu verbieten.
Maier erfährt jeden Tag, wie schwierig der Umgang mit der AfD ist. Bei der digitalen Abendveranstaltung erinnert er an die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags, als der Alterspräsident, ein Mann der AfD, seine Kompetenzen zu weit ausdehnte und die demokratischen Prozesse versuchte zu stören.
Natürlich müsse man die AfD auch inhaltlich stellen, sagt Maier noch. Aber das reiche eben nicht. Maier ist der Landesinnenminister, der am dezidiertesten für ein Verbot wirbt. Er sagt, lange seien seine Länderkollegen, auch die der SPD, anderer Meinung gewesen. Das ändere sich aber gerade.
Zweifel der Genossen
Die Moderatorin des Abends geht in die erste Fragerunde. Die Parteiregie hat die Fragen ausgesucht. „Warum braucht die SPD so lange für das Verbot?“, fragt ein Genosse. „Radikalisiert sich die AfD nicht durch ein Verbot?“, ein anderer.
Dann ist ein Mitglied aus Unna dran. Der Mann sagt zunächst, dass es keine Mehrheit für ein Verbot gebe, etwa unter den Bundestagsabgeordneten, und auch seien die Voraussetzungen für ein Verbot nicht erfüllt, so wie sie das Bundesverfassungsgericht benannt habe. Auch ein Genosse aus Eschborn äußert Zweifel. Sollte es zum Verbot kommen, was passiert dann mit den 25 Prozent AfD-Wählern? Die würden ja nicht plötzlich zurückkommen zur SPD.
Im Chat zu der Veranstaltung geht die Diskussion parallel munter weiter. Sie ist leidenschaftlich, meist sachlich im Ton. Ein Parteimitglied schreibt, er sei gegen ein Verbot, Demokratie bedeute schließlich, dass auch unangenehme Stimmen zählten. Jemand anderes meint, es gebe keine Wirkung ohne Ursache – „also bitte die Gründe für dieses abscheuliche Wählerverhalten abarbeiten“. Ein anderer entgegnen: „Was? Wir wollen eine erwiesen rechtsextreme Partei gewähren lassen? Ich verstehe dieses Verständnis in unserer SPD nicht.“
Maier macht klar: Bei der Frage nach einem Parteienverbot gehe es nicht um Wählerstimmen, die man gewinnen wolle, sondern um die Demokratie. Man wolle so nicht einen Konkurrenten beseitigen. Und dann stellt Maier sich und den gut 400 zugeschalteten Genossen eine Frage, die man auf dem SPD-Parteitag weder von Spitzensozialdemokraten noch Funktionären gehört hatte: Warum sind laut Wählerstatistik denn so viele Arbeiter zu AfD-Wählern geworden?
Kurz klingt Maier dann wie sein Parteichef Lars Klingbeil. Die SPD müsse die Menschen zurückgewinnen, die den Laden am Laufen hielten. Und wenn es dann trotzdem noch eine populistische Partei gebe, die aber auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, dann müsse das auch die SPD aushalten.