Klimakrise scheint den Menschen nicht zu kümmern

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Vielleicht ist die Vergesslichkeit des Menschen seine größte Schwäche im Umgang mit der Klimakrise. Oder aber seine innere Rettung. Das Klima jedenfalls vergisst nicht. Jedes Jahr, auch 2024 wieder, kommt einiges obendrauf auf den Müllberg der Emissionen. Jedes Jahr verändert sich die Atmosphäre weiter, wird die Welt, wie wir sie kennen, etwas weniger stabil. Und der Mensch? Er hakt Hitzewellen, Dürren, Sintfluten und Stürme immer schneller ab. Er verdrängt, wie vulnerabel er und seine Ökonomien durch den Klimawandel geworden sind. Stichwort Wassermangel, Stichwort Lebensmittelpreise. Dennoch fragen viele: War es das schon? Manche immerhin auch: Kommt da noch etwas? Die klare Antwort aus der Wissenschaft lautet, gerade auch nach diesem Jahr: leider ja, leider einiges.

Subtil kann man die Klimaveränderungen inzwischen nicht mehr nennen. Dennoch werden die Menschen, auch die Politiker, noch immer von der Phantasie getragen, dass wir uns auf einem Pfad bewegen, der uns im Laufe der nächsten Jahrzehnte unterhalb der im Pariser Klimavertrag angepeilten 1,5 oder zwei Grad globaler Erwärmung hält. Dieses Jahr sind wir aber schon bei deutlich über 1,5 Grad angekommen. Drei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts sind allen seriösen Berechnungen nach realistisch. Und was schon ein paar Zehntel Grad mehr bedeuten, haben 2024 sowie das Jahr davor anschaulich ge­zeigt. Zur Erinnerung: Rekordhitzewellen von Europa bis in die Antarktis, eine Serie nie da gewesener Überflutungen rund um den Globus, von marinen Hitzewellen an­gefachte Wirbelstürme und Waldbrände, eine Katastrophenbilanz für die Geschichtsbücher. Vorläufig, bis zur nächsten Bilanz.

Sie viele Anomalien wie nie

Niemals zuvor haben die Meteorologen so viele Anomalien und Allzeitrekorde ermittelt wie in diesen beiden Jahren. Was war geschehen? Offensichtlich hat sich die Erwärmung um wenige Zehntel Grad beschleunigt. In geologisch gesehen Sekundenbruchteilen hat sich die Erderwärmung aufgeschaukelt. Ein Rätsel. War es El Niño, das wiederkehrende Klimaphänomen, das in Abständen immer wieder zu Wärmeanomalien führt? Oder war es der Wasserdampf, der davor durch einen historischen Vulkanausbruch im Ozean in die Atmosphäre katapultiert wurde? Oder gar die Sonne, die sich zyklisch auf ein neues Strahlenmaximum zubewegt? Vielleicht sogar ein paradoxer Umweltschutzeffekt: weniger schwefelhaltige Schadstoffe in der Luft, die Wolken bilden und deshalb normalerweise kühlend wirken? Die jüngsten Daten zeigen: Alles könnte mit hineinspielen, aber auch zusammen reicht es nicht als Erklärung für den Temperatursprung.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Die Unsicherheit unter Forschern, die dieser jüngste Temperatursprung ausgelöst hat, ist kaum zu unterschätzen. Denn die Frage stellt sich: Hat man einen wichtigen Faktor vergessen? Und wenn ja: Was heißt das für die Zukunft, für die vielen Emissionsszenarien und Klimaprojektionen, nach denen global regiert und gewirtschaftet werden soll? Eine endgültige Antwort darauf gibt es noch nicht. Bisher jedenfalls haben die Klimamodelle hervorragend funktioniert. Sie haben die physikalischen Vorgänge, die den Temperaturverlauf beeinflussen, nahezu tadellos rekonstruiert. Das gilt zumal für die Zeit, in der unsere fossilen Emissionen zum prägenden Faktor geworden sind. Doch klar ist auch: Die Klimaforschung tendiert oft dazu, die Dynamik eher zu unter- als zu überschätzen.

Ein bislang wenig beachteter Rückkoppelungseffekt im Klimasystem könnte in den vergangenen zwei Jahren für zwei Zehntelgrad zusätzlicher Erwärmung gesorgt haben. Kurz gesagt: Die Klimaerwärmung selbst reduziert offenbar niedrige, helle Wolken. Das bedeutet, dass mehr Sonnenstrahlung und damit Energie die Oberfläche und vor allem die Ozeane erreichen. Dieser Effekt würde auch erklären, warum die Erwärmungsraten seit einigen Jahren nicht mehr nur linear mit den Emissionen hochgehen, sondern tendenziell schneller steigen.

Ist es also denkbar, dass die Krise sich bereits selbst verstärkt hat, wie es oft vorhergesagt worden war? Möglicherweise ja. Es bleiben viele Unsicherheiten, nicht zuletzt die alles entscheidende: wie viel wir künftig emittieren. Immer mehr Experten jedenfalls verlieren den Optimismus, werden „langsam wirklich nervös“, wie der Potsdamer Klimatologe Johan Rockström unlängst öffentlich bekannte. Eigentlich gibt es für die Wissenschaftler nur noch einen Grund, vorsichtig zu argumentieren: unser Bedürfnis nach innerer Hygiene. Ausweglosigkeit und Untergangsphantasien wirken psychologisch – auch politisch – wie ein Delirium. Sie sind kontraproduktiv und führen nur weiter ins Verdrängen und Vergessen. Mit kognitiver Lahmheit aber wird der Logik des Klimawandels in der Zukunft ganz sicher nicht beizukommen sein.