Berater der Bundesregierung: Immer mehr Ökonomen in den Ministerien

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Der Kontrast könnte kaum größer sein: Als Wissenschaftler an einer Wirtschaftshochschule in Paris genoss Armin Steinbach alle Freiheiten. Er alleine entschied, was er wann wie in seiner Forschungsarbeit machte. Ein Traumjob. Doch dann meldete sich Nils Böhning, ein Vertrauter von SPD-Chef Lars Klingbeil, mit der Frage, ob sich Steinbach einen Wechsel ins Finanzministerium vorstellen könnte. Steinbach sagte zu. Inzwischen hat der Ökonom und Jurist sein Büro in dem kolossalen Bau aus der Nazizeit in der Berliner Wilhelmstraße bezogen – und wirkt trotz seines nun weitgehend fremdbestimmten Terminkalenders ziemlich zufrieden.

Als Abteilungsleiter für finanzpolitische und wirtschaftspolitische Grundsatzfragen hat Steinbach einen großen Gestaltungsspielraum, kann politische Entscheidungen unmittelbar beeinflussen. Kluge Wirtschaftswissenschaftler gibt es reichlich. Aber nicht viele haben wirklich Einfluss. Armin Steinbach ist jetzt einer von ihnen.

Steinbach reiht sich ein in eine wachsende Zahl von ökonomischen Beratern, mit denen sich die Bundesregierung – speziell das Finanz- und Wirtschaftsministerium – umgibt. Finanzminister Lars Klingbeil schuf besonders schnell Fakten. Neben Steinbach engagierte er den Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum als seinen persönlichen Berater. Katherina Reiche (CDU), die neue Hausherrin im Wirtschaftsministerium, bildet derzeit zwei Beratergremien mit mehreren Ökonomen: eines zu allgemeinen wirtschaftspolitischen Fragen und eines zur Rüstungsindustrie.

Veronika Grimm
Veronika GrimmREUTERS

Nicht ganz so viel Beratungsbedarf verspürt man dagegen im Kanzleramt. Der Ökonomen-Zirkel, den Wolfgang Schmidt als Majordomus von Olaf Scholz in den vergangenen Jahren regelmäßig einlud, ist Geschichte. Levin Holle, der wirtschaftspolitische Berater von Friedrich Merz (CDU), holt sich lieber gezielt Rat von Fachleuten, wenn konkrete Entscheidungen anstehen.

Sachverständigenrat, wissenschaftliche Beiräte, persönliche Berater

Es war letztlich Scholz, der den Trend zu den persönlichen Beratern in den Ministerien angestoßen hat. In seiner Zeit als Finanzminister sorgte der SPD-Politiker dafür, dass der ordoliberale Finanzwissenschaftler Lars Feld nicht für eine weitere Amtszeit „Wirtschaftsweiser“ bleiben durfte. Als Christian Lindner (FDP) dann in der Ampelkoalition unter Scholz Finanzminister wurde, folgte die Replik: Lindner machte Feld zu seinem „persönlichen Beauftragen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung“. Schon die Positionsbeschreibung war eine Ansage, dass hier jemand als Korrektiv zu einem nach Meinung vieler in CDU und FDP zu weit nach links gerückten Sachverständigenrat wirken sollte. Veronika Grimm ist aktuell die einzige im Rat verbliebene Vertreterin klassischer ordnungspolitischer Positionen.

Jens Südekum
Jens SüdekumJens Gyarmaty

Neben dem Sachverständigenrat gibt auch noch die Wissenschaftlichen Beiräte im Wirtschafts- und im Finanzministerium. Deren Ruf ist allerdings nicht der beste. Viele der Wissenschaftler dort sind längst emeritiert. Aktuelle politische Debatten greifen die Beiräte, die in der Themenwahl ihrer Stellungnahmen frei sind, oft erst mit zeitlicher Verzögerung auf. Die theoretischen Erörterungen stoßen auch nicht unbedingt auf Gegenliebe bei den Praktikern in den Ministerien.

Positionen von Politikern und Beratern decken sich oft

Lars Klingbeil hatte den Vorteil, dass er auf Leute zugreifen konnte, die zuvor schon mit Scholz zusammengearbeitet haben und die anders als er das Innenleben von Ministerien und die Regierungsabläufe schon gut kennen. Steffen Meyer, sein Staatssekretär für Grundsatzfragen und den Haushalt, ist so jemand. Er war zuvor im Kanzleramt Leiter der Wirtschaftsabteilung.

Den unter Lindner geschaffenen Posten des persönlichen Beraters hat Klingbeil beibehalten und mit dem SPD-Mitglied Jens Südekum besetzt. Der an der Universität Düsseldorf lehrende Ökonom ist Verfechter eines industriepolitisch aktiven Staats, der zum Beispiel anstelle allgemeiner Steuersenkungen Steuerprämien für ausgewählte Investitionen auslobt. Südekum war auch einer der Treiber der jüngsten Lockerung der Schuldenbremse. Andere Länder seien industriepolitisch auch nicht zimperlich, argumentiert der Ökonom und meint damit nicht nur China, sondern auch die Vereinigten Staaten.

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat für ihren Beraterzirkel zur allgemeinen Wirtschaftspolitik Veronika Grimm, Justus Haucap und Volker Wieland ausgewählt – drei liberale Ökonomen, deren Positionen sich mit denen von Reiche decken. In dem Zirkel zur Verteidigungsrunde sind die bekanntesten Köpfe Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), und René Obermann, einst Vorstandsvorsitzender der Telekom, heute Aufsichtsratschef von Airbus. Gemeinsam forderten die beiden Anfang März eine andere strategische Ausrichtung der Rüstungsausgabenpolitik.

Für die Leitung der wirtschaftspolitischen Grundsatzabteilung im Ministerium holte Reiche Benjamin Weigert, zuvor Leiter des Bereichs Finanzstabilität bei der Bundesbank. Mit Reiches Themenspektrum hat das wenig zu tun. Weigerts Ernennung könnte aber ein Zeichen sein, dass auch das Wirtschaftsministerium darüber wachen will, dass Deutschland sich mit seiner immensen Schuldenaufnahme – mehr als 850 Milliarden Euro bis 2029 – nicht übernimmt.

Altgediente Berater für den Kanzler

Und wer berät den Kanzler selbst? Da fallen vor allem zwei Namen: Roland Koch und Michael Eilfort. Was der frühere Ministerpräsident Hessens dem Kanzler einflüstert, wissen nur die beiden selbst. Auf jeden Fall ist der Kontakt dem Vernehmen nach sehr eng. Koch kennt das politische Geschäft, aber auch die Welt der Wirtschaft. Er war nach seinem Abschied aus der Politik drei Jahre Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Bilfinger. Derzeit ist Koch Vorsitzender der liberalen Ludwig-Erhard-Stiftung.

Roland Koch
Roland KochPicture Alliance

Den Politikwissenschaftler Eilfort kennt Merz schon lange. Vor einem Vierteljahrhundert leitete Eilfort das Büro des damaligen Fraktionsvorsitzenden der Union. Als Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft warb Eilfort zuletzt dafür, die aufwendige und schwankungsanfällige Gewerbesteuer durch andere Steuerquellen zugunsten der Kommunen zu ersetzen. Das scheiterte am Widerstand der wohl mächtigsten Lobby im Land, dem Deutschen Städtetag. In sogenannten Generationenbilanzen weist die Stiftung Marktwirtschaft zudem auf die versteckte Verschuldung des Staates hin, etwa bei den Pensionszusagen. Bisher wirkt es nicht so, als ob Koch und Eilfort mit ihren wirtschaftspolitischen Ratschlägen im Kanzleramt durchdringen würden.

Reformvorschläge finden wenig Anklang

In den ersten beiden drei Monaten seiner Amtszeit hat sich Merz vor allem auf die Außenpolitik konzentriert, wo Scholz nach Meinung seines Nachfolgers nach eine große Lücke gelassen hat. Angesichts der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Lage, hohen Gewinnrückgängen in der Autoindustrie und bald drei Millionen Arbeitslosen wächst aber der Druck, dass Merz in der Wirtschaftspolitik präsenter wird – zumal die EU aus den Zollverhandlungen mit Donald Trump klar als Verlierer hervorgegangen ist. Vom Reformeifer, den die CDU im Wahlkampf vermittelte, ist bislang jedoch wenig zu spüren. Als Wirtschaftsministerin Katherina Reiche jüngst in der F.A.Z. eine längere Lebensarbeitszeit forderte, räumte der Sprecher von Merz den Vorstoß sogleich ab, ebenso wie Finanzminister Lars Klingbeil.

Ökonomen wie Veronika Grimm kritisieren das. „Zielführend“ sei Reiches Vorschlag gewesen, findet Grimm. Die Wirtschaftsweisen fordern schon seit langem eine Anpassung des Renteneintrittsalters, die Abschaffung der Frührentenanreize (Rente mit 63) und auch eine Reform des Ehegattensplittings, das aus Sicht des Rats maßgeblich zu der hohen Teilzeitquote in Deutschland beiträgt. Doch Union und SPD scheuen Reformen, die ihrer Wählerschaft etwas zumuten würden.

Der nächste Wahlkampf wirkt schon

Als im Jahr 2021 der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 68 empfahl, kanzelte der damalige Kanzlerkandidat Olaf Scholz die Ökonomen regelrecht ab. „Die Vorschläge dieses sogenannten Expertengremiums sind falsch gerechnet und unsozial“, befand er und schloss Änderungen am Renteneintrittsalter aus. Dabei ist in Ländern wie Dänemark angesichts des demographischen Wandels längst ein schrittweiser Anstieg auf 70 Jahre beschlossen.

Die aktuelle schwarz-rote Koalition will erstmal Kommissionen über eine Reform der sozialen Sicherungssysteme beraten lassen – bis ins Jahr 2027 hinein. Ob die Vorschläge noch umgesetzt werden, wenn dann schon wieder der Wahlkampf naht, wird in Berlin weithin bezweifelt. Die aktuelle Einlösung diverser Wahlversprechen, von der höheren Mütterrente bis zur niedrigeren Umsatzsteuer für Gastronomen, bestätigt eher den Eindruck, dass die Bundesregierung zwar immer mehr ökonomische Berater beschäftigt – deren Rat dann aber getrost ignoriert, wenn er nicht ins politische Programm passt.