Raumfahrt und Atmosphärenforschung: Sternschnuppen aus dem Labor

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Stand: 13.08.2025 02:36 Uhr

Jedes Jahr im August sind die Perseiden aktiv – ein Strom von Sternschnuppen am Nachthimmel. Doch in Zukunft werden dort nicht mehr nur verglühende Teile von Meteoriten zu sehen sein, sondern immer mehr Weltraumschrott.

Durch die Laborhalle des Instituts für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart tönt ein Rauschen und Zischen, dessen Lautstärke es gerade noch erlaubt, sich miteinander zu unterhalten, ohne schreien zu müssen. Stefan Löhle blickt zu seinem Kollegen. Die Ansage von Löhle klingt ruhig, aber hebt sich deutlich vom lauten Hintergrund ab. “Gut, wir zünden… drei, zwei, eins, Zündung!”

Der Stahltank stammt aus den 70er Jahren, wurde aber umfassend modernisiert.

Violett leuchtender Plasmawind

In einem Stahlzylinder, so lang wie ein kleiner Lastwagen und mit einem Durchmesser von geschätzt eineinhalb Metern, schießt kurz darauf elektrisch geladene Luft, sogenanntes Plasma, gegen ein Metallstück von der Größe einer Praline.

Durch gläserne Bullaugen ist zu erkennen: Der Plasmawind leuchtet violett. Wo er auf das Metall trifft, wird es blendend hell. Kameraaufnahmen zeigen später: Das Stückchen Metall schrumpft schnell, weil unablässig glühende Splitter abplatzen. Aufnahmen einer künstlichen Sternschnuppe aus nur einer Armlänge Abstand.

Sieben weitere Mitglieder des Teams, das aus Sicherheitsgründen bis zur Zündung wenige Meter entfernt stand, treten nun näher an den Druckzylinder aus Stahl heran. Sie nehmen ihre Positionen ein an Messgeräten und Kameras, zwischen astdicken Stromkabeln und armdicken Kühlschläuchen.

Simulation der oberen Erdatmosphäre

Stefan Löhle ist Luft- und Raumfahrtingenieur, Kopf des Teams und erklärt die Maschine. “Das ist ein Plasmawindkanal, mit dem man Flüge hinein in die Atmosphäre eines Planeten untersuchen kann. Heute simulieren wir die hohe Erdatmosphäre, in der die Sternschnuppen am Nachthimmel zu sehen sind. Da braucht man die Hitzeentwicklung am Testmaterial, da braucht man die Geschwindigkeit der Luft, da braucht man den niedrigen Druck. Das Ganze ist aufwendig und funktioniert nur im Plasmawindkanal.”

Zunehmende Menge von Altmetall aus dem All

Mit den Experimenten im Plasmawindkanal wollen die Stuttgarter Forschenden helfen, eine immer drängendere Frage zu beantworten: Wie verändert verglühender Weltraumschrott die obere Erdatmosphäre? Denn was früher selten passierte, wird sich künftig täglich ereignen: Ausgediente Satelliten oder Raketenstufen verglühen beim Rücksturz zur Erde in der Atmosphäre. Diese künstlichen Sternschnuppen hinterlassen dort Rückstände.

Dabei besteht ein wichtiger Unterschied zwischen dem Verglühen natürlicher und künstlicher Sternschnuppen: Es fällt zwar viel mehr natürliches Meteoritengestein in die Erdatmosphäre als Raumfahrt-Altmetall. “Aber”, so Löhle, “Satelliten bestehen zu 70 Prozent aus Aluminium. Meteoriten dagegen enthalten fast kein Aluminium. Das heißt, wir bringen jetzt plötzlich in die obere Atmosphäre, die sehr empfindlich ist, einen neuen Spielpartner rein – was da passiert, müssen wir untersuchen.”

Dünne Datengrundlage

Eine erste umfassende Simulation durch US-Forschende zeigte im Frühjahr: Das beim Verglühen von Satelliten entstehende Aluminiumoxid könnte in der hohen Atmosphäre über der Nord- und der Südhalbkugel der Erde zu unterschiedlichen Effekten führen. Während sich die Atmosphäre in 30 Kilometer Höhe nahe dem Nordpolargebiet abkühlen könnte und dadurch der Abbau von Ozon begünstigt würde, könnte sich die Ozonschicht nahe der Antarktis aufgrund einer Erwärmung der oberen Atmosphäre etwas stabilisieren.

Doch das sind nur erste Berechnungen auf einer sehr dünnen Datengrundlage. Die Forschung auf diesem Gebiet steht noch ganz am Anfang. Es wird Jahrzehnte der Datensammlung brauchen, um zuverlässige Aussagen über den Einfluss von Reststoffen, die durch die Raumfahrt in die Atmosphäre eingebracht werden, treffen zu können.

Anlage aus den 70ern – aber topmodern

In der Anlage in Stuttgart wurde nach ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1970 zunächst elektrische Antriebe für Raumsonden getestet und Materialmischungen zum Verglühen gebracht. So wollten Forschende herausfinden, welches Material sich am besten zum Bau von Hitzeschutzschilden für zur Erde zurückkehrende Raumschiffe und Sonden eignet. Löhle und sein Team nehmen immer wieder an Forschungsflügen teil, bei denen von Flugzeugen aus die Rückkehr und das feurige Eintauchen von Raumflugkörpern in die Erdatmosphäre beobachtet und analysiert wird.

In den vergangenen Jahren wurde die Anlage umfangreich saniert und auf den neuesten technischen Stand gebracht. Die gewaltigen Pumpen im Keller unter der Laborhalle saugen die Luft so effizient aus dem Stahltank, dass der Druck von den normalerweise am Erdboden herrschenden 1.000 Millibar bis auf zehn Millibar absinkt. Die Atmosphäre in ungefähr 65 Kilometer Höhe über der Erdoberfläche kann so simuliert werden. Sogar die Bedingungen in der Atmosphäre von so weit entfernten Planeten wie Neptun oder Uranus könnten simuliert werden. “Falls auch dorthin mal Raumschiffe unterwegs sein sollten”, meint Löhle augenzwinkernd.

Zweites Leuchten für echte Sternschnuppen

Vor wenigen Monaten saßen die Männer vom Plasmawindkanal, die übrigens gerne mehr Frauen in ihrem Fachbereich sehen würden, mit einem befreundeten französischen Kollegen beim Kaffee am alten Küchentisch, der den kommunikativen Mittelpunkt in der mit Technik vollgestopften Laborhalle bildet.

Der Kollege aus Marseille stellte die Frage, ob sie in ihrem Plasmawindkanal nicht auch mal echtes Meteoritengestein verglühen lassen könnten – also die Reste echter Sternschnuppen, die auf die Erde gefallen sind. Sie sollten im Plasmakanal erneut aufleuchten, so die Idee. Klar wollten und konnten sie: Die bei den Versuchen entstandenen Aufnahmen zeigen spektakulär, wie das Gestein im Plasmawindkanal hell leuchtend regelrecht zerfließt. Bei solchen Experimenten aufgezeichnete Lichtspektren könnten künftig dabei helfen, bei anfliegenden Sternschnuppen allein anhand ihrer Leuchtspur zu erkennen, aus welchem Gestein sie bestehen.

Ideen für neue Experimente und Veränderungen an der Technik können ihn lange beschäftigen, sagt Stefan Löhle. Jetzt, in der Perseidennacht jedoch, versichert er, werde er keinen einzigen Gedanken an seine Forschung verschwenden, sondern nur genießen. “Dann liege ich am Atlantikstrand auf dem Rücken und guck mir Perseiden an und wünsch’ mir sogar was.”