Nvidia und das grosse Dilemma

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Der Export amerikanischer Chips nach China ist ein Milliardengeschäft, an dem auch die US-Regierung mitverdient. Doch das gegenseitige Misstrauen wächst. Eine Einordnung des Chip-Kriegs.

Der Chip-Konflikt zeigt die Spannungen in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und China: Hafenanlage von Shenzhen.

Der Chip-Konflikt zeigt die Spannungen in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und China: Hafenanlage von Shenzhen.

Tingshu Wang / Reuters

Für die amerikanische Chipindustrie geht es um viel Geld. Um sehr viel Geld sogar. Die Geschäfte in China sind für die Chipfirmen Nvidia und AMD so lukrativ, dass sie dafür eine happige Ausfuhrsteuer zu zahlen bereit sind: 15 Prozent ihrer Einnahmen aus dem China-Geschäft entrichten die beiden Unternehmen künftig dem amerikanischen Staat dafür, dass sie ihre Chips in China weiterhin verkaufen dürfen. Trump spricht von einem «kleinen Deal», den er da ausgehandelt habe.

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In China gibt es allerdings auch Sicherheitsbedenken gegenüber diesen amerikanischen Chips. Ende Juli hat die Cyberspace Administration of China mitgeteilt, dass sie von Nvidia Auskunft zum H20-Chip verlange. Es gebe Berichte über Sicherheitsprobleme bei Nvidia-Chips und über Funktionen, die das Orten und das ferngesteuerte Abschalten der Chips erlaubten. Das Misstrauen von chinesischer Seite ist gross.

Die Entwicklungen der vergangenen zwei Wochen zeigen das Dilemma, in dem sich die USA und China befinden. Die beiden Länder misstrauen sich gegenseitig und sind doch wirtschaftlich aufeinander angewiesen. Im Wettkampf um die technologische Vorherrschaft sind die Exporte der modernen amerikanischen Halbleiter nach China zu einer hochpolitischen Frage geworden – für beide Seiten.

China braucht die amerikanischen Chips

China ist im Bereich der künstlichen Intelligenz immer noch stark von amerikanischen Nvidia-Chips abhängig. Gleichzeitig wollen die USA seit geraumer Zeit die technologischen Fortschritte des Konkurrenten bremsen. Deshalb hatte ab Oktober 2022 die damalige amerikanische Regierung unter Joe Biden die Exporte von Hightech-Chips nach China immer weiter eingeschränkt.

Doch für Nvidia ist der chinesische Markt zu wichtig, um darauf zu verzichten. Die amerikanische Firma entwickelte deshalb einen Chip speziell für den chinesischen Markt: den H20. Dieser ist laut Experten deutlich weniger leistungsfähig als Nvidias neuste Modelle. Chinesische Käufer durften diesen Chip unter Präsident Biden weiterhin legal importieren.

Als Trump im Januar sein Amt als Präsident antrat, liess er den Verkauf zunächst weiterlaufen. Im April kam dann die Kehrtwende: Trump verbot Nvidia weitere Exporte – allerdings nur vorübergehend. Seit Mitte Juli sind Exporte von H20-Chips wieder erlaubt. Daran verdient nun auch der amerikanische Staat kräftig mit, dank der 15-Prozent-Abgabe.

Dass der Export von H20-Chips wieder erlaubt ist, dürfte die vielen chinesischen Unternehmen freuen, die auf das Modell gesetzt haben. Vor dem Exportverbot im Frühjahr sollen chinesische Unternehmen H20-Chips im Wert von mehreren Milliarden Dollar bestellt haben. Vergleichbare Chips aus chinesischer Produktion sind deutlich weniger beliebt.

Es erstaunt deshalb, dass die chinesischen Behörden nun plötzlich Sicherheitsbedenken bezüglich der Chips anmelden. Die Befürchtung, in den amerikanischen Produkten befänden sich möglicherweise sogenannte Hintertüren – also verdeckte Zugänge zur Manipulation oder zur Spionage –, ist nicht neu. Die Dokumente des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden zeigten bereits 2014, dass der amerikanische Geheimdienst NSA Netzwerkgeräte wie Cisco-Router mit solchen Hintertüren ausgestattet hatte.

Im Falle der Nvidia-Chips spricht die chinesische Behörde von einem verdeckten System, das den USA erlauben würde, einen Halbleiter geografisch zu orten und gar aus der Ferne abzuschalten. Tatsächlich hat ein republikanischer Senator im Mai einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der verlangt, dass Chips mit einem technischen Mechanismus versehen sind, um das Empfängerland gemäss Exportbestimmung zu kontrollieren.

Der Nvidia-CEO Jensen Huang muss sein China-Geschäft immer wieder an die politischen Gegebenheiten anpassen.

Der Nvidia-CEO Jensen Huang muss sein China-Geschäft immer wieder an die politischen Gegebenheiten anpassen.

Brittany Hosea-Small / Reuters

Die chinesischen Bedenken dürften sich auf diesen politischen Vorschlag beziehen. Betroffen von dieser Massnahme wären jedoch nicht die H20-Chips, sondern jene Hightech-Chips, die Amerika mit einem Exportverbot belegt hat. Sie gelangen heute auf illegalem Weg dennoch nach China.

Der Vorwurf der amerikanischen Hintertüren ist deshalb auch im grösseren Kontext des Tech-Konflikts zu sehen. Die USA werfen China immer wieder vor, eigene Produkte zur Spionage zu nutzen – zum Beispiel bei Mobilfunkkomponenten von Huawei oder bei Hafenkränen. China will diesen Vorwürfen ein eigenes Narrativ entgegensetzen.

In China gibt es zwar jene Unternehmen, die sich vom H20-Chip wirtschaftlichen Erfolg versprechen. Bei den chinesischen Behörden besteht jedoch gleichzeitig ein tiefes Misstrauen gegenüber westlicher Technologie generell. Chinas Verwaltung soll bald schon nur noch einheimische IT-Lösungen einsetzen dürfen.

Gleichzeitig fördert der chinesische Staat seit zehn Jahren eine einheimische Chipproduktion. Diese kämpft zwar mit erheblichen Schwierigkeiten. Doch dass China in Zukunft zunehmend auf amerikanische Chips verzichten wird – wenn dereinst einheimische Alternativen zur Verfügung stehen –, erscheint plausibel.

Die USA lavieren zwischen Sicherheitspolitik und Handel

In den USA haben die Bedenken gegenüber chinesischen Produkten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Befürworter strikter Exportkontrollen für Chips argumentieren ebenfalls mit der nationalen Sicherheit. Jeder amerikanische Chip könne zur Modernisierung des chinesischen Militärs beitragen oder zumindest den technologischen Fortschritt des chinesischen Regimes fördern. Sie wollen deshalb nicht, dass die USA Technologien an China liefern, die chinesischen Lösungen überlegen sind.

Mit dem Verbot des H20-Chips im April schien es, als ob Trump gegenüber der bisherigen Politik nochmals eine schärfere Gangart einschlagen würde. Ob dies tatsächlich so ist, bleibt nach der jüngsten Lockerung offen. Trump sieht in Chips vermutlich das, was er in allem sieht: eine Möglichkeit, Deals zu machen.

Allerdings ist umstritten, ob die Lieferung von amerikanischen Chips tatsächlich China hilft. In den USA gibt es auch Befürworter einer liberalen Praxis. Für sie hilft jeder Chip, den Nvidia in China verkauft, dem Unternehmen, seine marktdominierende Stellung beizubehalten oder gar auszubauen. Nvidias Präsenz in China verhindere zudem, dass dort konkurrenzfähige Alternativen entstünden. Die technologische Überlegenheit der USA werde damit gefestigt.

Fazit: Beide Seiten suchen einen Modus Vivendi

Am Chip-Konflikt zeigt sich das Dilemma, in dem sich die USA und China befinden. Aus sicherheitspolitischen Überlegungen wäre es angebracht, wenn beide Länder ihre wirtschaftlichen Verflechtungen zurückfahren würden. Aus ökonomischer Sicht ist dies jedoch kaum möglich und mit Nachteilen verbunden.

Das Hin und Her mit den Exportbewilligungen, die Sicherheitsbedenken und die gegenseitigen Anschuldigungen sind die Folge der schwierigen Entkoppelung («decoupling») der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern. Wie sich Trump zu diesem Prozess stellt und ob er den Kurs gegenüber China ändern wird, ist noch offen. Auch China scheint noch immer den Weg des Ausgleichs zu suchen.

Im besten Fall führen die jüngsten Entwicklungen zu einem Modus Vivendi der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern, die zwar politisch bereits Gegner, wirtschaftlich aber immer noch Partner sind. Es kann aber auch anders kommen, und Peking oder Washington setzt auf einen harten Kurs der Entkoppelung der Wirtschaftsbeziehungen. Dann wäre das Dilemma beseitigt – aber auch das lukrative Geschäft weg.