Die Bundeswehr hat seit Beginn des russischen Angriffskrieges für mehr als einhundert Milliarden Euro Waffen und Munition bestellt. Obschon es sich dabei um die größte Kaufoffensive seit Jahrzehnten handelt, reichte das Geld nach Einschätzung vieler in Berlin nicht einmal aus, das Nötigste anzuschaffen. Deswegen haben Union und SPD nach der Bundestagswahl festgelegt, dass die Streitkräfte in Zukunft all das bekommen, was sie brauchen.
Die Folge war nicht etwa eine große Lieferoffensive, sondern eine weitere Kostenexplosion. Davon profitiert auch die Industrie. Der Börsenkurs des Rüstungsunternehmens Rheinmetall hat sich seit 2022 bis Juli 2025 um das Achtzehnfache gesteigert von knapp 100 Euro auf zuletzt 1840 Euro je Aktie.
Eine 155-mm-Artilleriegranate war vor Kriegsausbruch für etwa 2000 Euro zu haben, dann wurden zeitweise mehr als 8000 Euro verlangt. Kürzlich kam heraus, dass die Umbaukosten für den Flugplatz Büchel sich ebenfalls vervierfacht haben, von zunächst 500 Millionen auf inzwischen mehr als zwei Milliarden Euro. Und dabei geht es nur um Hallen und technische Einrichtungen, nicht um die amerikanischen F-35 Flugzeuge selbst, die in der Eifel stationiert werden sollen.
Im Idealfall hätte das viele Geld bedeutet, dass die Streitkräfte in hohem Tempo neue Panzer, Flugzeuge und Schiffe bekommen. Doch das ist nicht der Fall. Die materielle Ausstattung, aber auch viele Kasernen und Infrastruktur der Bundeswehr haben sich seit 2022 insgesamt sogar verschlechtert. Das liegt auch an hohen Abgaben an die Ukraine, an die die Ausrüstung ganzer Panzerkompanien und Patriot-Systeme abgegeben wurden.
Danach wurde zu spät nachbestellt, und die wehrtechnische Industrie liefert weiter im Zeitlupentempo. Etliches, etwa Flugkörper zur Luftverteidigung, gelangt aber auch direkt aus der Produktion nach Kiew oder Charkiw, um die alltäglichen russischen Angriffe halbwegs abzuwehren. Das stärkste Wachstum bei Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gab es zuletzt bei der Anzahl seiner Staatssekretäre, plus fünfzig Prozent.
Bundesrechnungshof mahnt
In der Regel verschleiert oder verheimlicht das Verteidigungsministerium (BMVg) diese Umstände. Man will die Öffentlichkeit nicht beunruhigen, die Industrie nicht verärgern oder die politische Bilanz aufhübschen. Zu den wenigen, die bislang noch offen sagten, wie die Lage tatsächlich ist, gehörte der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais. Pistorius hat das schon länger gestört. Nun schickt er den General Ende September in den Ruhestand. Neuer Heereschef wird einer seiner engsten Vertrauten.
Zu den wenigen Mahnern in dieser Lage gehört der Bundesrechnungshof, die oberste deutsche Behörde, wenn es um die Ausgabenkontrolle geht. Bereits im Mai warnte der Chef, Kay Scheller, in einem Sonderbericht: Durch die geänderte Schuldenregel sei die Bundeswehr „umso mehr in der Pflicht, verantwortungsvoll mit dem Geld umzugehen und die Wirkung der Verteidigungsausgaben spürbar zu erhöhen.“
Prüfungsergebnisse des Rechnungshofs zeigten, „dass es dem BMVg und der Bundeswehr oft nicht gelingt, die finanziellen Mittel zielgerichtet und wirtschaftlich zu verwenden.“ Das Risiko für unwirtschaftliches Handeln steige zudem, wenn dem Faktor Zeit Priorität eingeräumt werde. Im Klartext: Wenn es schnell gehen soll, wird es noch teurer.
Der Fall Büchel belegt das. Die ersten F-35 für das Taktische Luftwaffengeschwader 33 sollen 2027 dort stationiert werden. Über viele Jahre haben etliche Verteidigungsminister der Union keine Nachfolger für die altersschwachen Tornados organisiert – darunter Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer, die jeweils auch auf grundsätzliche Bedenken der SPD trafen. Erst mit Beginn des russischen Angriffskriegs fanden sich neue Mehrheiten.
Das ist nun Teil der Kostenexplosion. Im Dezember 2022 bestellte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ohne seriöse Kostenberechnung 35 Exemplare der modernen Bomber. Einer der Gründe für die kurz vor Weihnachten gefällte Entscheidung, noch rasch mehr als acht Milliarden Euro nach Washington zu überweisen, war die Tatsache, dass es dem Beschaffungswesen bis dahin nur gelungen war, ein Hundertstel des Sondervermögens auszugeben. Da kam die F-35-Bestellung offenbar gerade recht. Für die Umbaumaßnahmen in Büchel rechnete die Luftwaffe zunächst sehr grob mit etwa 260 Millionen Euro.
Das Ministerium will sich nicht äußern
Im Haushaltsausschuss ahnten die Parlamentarier, dass die Zahlen überaus beweglich sein könnten. Bereits am 14. Dezember 2022 verpflichteten sie das Verteidigungsministerium, alle sechs Monate Rechenschaft über die Beschaffung und Baufortschritte in Büchel vorzulegen. Gäbe es diese Pflichtberichte für das Parlament nicht, wüsste die Öffentlichkeit nichts über die Summen, die das Projekt verschlingt. Denn fragt man das Verteidigungsministerium direkt, erhält man zur Antwort: „Die Projektdetails sind als Verschlusssache eingestuft. Insofern können hierzu keine weiteren Angaben erteilt werden.“
Das Ministerium hat es stets vermieden, über Misswirtschaft und Pannen im eigenen Haus Rechenschaft abzulegen. Doch unter Pistorius sind die Bemühungen stark ausgedehnt worden, meist mit Verweis auf eine veränderte Sicherheitslage.
Mit dem nahezu unendlichen Geldsummen, die jetzt zur Verfügung stehen, kommt es nun so: Bereits im September 2023 teilte das Ministerium in einem Entwurf für den Wirtschaftsplan des Sondervermögens mit, dass innerhalb weniger Monate der Kostenrahmen für die Bau- und Infrastrukturmaßnahme in Büchel um weitere 116 Prozent gestiegen sei. Statt 635 Millionen brauche man nunmehr 1,377 Milliarden. Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz nannte das „megasauärgerlich“. Das Ministerium will sich auch dazu nicht äußern, „interne Prozesse“, man bitte um Verständnis.
Ende Juli musste Dennis Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär bei Finanzminister Lars Klingbeil (beide SPD), den Abgeordneten mitteilen, dass die Kosten „außerplanmäßig“ nunmehr sogar auf 1.948.882 Euro gestiegen seien. Die Ursachen seien vielfältig, so Rohde in einem Schreiben, das der F.A.Z. vorliegt. Er erwähnt beispielsweise höhere Personalkosten, die dadurch entstünden, dass Bauarbeiter ohne Sicherheitszertifizierung von US-sicherheitszertifiziertem Sicherheitspersonal begleitet werden müssten, weil die deutsche Sicherheitsüberprüfung so lange dauert. Erwähnt werden auch die „hohe Installationsdichte“ und „abweichende Baugrunderkenntnisse“. Auch ein „generalunternehmerspezifischer Kalkulationszuschlag“ von 21 Prozent wird erwähnt. Auch fehlen gestiegene Materialkosten in der Aufzählung nicht.
Die Linke spricht von einem „Milliardengrab“
Zu alledem sagt der erfahrene Grünenhaushaltspolitiker Sebastian Schäfer: „Die Vervierfachung der ursprünglich geplanten Kosten zeigt, dass das Verteidigungsministerium immer noch nicht in der Zeitenwende angekommen ist. Statt sich von Anfang an ehrlich zu machen, tritt die finanzielle Wahrheit bei vielen Projekten nur scheibchenweise zutage. So wird der Rückhalt für die notwendigen Investitionen in unsere Sicherheit gefährdet.“
Erschwerend kommt hinzu, dass den Parlamentariern keinerlei Spielraum blieb. Im Schreiben an den Haushaltsausschuss heißt es: Die Einhaltung der amerikanischen Sicherheitsvorgaben sei ein „dominanter Planungs- und Kostenfaktor“, und „deren Einhaltung zwingend geboten“. Wenn der Mehrkosten-Vertrag nicht abgezeichnet werde, wanke der Zeitplan, es komme zu weiteren „nicht unerheblichen Mehrkosten“. Man müsse bis „spätestens November 2026“ fertig werden, da die Amerikaner für ihre geheime Technik „nur über ein Installationsteam“ verfügten, „das über mehrere Monate im Voraus ausgeplant ist“, so das vertrauliche Dokument. Es gebe „keinerlei zeitlichen Puffer, um das Projektziel zu erreichen“.
Die Abgeordneten stimmten schließlich mehrheitlich zu. Die Linke sagte Nein. Ulrich Thoden, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, erläuterte der F.A.Z., die Kostensteigerung sei „selbst für den Kontext von Rüstungsprojekten ungewöhnlich hoch. Die Eilbedürftigkeit allein kann nicht für die Fastverdopplung der Kosten herhalten.“ Man befürchte, dass es weitere Kostensteigerungen geben werde, die Schweiz erlebe dies gerade ebenfalls, von einem „Milliardengrab“ müsse man reden. Für die Linke gilt deshalb: „Ein Stopp des Rüstungsprojektes F-35 ist geradezu überfällig.“
Das Verteidigungsministerium, zu weiteren Mehrkosten befragt, kann dem nicht widersprechen. Weitere Preissteigerungen zur Einhaltung der „extrem ambitionierten Vorgaben“ seien nicht auszuschließen, teilt eine Sprecherin mit. Das sieht der Verteidigungspolitiker Rüdiger Lucassen von der AfD ebenso. Er sagt, es gebe einen Vertrag zwischen den beiden Regierungen, auf den weder das Finanz- noch das Verteidigungsministerium Einfluss hätten. „Kostensteigerungen im laufenden Projekt müssen daher einkalkuliert werden“, besonders wenn Sicherheitsvorgaben „fremdbestimmt“ würden. Es bleibe zu hoffen, dass die Regierung daraus lerne. „Wenn Merz eine militärische Führungsrolle in Europa übernehmen will, darf er sich nicht über den Tisch ziehen lassen.“
Neue Helikopter passen nicht in die Hangars
Büchel ist dafür nur ein Beispiel. Ein ähnlicher Kontrollverlust droht bei einem anderen Großprojekt, der Beschaffung von 60 schweren Transporthubschraubern, ebenfalls in Amerika. Auch hier lagen die Kostenannahmen bei anfangs sechs Milliarden und stieg innerhalb weniger Monate auf etwa acht. Zudem wurde nicht genug bedacht, dass die neuen Chinook-Helikopter an Standorten wie Holzdorf und Laupenheim nicht in die Hangars des Vorgängermodell passen.
Bei Versuchen, so hieß es in Berichten, sei die Luft aus den Reifen gelassen worden, um das Einstellen irgendwie zu erzwingen; statt sechs gingen höchsten vier Exemplare in einen Hangar, wenn überhaupt. Schon jetzt sind „in einer ersten Abschätzung“, so das Ministerium, 750 Millionen Euro für die Baumaßnahmen veranschlagt. Eine Sprecherin teilt auf Nachfrage mit, dass die Hubschrauber durchaus auch draußen stehen könnten, sie seien „für einen Betrieb im Freien ausgelegt und geeignet“. Ein Abstellen dort sei also „bei Bedarf möglich“.
Dagegen kann man einwenden, dass nicht erst der Drohnenkrieg zwischen Russland und der Ukraine gezeigt hat, dass draußen stehende Fluggeräte leichte Ziele für Angriffe sind. Dennoch ist selbst dieser Fall nicht der erste mit unpassenden Hubschraubern: Als die Marine vor ein paar Jahren den NH90-Sea-Tiger orderte, wurde nicht oder ungenügend bedacht, dass der neue Bordhubschrauber auf den Fregatten nicht in die bisherigen Hangars passt.