Donald Trump begnügte sich nicht damit, den Einsatz von achthundert Soldaten der Nationalgarde gegen die angeblich außer Kontrolle geratene Gewalt in Washington anzukündigen. Man werde „bei Bedarf“ auch das Militär hinzuziehen, fügte der amerikanische Präsident hinzu. Reguläre Streitkräfte also. Auch wenn „die Leute“ dann sagten: „Oh, das ist so furchtbar.“ Das Militär sei über die Jahre hinweg oft eingesetzt worden, behauptete er.
Offiziell entspricht Trumps Vorgehen in der Hauptstadt dem Anspruch von „Recht und Ordnung“, für den er im Wahlkampf viel Zustimmung bekommen hatte. Nicht umsonst zog der Republikaner die Parallele zu seinem erfolgreichen „Kampf“ gegen illegale Übertritte an der amerikanischen Südgrenze.
Kampf gegen Drogen und Migration
Doch die Ankündigung fällt auch in eine Reihe von Schritten, mit denen Trump seit seinem Amtsantritt die Grenzen des Einsatzes amerikanischer Soldaten auf eigenem Boden aufweicht. Seit Januar hat der Präsident per Erlass etwa 10.000 Soldaten an die Südgrenze entsendet, um im Vorgehen gegen illegale Grenzübertritte und dem Kampf gegen Drogenschmuggel zu helfen. Flugzeuge der Luftwaffe sind an Abschiebeflügen beteiligt. Außerdem plant das Pentagon ein Haftzentrum für Migranten auf einer Militärbasis in Texas.
Im Juni schickte Trump 4000 Nationalgardisten und 700 Marineinfanteristen gegen den Willen des kalifornischen Gouverneurs nach Los Angeles, um die Polizei angesichts von Protesten gegen seine Migrationspolitik zu unterstützen. Als die Demonstrationen abgeklungen waren, schützten die Soldaten Razzien der Einwanderungspolizei in und um Los Angeles. Im vergangenen Monat dann soll Trump das Pentagon nach Berichten der „New York Times“ angewiesen haben, mit dem amerikanischen Militär gegen lateinamerikanische Drogenkartelle vorzugehen – einschließlich einer offiziellen Grundlage für die Möglichkeit militärischer Operationen auf See und auf ausländischem Boden.
Mit Sturmgewehren an der Kreuzung
Trump, der selbst nicht gedient hat, ist mehrfach mit respektlosen Aussagen über Militärangehörige aufgefallen, hat jedoch eine eigenwillige Faszination für das Militär. Zum 250. Gründungstag des Heeres, die auf seinen Geburtstag fiel, ließ er in Washington in diesem Jahr eine Militärparade abhalten. Als im Zuge der „Black Lives Matter“-Proteste 2020 die schlimmsten Unruhen seit den Sechzigerjahren losbrachen, spielte er mit dem Gedanken, reguläre Streitkräfte auf amerikanische Straßen zu schicken. Sein damaliger Verteidigungsminister Mark Esper schrieb später in seinen Memoiren, die Proteste hätten Trump so wütend gemacht, dass er vorschlug, man solle die Demonstranten „erschießen“.
In Washington sollen laut Angaben des Militärs hundert bis zweihundert Nationalgardisten gleichzeitig im Einsatz sein – und nicht „in direkten Kontakt“ mit Zivilisten kommen, sondern bei administrativen und logistischen Aufgaben helfen. Doch Nationalgardisten, die üblicherweise mit Sturmgewehren auftreten, sollen auch an Kreuzungen stehen, „um Verbrechen zu verhindern“. Am Dienstagabend bezogen Soldaten am Fuße des Washington Monument auf der bei Touristen beliebten National Mall Stellung.
Trump hatte bei seiner Ankündigung schon vorgebaut, dass ein solches Vorgehen nur der Anfang sein könnte. Es gebe noch viele weitere Städte, in denen die Lage so schlimm sei wie in Washington – dort mache man aber entschlossen den Anfang. Nach einem Bericht der „Washington Post“ vom Dienstag zieht die Trump-Regierung die Gründung einer „Schnellen Eingreiftruppe für Innere Unruhen“ in Erwägung. Sie soll aus sechshundert Nationalgardisten bestehen, die innerhalb einer Stunde einsatzfähig wären, heißt es in Dokumenten, die der Zeitung vorliegen. Die Soldaten würden dafür auf Militärstützpunkten in Alabama und Arizona stationiert und wären jeweils für die Gebiete östlich und westlich des Mississippi zuständig.
Dem Gouverneur oder Präsidenten unterstellt?
Üblicherweise darf die Nationalgarde nur auf Grundlage dreier gesetzlicher Rahmenbedingungen eingesetzt werden. Innerhalb eines Bundesstaates kann der Gouverneur die Soldaten im sogenannten State Active Duty aktivieren, damit sie zum Beispiel im Katastrophenschutz unterstützen. In diesem Fall liegt die Befehlsgewalt beim jeweiligen Staat. Im zweiten Fall wird die Nationalgarde unter Berufung auf „Title 10“ in den Bundesdienst berufen und untersteht der Kontrolle des Präsidenten. Auf dieser rechtlichen Grundlage hatte Trump die Nationalgardisten nach Los Angeles beordert.
Die dritte Möglichkeit ist ein Einsatz unter Bezug auf den sogenannten Title 32, den das Pentagon offenbar im Falle der schnellen Einsatztruppe in Erwägung zieht. In diesem Fall bliebe die Nationalgarde unter der Befehlsgewalt des Gouverneurs, führte jedoch Bundesaufträge aus. Entscheidend ist, dass die Soldaten in diesem Fall nicht dem „Posse Comitatus Act“ von 1878 unterstehen, der den Einsatz des Militärs im Inland verbietet. Die Überlegungen des Pentagons heben laut der „Washington Post“ hervor, dass es allerdings zu Spannungen kommen könnte, sollte der jeweilige Gouverneur eine Zusammenarbeit mit der Regierung ablehnen.
Eine weitere Ausnahme des „Posse Comitatus Act“ hatte Trump schon während der „Black Lives Matter“-Proteste 2020 öffentlich erwogen: Mithilfe des „Insurrection Act“, der Aufstandsklausel, hätte er reguläre Streitkräfte einsetzen können. Nach entschiedener Kritik aus Militärführung und Kabinett beließ er es damals jedoch dabei, die ihm direkt unterstehende Nationalgarde des Hauptstadtbezirks zu aktivieren. Mit einem solchen Gegenwind wäre in seinem derzeitigen Kabinett kaum zu rechnen.