Entwicklungshilfe für Syrien: Die Geber warten ab

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Tausende Syrer kehren derzeit in ihr Heimatland zurück. Sie wollen Häuser und Städte wieder aufbauen, die in dem fast 14 Jahre andauernden Bürgerkrieg zerstört wurden. Doch die Lage ist alles andere als stabil. Die Vereinten Nationen (UN) mahnen Rückkehrwillige zu Geduld und Vorsicht. Dabei spielt auch die angespannte humanitäre Lage im Land eine große Rolle: 7,2 Millionen Menschen leben als Vertriebene im eigenen Land, fast fünf Millionen als Flüchtlinge in den Nachbarstaaten.

Die UN-Flüchtlingsagentur geht in einer Mitteilung von Mitte Dezember davon aus, dass mehr als 90 Prozent der Bevölkerung in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, insbesondere jetzt im Winter. Das UN-Welternährungsprogramm schätzt zudem, dass fast 13 Millionen Syrer nicht wissen, wie sie sich ernähren sollen.

Es gebe große Euphorie und Hoffnung nach dem Sturz des langjährigen Gewaltherrschers Baschar al-Assad, sagt Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe. Die deutsche Hilfsorganisation hat seit 2020 mehrere Büros im Nordwesten Syriens und 150 Mitarbeiter vor Ort. Auch er sieht, dass viele Syrer nun zurückwollten, sagt er im Gespräch mit der F.A.Z. „Wir haben erste Assessments gemacht und schauen jetzt, wie man diejenigen, die zurückwollen, vielleicht auch unterstützen könnte.“

Der Winter verschlimmert die Lage

Seine Mitarbeiter berichten indes von der großen Zerstörung, etwa in Teilen der Großstadt Aleppo. Außerdem sei es sehr kalt. „Die Leute frieren, es gibt wenig Heizmaterial“, sagt Mogge. Viele Häuser hätten keine Fenster und keine Türen. Zwar würden die Märkte in Aleppo funktionieren, die Preise aber seien extrem hoch und die Einkommensmöglichkeiten gering.

Adib Abokhors, ein syrischer Mitarbeiter der Welthungerhilfe aus Aleppo, spricht auf der Seite der Organisation davon, dass 600 Gramm Brot umgerechnet etwa einen Dollar kosteten, viele Angestellte aber im Schnitt nur 25 Dollar im Monat verdienten. „Zerstörte Schulen, Krankenhäuser und Wassersysteme erschweren den Menschen den Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und sauberem Wasser“, sagt Abokhors weiter.

Die Sicherheitslage hat sich laut Mogge seit dem Sturz Assads zwar verbessert; früher habe es oft Angriffe und Bombardements im Projektgebiet gegeben. Doch auch jetzt sei die Situation volatil, sagt er. Deshalb heißt es nun: abwarten. Zumindest politisch gebe es derzeit keine Pro­bleme mit den neuen Machthabern in Damaskus. Aufgrund ihrer Arbeit in Idlib, wo die Islamistenmiliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) seit einigen Jahren schon herrschte, kennt die Welthungerhilfe die neuen Regierenden bereits. „Alle Projekte, die wir machen, müssen wir natürlich anmelden“, sagt Mogge. „Aber da muss man wirklich sagen, die haben uns arbeiten lassen.“

Zu den aktuellen Projekten der Welthungerhilfe gehört etwa die Verteilung von Mehl an Bäckereien oder von Sachgutscheinen, damit sich die Menschen etwas kaufen können. „Auch Bargeld wird verteilt“, sagt Mogge. „Wir versuchen normalerweise möglichst den Menschen die Würde zu lassen, selber zu entscheiden, was sie eigentlich essen und einkaufen wollen.“

Den Wiederaufbau fördern

Viele Hilfsorganisationen versuchen nun auch, sich offiziell in Damaskus zu registrieren, um nun Syrien nach dem Sturz Assads beim Wiederaufbau zu unterstützen, erzählt Mogge. Doch bei vielen Geldgebern herrsche Zurückhaltung. „Wir haben das Auswärtige Amt sofort kontaktiert und haben darum gebeten, unsere Hilfe aufzustocken“, sagt er. Aber dort wolle man ebenso abwarten wie im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), mit dem die Welthungerhilfe auch in Kontakt steht. „Wir hoffen einfach, dass die beiden Ministerien trotz schwieriger Haushaltslage und eines nicht verabschiedeten Haushalts die Erkenntnis haben, dass es jetzt wichtig ist, das syrische Volk weiterhin zu unterstützen und sich dort auch großzügig zu zeigen.“

Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe
Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfedpa

Die Bundesregierung ist einer der größten Unterstützer der Welthungerhilfe. 2011 hatte sie offiziell ihre staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien eingestellt, nachdem Assads Regime gegen die ersten Demonstranten bei den Aufständen während des Arabischen Frühlings gewaltvoll vorgegangen war. Seitdem wurde sie nicht wieder aufgenommen. Jedoch bestätigte das BMZ kurz darauf, dass nicht alle Mittel, die von der Regierung in Berlin nach Syrien fließen, gestoppt worden seien. Damals war die Rede von etwas mehr als fünf Millionen Euro, die laut Ministerium langfristig in Projekten in Syrien gebunden sind. Diese kämen der syrischen Bevölkerung etwa durch den Ausbau der Wasserversorgung und Bildungsmöglichkeiten oder auch der Versorgung palästinensischer sowie irakischer Flüchtlinge im Land zugute.

Seitdem ist die deutsche Hilfe deutlich angewachsen. Auf Anfrage der F.A.Z. teilt das BMZ mit, dass in diesem Jahr Nichtregierungsorganisationen und Projekte von UN-Organisationen in Syrien mit rund 132 Millionen Euro unterstützt würden. Dazu kommt noch humanitäre Hilfe aus dem Auswärtigen Amt. Seit 2012 habe das Entwicklungsministerium etwa elf Milliarden Euro „für Maßnahmen zur Hilfe der vom Krieg betroffenen Menschen in Syrien und zur Unterstützung der Nachbarländer Libanon, Jordanien, Irak und der Türkei bereitgestellt“. 725 Millionen Euro seien dabei an Projekte in Syrien selbst gegangen, so eine Sprecherin des Ministeriums.

Fast jährlich hat die Bundesregierung diese Unterstützung bei den Geberkonferenzen für das Land bekräftigt und aufgestockt. Deutschland bleibt damit einer der bedeutendsten Geberländer Syriens. Und Syrien gehörte in den vergangenen Jahren zu den größten Empfängerländern bilateraler Entwicklungshilfe aus Berlin. Nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien im Februar 2023 wurde die Hilfe noch einmal erhöht. „Unterstützt wurden insbesondere die Bereiche Gesundheit, Wasserinfrastruktur, Bildung, Ernährungssicherung sowie die Schaffung von Einkommen durch kurzfristige Arbeitseinsätze oder Unterstützung von lokalen Kleinstunternehmen“, so die Sprecherin.

Hat Assad von Hilfsgeldern profitiert?

Dabei bekräftigte das Ministerium, dass es keinerlei Zusammenarbeit mit den Machthabern in Damaskus oder offiziellen Stellen des Assad-Regimes gebe. Das meiste Geld kommt demzufolge über Projekte der Vereinten Nationen ins Land. Nur lässt sich das eine schwer vom anderen trennen. Laut einem Bericht des Center For Strategic & International Studies aus dem Jahr 2021 konnte Assad durch einen vom syrischen Staat festgesetzten und „verzerrten Wechselkurs“ stark von internationaler Entwicklungshilfe profitieren. 51 Cent je Dollar aus dem Ausland sollen so zeitweise an den Regierungsapparat gegangen sein.

Das Syrian Network For Human Rights (SNHR) warnte zudem im vergangenen Jahr, dass viele der lokalen Nichtregierungsorganisationen von Anhängern des Assad-Regimes geleitet worden seien. Laut SNHR haben diese auch eng mit Organisationen der Vereinten Nationen zusammengearbeitet.

Auch vor der Entwicklungszusammenarbeit mit offiziellen Stellen in syrischen Rebellen-Regionen scheute die Bundesregierung nach eigenen Angaben zurück. Allerdings gab es bereits 2018 Medienberichte, wonach die Bundesregierung die Miliz HTS in der von ihr regierten Provinz Idlib finanziell unterstützen würde. Es seien keine BMZ-Gelder an militärische Gruppierungen wie die HTS geflossen, widerspricht das Ministerium gegenüber der F.A.Z. Lediglich der Betrieb von Krankenhäusern und Rettungsinfrastruktur in der Region, die durch „unabhängige syrische Nichtregierungsorganisationen betrieben“ würden, seien unterstützt worden. Schließlich habe Idlib eine erhebliche Zahl der Binnenvertriebenen in Syrien aufgenommen. Auch das Bildungssystem und die lokale Landwirtschaft in der Region erhielten Entwicklungshilfe aus Deutschland.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) stellte jüngst fest, dass durch diese finanziellen Mittel die HTS unter Drohung eines Zahlungsstopps aus Berlin beeinflusst worden sei; so habe man radikale Gesetzesvorhaben verhindern können, sagte Schulze. „Es gibt ein Zeitfenster, in dem wir die Entwicklung zum Positiven beeinflussen können“, fügte die Ministerin in Bezug auf künftige Entwicklungshilfe hinzu. „Man könnte sagen, das Entwicklungsministerium hat sich dreizehn Jahre lang auf diesen Moment vorbereitet.“