Wie geht es nach dem Regierungssturz weiter?

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In einem seltenen Schulterschluss haben das Linksbündnis und die Rechtsnationalen von Marine Le Pen in der Nationalversammlung der Mitte-Rechts-Regierung von Premier Michel Barnier das Misstrauen ausgesprochen. Der Sturz der Regierung treibt das Land in eine politische Krise, die auch wirtschaftliche Folgen für Deutschlands wichtigen EU-Partner haben könnte. Wie geht es nun weiter? Ein Überblick.

Gerät jetzt auch Präsident Macron ins Wanken?

Mit dem Misstrauensvotum wurde die Regierung gestürzt, an der Präsidentschaft von Emmanuel Macron ändert es nichts. Der Staatschef hat auch stets betont, dass er bis zum Ende seiner Wahlperiode 2027 im Amt bleiben will – Regierungssturz hin oder her. Frankreichs Linke und die Rechtsnationalen fordern aber immer lauter eine vorgezogene Präsidentschaftswahl und werfen Macron vor, mit der Parlamentsauflösung und der vorgezogenen Neuwahl im zurückliegenden Sommer die schwierige politische Lage selbst provoziert zu haben. Einer Umfrage des Instituts Toluna Harris Interactive zufolge befürworten 64 Prozent der Franzosen einen Rücktritt des Präsidenten. An diesem Donnerstagabend wird Macron sich in einer Fernsehansprache an die Franzosen wenden.

Steht Frankreich ohne Regierung da?

Jein. Barnier ist bereits im Elysée angekommen, um seinen Rücktritt einzureichen. Macron wird ihn aber voraussichtlich bitten, zunächst geschäftsführend im Amt zu bleiben. Nach Medienberichten will Macron sehr zügig, möglicherweise binnen weniger Tage, einen neuen Premierminister ernennen. Dieser würde dann ein neues Kabinett zusammenstellen. Mit schnellem Handeln will Macron auch Rufe nach einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl ersticken, heißt es.

Warum stimmten Le Pen und die Linken gemeinsam?

Eine Mehrheit gefunden hat der Misstrauensantrag des Linksbündnisses. Darin steht, die Regierung Barnier sei nicht länger tragbar, da sie den Wählerwillen verraten habe. Die Wähler hätten im zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen im Juli ihren eindeutigen Wunsch geäußert, die extreme Rechte zu verhindern. Barnier habe sich nun „den niederträchtigsten Bestrebungen“ des RN gebeugt. Obwohl der Misstrauensantrag des Linksbündnisses massive Kritik an ihrer Partei beinhaltet, hat Le Pen ihre Fraktion darauf eingeschworen, dafür zu stimmen.

Für ihre plötzliche Eile gibt es einen konkreten Grund, auch wenn Le Pen das bestreitet. Das Strafgericht in Paris hat für den 31. März das Urteil in dem Veruntreuungsprozess angekündigt. Le Pen soll als Parteivorsitzende jahrelang ein System illegaler Mitarbeiterverträge gebilligt haben. Auch nach dem Ermessen ihrer eigenen Anwälte droht eine Verurteilung. Der Staatsanwalt hat gefordert, ihr mit sofortiger Wirkung für fünf Jahre das passive Wahlrecht zu entziehen. Also ist es im Interesse Le Pens, eine vorgezogene Präsidentenwahl zu erzwingen. Sollte sie zur Präsidentin gewählt werden, genießt sie für die Dauer ihrer Amtszeit strafrechtliche Immunität.

Wird es jetzt vorgezogene Neuwahlen geben?

Nein. Präsident Emmanuel Macron kann keine vorgezogenen Parlamentswahlen organisieren, um eine Klärung herbeizuführen. Die Verfassung untersagt ihm, vor Juni 2025 Wahlen anzusetzen. Zurückzuführen ist das auf seine Entscheidung am 9. Juni, auf das schlechte Europawahlergebnis für seine Partei mit vorgezogenen Parlamentswahlen zu reagieren. Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte der Fünften Republik, dass eine Regierung aufgrund eines Misstrauensvotums zurücktreten muss. 1962 wurde der damalige Premierminister Georges Pompidou gestürzt.

Kann eine neue Regierung die Hürden überwinden, an denen Barnier gescheitert ist?

Das ist unklar. Keines der politischen Lager verfügt über eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament und Bemühungen um eine Koalition oder Kooperation sind bislang gescheitert. An dieser schwierigen Ausgangslage ändert sich auch für eine neue Regierung nichts. Macron hatte den als ehemaligen Brexit-Unterhändler der EU verhandlungserprobten Barnier als Premier ins Rennen geschickt in der Hoffnung, dass er einen Dialog zwischen den Lagern in Gang bringt. Ob das einem künftigen Premier besser gelingen wird, ist offen.

Was sind die Auswirkungen für Frankreich?

Die politische Krise, in der Frankreich sich seit dem Ausrufen der Parlamentsneuwahl seit dem Frühsommer befindet, verschärft sich. Neue Gesetze und Reformen können nicht verabschiedet werden. Hinzu kommt die Problematik des noch immer nicht verabschiedeten Sparhaushalts für 2025, der Auslöser der Misstrauensanträge gegen Barniers Regierung war. Notfalls greift zunächst weiter der Haushalt des laufenden Jahres – mit drohenden Steuererhöhungen für zahlreiche Menschen und dem Ausbleiben geplanter Entlastungen.

Die Finanzmärkte könnten angesichts der andauernden Krise und der ungelösten Haushaltsfrage Vertrauen in Frankreich verlieren, auch das Ranking des Landes könnte sich verschlechtern – was zu weiteren finanziellen Belastungen für das Land führen würde. Schon in den vergangenen Monaten haben heimische und ausländische Unternehmen mit Investitionen gezögert, dem Standort Frankreich droht ein Schaden, wenn die Hängepartie andauert.

Was bedeutet die Krise für Frankreichs internationale Rolle?

In der Außenpolitik gibt in Frankreich der Präsident den Ton an. Ein Andauern der politischen Krise daheim würde aber auch Macrons Auftritt auf internationaler Bühne oder in Brüssel beeinträchtigen. Wenn es außer in Deutschland angesichts einer vorgezogenen Bundestagswahl parallel auch in Frankreich politischen Stillstand gibt, ist das ein Problem für die EU.

Außenminister Sébastien Lecornu warnte bereits, dass Frankreichs Hilfe für die Ukraine bei einem Regierungssturz und dem Ausbleiben einer Haushaltseinigung leiden könnte. Frankreich liefere der Ukraine viel ausgesondertes Militärmaterial. Wenn Frankreich aber Haushaltsmittel zur Anschaffung neuer Waffen für die eigene Armee fehlten, könne es auch keine ausgedienten Flugzeuge oder Fahrzeuge an Kiew abgeben.