ÖVP und SPÖ wollen jetzt eine kleine Koalition versuchen

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In Österreich wollen Christdemokraten (ÖVP) und Sozialdemokraten (SPÖ) trotz großer inhaltlicher Differenzen und einer nur äußerst knappen Mehrheit versuchen, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Das wurde am Samstag bestätigt. Zuvor hatten die beiden Parteien zusammen mit den liberalen Neos über eine Dreierkoalition verhandelt, um die künftige Regierung auf eine breitere parlamentarische und gesellschaftliche Basis zu stellen. Doch stiegen die Neos am Freitag aus den Koalitionsgesprächen aus, weil die anderen Parteien nicht zu den notwendigen Reformen bereit seien, wie Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sagte.

Damit sind Neuwahlen vorerst vom Tisch, und der amtierende Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kann weiter versuchen, unter seiner Führung eine Regierung zu bilden. Nach dem Ausstieg der Neos hatte es zunächst auch gegenseitige Vorwürfe zwischen ÖVP und SPÖ gegeben.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bat die Vorsitzenden dieser beiden Parteien der einst sogenannten großen Koalition, Nehammer und Andreas Babler (SPÖ), zu einem Gespräch in die Wiener Hofburg. Im Anschluss teilte Van der Bellen am Freitagabend mit, es gelte weiter sein Auftrag an Nehammer, eine Regierung zu bilden. Er habe Nehammer und Babler „sehr deutlich zu verstehen gegeben“, dass die weitere Regierungsbildung „ohne Zeitverzug geschehen“ müsse. „Ich will Klarheit.“ Seit der Wahl sind schon beinahe 100 Tage vergangen.

Van der Bellen erklärt, warum die FPÖ außen vor bleibt

Damit bleibt zunächst die rechte FPÖ außen vor, die aus der Nationalratswahl im September mit 29 Prozent als stärkste Kraft hervorgegangen ist. Vor und nach der Wahl hatten alle anderen Parteien ausgeschlossen, mit der FPÖ beziehungsweise deren Vorsitzenden Herbert Kickl zusammen zu regieren. Deshalb hat Van der Bellen nicht wie üblich dem Wahlsieger den Auftrag erteilt, die Regierung zu bilden, sondern dem Zweiten, ÖVP-Chef Nehammer.

Der Bundespräsident erläuterte diese Entscheidung jetzt noch einmal ausführlich, offenbar, um der von der FPÖ verbreiteten Lesart entgegenzutreten, sie werde auf undemokratische Weise ausgegrenzt. Van der Bellen wies darauf hin, dass eine Regierung nicht 30 oder 40 Prozent der Mandate im Parlament benötige, sondern mehr als 50 Prozent. Aber niemand sei bereit gewesen, mit der FPÖ unter Führung Kickls eine Koalition einzugehen. „Die Hürden waren unüberbrückbar“, sagte Van der Bellen.

Neos bei einigen Themen zur Unterstützung bereit

Dass die Neos sich aus den Verhandlungen zurückgezogen hätten, sei „überraschend“ gewesen, sagte der Bundespräsident. „Zusammenfassend: Diese Dreiervariante ist Geschichte.“ Eine Zweierkoalition von ÖVP und SPÖ hätte nur eine Stimme Mehrheit mit 92 der 183 Abgeordneten im Nationalrat. Ein Abgeordneter mit abweichender Meinung oder auch nur ein Erkrankter könnte eine Abstimmungsniederlage für diese mögliche Regierung bedeuten.

Allerdings hat Meinl-Reisinger in ihrer Erklärung über den Rückzug der Neos zu verstehen gegeben, dass ihre Partei bereit sei, auch aus der Opposition heraus solche Projekte zu unterstützen, die sie für vernünftig halte. Dabei verwies sie zum Beispiel auf Reformen im Bildungswesen.

Nach dem Rückzug der Neos hatte die ÖVP zunächst der SPÖ die Schuld am Scheitern der angestrebten „Zuckerlkoalition“ zugewiesen: Bei den Sozialdemokraten hätten zuletzt die „rückwärtsgewandten Kräfte“ die Überhand gewonnen. Offenbar war Babler daraufhin ebenfalls zum Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen entschlossen. Nach dem Gespräch mit Van der Bellen gab er zusammen mit anderen führenden SPÖ-Politikern jedoch eine Stellungnahme ab, wonach ihre „Hand ausgestreckt“ bleibe. Der Ball liege bei Nehammer. Dieser äußerte öffentlich nur, er wolle Verantwortung übernehmen.

Doch wurde aus der Partei bestätigt, dass man bereit sei, weiter mit den Sozialdemokraten zu verhandeln. Wie zu hören ist, habe insbesondere der Wiener Landesverband der SPÖ dazu beigetragen, Babler zum Einlenken zu bringen.

Offenbar sollen schon an diesem Samstagnachmittag die Verhandlungen fortgesetzt werden. Von 13 Uhr an verhandelten ÖVP und SPÖ im Bundeskanzleramt, berichtete die Austria Presse Agentur unter Berufung auf Sozialdemokraten. Demnach sei ein Gespräch in größerer Runde geplant. Neben Babler sollen unter anderen Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder, Gewerkschafter Josef Muchitsch und der Fraktionsvorsitzende Philip Kucher teilnehmen.