Künstliche Intelligenz: Weltuntergang wider Willen

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Immer wieder mahnen KI-Experten, dass die Technologie zum Weltuntergang führen wird. Sie warnen vor hypereffizienten Systemen, die uns träge Menschen für überholt erachten, vor KI-Diktatoren oder Roboteraufständen. Eine grundlegende Frage geht in diesen Science-Fiction-Szenarien häufig unter: Was, wenn die KI das alles gar nicht will?

Erste Spuren einer Antwort finden sich in der Fotoausstellung Les Ruines de Paris in der Galerie Polka im Marais-Bezirk. Auf den Bildern, die hier hängen, hat künstliche Intelligenz die Welt untergehen lassen – oder zumindest die französische Hauptstadt. Pflanzen wuchern über die Haussmann-Fassaden, der Eiffelturm rostet und verfällt, menschenleere Stadtödnis. Die Glaspyramide des Louvre liegt in Scherben, die Türme der Kathedrale Notre-Dame bröckeln. Paris, die Stadt des Lichts, erloschen.

Für diesen Effekt nutzte das Fotografen-Duo Yves Marchand und Romain Meffre eine ganze Kette von KI-Programmen: Der Bildgenerator Midjourney erstellte das Bild, mit der Photoshop-KI bearbeiteten sie es, weitere Tools sorgten für mehr Tiefe und Details. Im Prozess generierten die beiden insgesamt 52.000 Bilder, aus denen sie 80 Ausstellungsstücke auswählten. Was den Niedergang herbeigeführt hat, lassen sie bewusst offen, ob Klimawandel, Atomkrieg oder Zombieapokalypse. Die Stadt ist verfallen, der Mensch verschwunden. Die künstliche Intelligenz zeigt uns, wie die Welt nach uns aussehen könnte. Das Problem dabei: Eigentlich hat die KI wenig Lust, unsere Welt untergehen zu lassen.

Je ikonischer das Bauwerk, desto heiliger ist es der KI

“Wir mussten Midjourney geradezu dazu zwingen, den Eiffelturm zu zerstören”, sagt Romain Meffre im Gespräch. Die KI scheiterte zunächst immer wieder daran, das Pariser Wahrzeichen im kaputten Zustand zu zeigen. Der Grund ist einfach: Der Algorithmus generiert ein Bild basierend auf den bereits existierenden Bildern, mit denen er trainiert wurde – und dort ist der Eiffelturm stets intakt.

Je ikonischer ein Bauwerk, desto heiliger und unantastbarer ist es für die KI. Den Eiffelturm lässt sie zunächst stehen, der Triumphbogen bleibt erst einmal unberührt und die Pyramide des Louvre intakt. Marchand und Meffre versuchten sich auch an der roten Windmühle des berühmten Pariser Varieté-Theaters Moulin Rouge. “Wir baten Midjourney, die Mühlenräder kaputt zu machen”, sagt Romain Meffre. “Aber jedes Mal waren sie sauber, völlig heil.” Letztlich lädierten sie die Flügel eigenhändig in Photoshop. Die Apokalypse bleibt vorerst Handarbeit.

Einzige Ausnahme: die Kathedrale von Notre-Dame. Als Marchand und Meffre die Maschine baten, Bilder der Kathedrale zu generieren, tauchte darauf plötzlich Rauch auf. Denn das Trainingsmaterial der Maschine war gefüllt mit all den Bildern des Kirchenbrandes von 2019. So generierte Midjourney ein Wahrzeichen in Flammen, ganz von allein. Erst wenn unsere reale Welt untergeht, tut sie das auch in der Vorstellung der KI.

Hinzu kommt der ästhetische Eigenwille der KI. “Midjourney will nicht enttäuschen”, sagt Romain Meffre, “also liefert es etwas Schönes, Barockes.” Die Ergebnisse waren spektakulär: Trümmerlandschaften, Rauchschwaden, brennende Autos auf den Straßen – sämtliche Klischees der Postapokalypse.

Die KI wollte das Moulin Rouge nicht beschädigen, also mussten die Fotografen selbst ran. Weltuntergang bleibt vorerst Handarbeit. © Yves Marchand & Romain Meffre /​ Polka Galerie /​ erstellt mit Midjourney

Diese laute, bombastische Vorstellung des Verfalls hat aber nichts mit seiner Realität zu tun, die Meffre und Marchand beim Fotografieren verlassener Orte und Ruinen überall auf der Welt kennengelernt haben. Die beiden fütterten den Algorithmus mit eigenen Aufnahmen als Referenzen, um den ästhetischen Eigensinn der KI zu unterdrücken. Auch Widersprüche blieben für die Maschine schwer zu begreifen, etwa ein Schwimmbecken ohne Wasser: Je weiter etwas außerhalb der Norm liegt, desto weniger kann die KI es greifen. Die Fotografen mussten immer wieder selbst Hand anlegen, die KI-Bilder nachträglich bearbeiten und montieren, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden waren.

KI will die Welt gar nicht untergehen lassen. Man muss sie zwingen

Verfall ist also ein Transfer, den die Technologie nur begrenzt leisten kann. Sie hat ein beschränktes Verständnis für Auflösungsprozesse, für Übergangsstadien, für Ambiguität. Dabei ist der Verfall von Monumenten eine zentrale Chiffre des postapokalyptischen Genres – man denke nur an die versunkene und löchrige Freiheitsstatue, die in der Schlussszene des Films Planet der Affen von 1968 auftaucht.

Vor allem legt das Experiment einen Wesenszug der Technologie offen: Generative künstliche Intelligenz ist fundamental konservativ. Sie reproduziert Bilder, die bereits existieren, errechnet einen Durchschnitt aus dem vertrauten Material. Sie ästhetisiert, fällt reflexhaft auf Klischees und leicht erkennbare Motive zurück. Fragt man ChatGPT nach dem Bild einer deutschen Familie, erhält man strahlende blonde Kinder in Dirndl und Lederhosen – und häufig mit zu vielen Fingern.

Der Blick des Algorithmus ist nicht neutral, sondern zutiefst voreingenommen. Die künstliche Intelligenz folgt einer Logik von Imitation und Gewohnheit. Das Material im Korpus, mit dem generative KI arbeitet, spiegelt menschliche Vorurteile, also tut es auch die KI.