Warum in Prag kein Öl mehr aus Russland ankommt

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Plötzlich blieben die russischen Öllieferungen in die Tschechische Republik aus. Der Industrieminister Lukáš Vlček notierte das am Mittwoch kurz auf der Plattform X und wies darauf hin, zur Besorgnis gebe es keinen Grund: Man sei darauf eingestellt und werde die staatlichen Reserven öffnen.

Während man in Prag offiziell auch am Donnerstag noch nach den Gründen für den Lieferstopp fahndete und der russische staatliche Pipelinebetreiber Transneft mitteilte, auf russischem Gebiet laufe der Betrieb normal, lokalisierte der Prager Regierungsbeauftragte für Energiesicherheit, Václav Bartuška, die Verantwortlichen dafür in Moskau: „Die Russen spielen wieder Spiele – klassische.“ Immerhin fließe das Öl – aus Russland, über Belarus und die Ukraine kommend – noch in die Slowakei und nach Ungarn. Die Slowakei hatte kürzlich vor einem Terroranschlag auf die Leitung gewarnt.

Der slowakische Innenminister, Matúš Šutaj Eštok, und Nachrichtendienstchef Tibor Gašpar berichteten, drei Personen würden verdächtigt, einen Anschlag auf die Gas- oder Ölpipeline vorbereitet zu haben. Einer sei slowakischer Staatsbürger, die beiden anderen Ukrainer, die umgehend überstellt worden sein sollen, einer an die ukrainischen Behörden, der andere an die ungarischen, weil er auch die ungarische Staatsangehörigkeit besitze. Die drei sollen mit Drohnen mehrere Einrichtungen der Energieinfrastruktur ausgespäht haben. Bei ihnen seien Geräte wie Wärmebildkameras, Nachtsichtgeräte und Störsender sowie Kommunikationsgeräte gefunden worden.

In der Slowakei wie auch in Ungarn zogen vor allem regierungsnahe Medien sogleich Parallelen zu dem Anschlag auf die Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee, für den ebenfalls Ukrainer als Urheber verdächtigt werden. Allerdings ist diesmal, soweit bislang bekannt, (noch) kein tatsächlicher Schaden angerichtet worden. Daher kann dieser Vorfall kaum die Ursache für den Lieferausfall beim für die Tschechen bestimmten Öl gewesen sein; jedenfalls nicht technisch.

Prag setzt auf eine andere Pipeline

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und in seinem Windschatten auch Länder wie die Slowakei, die Tschechische Republik und Bulgarien hatten innerhalb der EU eine Ausnahmegenehmigung für das gegen russische Ölprodukte verhängte Embargo erwirkt. Sie alle hingen zum Zeitpunkt des russischen Überfalls auf die Ukraine gleichermaßen stark von den russischen Energielieferungen ab. Ungarn und die Slowakei, deren Ministerpräsident Robert Fico ähnlich wie Orbán nicht mit Wladimir Putin brechen will, setzen auch weiterhin auf russisches Öl.

Der Transport wird über den ungarischen Konzern MOL abgewickelt, was zugleich wichtige Steuereinnahmen für den wegen EU-Strafen klammen Staatshaushalt in Budapest bedeutet. Bulgarien ist hingegen aus dem russischen Öl ausgestiegen. Und auch die Regierung in Prag hat sich bereits auf die Abnabelung von ihrem einst größten Gas- und Öllieferanten Russland vorbereitet: technisch wie politisch. Die EU-Ausnahmeregelung wurde daher nicht über den 5. Dezember 2024 hinaus verlängert. So ist es womöglich kein Zufall, dass genau einen Tag davor die Lieferungen ausblieben.

Die Ruhe, mit der der Lieferstopp in Prag hingenommen wurde, ist nicht nur in der Prager Vorratshaltung begründet, sondern mehr noch in der Ertüchtigung einer alternativen Versorgungsleitung. Durch die Transalpine Pipeline (TAL) wird seit 1967 Öl über 753 Kilometer von der Adria nahe Triest über Österreich in das bayerische Raffineriezentrum Ingolstadt gepumpt, seit 1995 auch bis an den nordböhmischen Raffineriestandort Litvínov. Um von russischen Lieferungen unabhängig zu werden, musste die Kapazität des letzten Leitungsabschnittes auf acht Millionen Tonnen im Jahr verdoppelt werden. Die Arbeiten stünden vor dem Abschluss, die Testphase „in diesen Tagen“ vor dem Anfang, ließ der Energiebeauftrage Bartuška wissen.

Im vergangenen Jahr waren noch 58 Prozent des in der Tschechischen Repu­blik verbrauchten Öls durch die Druschba-Leitung aus Russland gepumpt worden, abgewickelt von einer slowakischen Einheit des ungarischen Öl- und Gaskonzerns MOL. Doch mit solcherlei Freundschaft ist es nun wohl vorbei. Nach der Modernisierung der TAL-Pipeline könne das Land in der ersten Hälfte des nächsten Jahres endgültig auf russisches Öl verzichten, hatte die staatliche Betreibergesellschaft Mero versichert, die 70 Millionen Euro in den Ausbau investiert hat. Jetzt kommt das Aus für russisches Öl womöglich schon etwas früher.

Fico nimmt Moskaus Einladung an

Von Gaskäufen in Russland hatte sich das Land schon früher unabhängig gemacht. Das hat aber nicht verhindert, dass Haushalte und Industriebetriebe weiterhin mit aus Russland stammenden Molekülen heizen. Denn die deutsche Gasspeicherumlage – manche nennen sie „Gasmaut“ – verteuert die Importe von norwegischem Pipelinegas wie verflüssigtem Gas (LNG), das über deutsche Häfen importiert und durch deutsche Leitungen geschickt wird. Die Umlage auf die Transitgeschäfte verstößt mutmaßlich gegen EU-Recht, weshalb das Bundeskabinett ihre Streichung für diese Geschäfte per 1. Januar 2025 beschlossen hat, die Zustimmung des Bundestags steht aber noch aus. Solange das so bleibt, sorgt die – von Januar an noch mal steigende – Umlage dafür, dass Importgas durch preiswerteres russisches Pipelinegas verdrängt wird.

Von dem gibt es aktuell reichlich auf den Märkten Zentraleuropas. Doch möglicherweise nicht mehr lange: Die Ukraine will mit dem Auslaufen des Transitvertrages zum Jahresende kein russisches Gas mehr nach Zentraleuropa durchleiten. Die slowakische Wirtschaftsministerin Denisa Saková flog nach Angaben lokaler Medien dieser Tage eigens nach Sankt Petersburg, um in der Gazprom-Zentrale die Lage zu beraten.

Ungarns Außenminister Péter Szijjártó bekräftigte zuletzt, es gebe auf dem Markt kein besseres Angebot als das russische Gas. „Wir weisen alle Versuche zurück, darauf Einfluss zu nehmen, wie, woher und von wem wir Energie kaufen.“ Wenn westliche Staaten Ungarn kritisierten, dann sei das eine „große Heuchelei“, denn dort habe man die Importe von russischem Flüssiggas über See sogar erhöht, Frankreich beispielsweise um 110 Prozent in sechs Monaten. 87 Prozent der russischen LNG-Lieferungen gingen an Frankreich, Belgien und Spanien. Szijjártó, der in Russland mit einem hohen Orden dekoriert worden ist, reist weiterhin regelmäßig dorthin, zuletzt am Montag nach Moskau und im Oktober zum Gasforum nach Sankt Petersburg.

Der slowakische Regierungschef hat ebenfalls deutlich gemacht, dass sein Land nicht auf die russischen Energieimporte verzichten wolle. „Wir haben ein fundamentales Interesse daran, die Transitrouten für Gas und Öl durch die Ukraine beizubehalten, und wir werden das unseren ukrainischen Partnern sagen“, sagte Fico im Oktober. Alternativrouten seien zu teuer, und die Slowakei wolle ihrerseits den Status als Transitland behalten. Doch gebe es Druck aus Brüssel, dass „nichts mehr von Ost nach West fließt“.

Fico amtiert in seiner vierten Amtszeit seit 2023 wieder und hat die vorher ukrainefreundliche Politik der Regierung in Pressburg (Bratislava) teilweise revidiert. Er stoppte die Waffenlieferungen aus slowakischen Militärbeständen, erlaubte aber weiter Waffenkäufe. Rhetorisch und symbolpolitisch hat er eine völlige Kehrtwende hingelegt. So hat er eine Einladung Putins angenommen, zur Parade in Moskau anlässlich des Weltkriegssiegesgedenkens am 9. Mai zu reisen.