Was Trudeaus Rücktritt für Kanada bedeutet: Chance für Konservative?

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Als Justin Trudeau vor zehn Jahren zum ersten Mal ins Amt gewählt wurde, versprach er den Kanadiern als zweitjüngster Ministerpräsident in der Geschichte des Landes „sonnige Aussichten“. Als Trudeau am Montag seinen Rücktritt als Ministerpräsident und Vorsitzender der liberalen Partei ankündigte, waren diese strahlenden Zeiten für den Dreiundfünfzigjährigen lange vorbei. Mit seinem Rückzug reiht sich Trudeau ein in die Liste progressiver Staats- und Regierungschefs westlicher Länder, die in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren haben.

In Kanada hat die Konservative Partei nun die besten Chancen, die Regierung zu übernehmen. Die Liberalen liegen in Umfragen seit eineinhalb Jahren klar zurück. Pierre Poilievre, der seit zwei Jahren an der Spitze der Konservativen steht, hat keine Gelegenheit ausgelassen, die Politik Trudeaus scharf zu kritisieren.

„Dunkles Kapitel in Geschichte“

Nur kurz nach Trudeaus Rücktrittsankündigung ließ Poilievre seinem Unmut in einem Video auf der Plattform X abermals freien Lauf: Mit Trudeaus Rückzug ende ein „dunkles Kapitel“ in der kanadischen Geschichte, von echtem Wandel könne keine Rede sein. Schließlich hätten die liberalen Abgeordneten über Jahre hinweg mitgetragen, wie Trudeau das Land „gespalten“ habe. Als Belege für das angebliche Versagen der Liberalen führte Poilievre die „arbeitsplatzvernichtende“ CO₂-Steuer, „außer Kontrolle geratene“ Staatsausgaben und Trudeaus Einwanderungspolitik an.

In seiner Ansprache am Montag sagte Trudeau, dass Poilievres Vision „nicht die richtige“ für Kanada sei. Tatsächlich könnten ihre politischen Vorstellungen kaum unterschiedlicher sein. Als Sohn des früheren Ministerpräsidenten Pierre Trudeau setzte auch Justin Trudeau auf die liberalen Grundsätze seines Vaters. Mit seinem Amtsantritt 2015 verpflichtete er sich dem Klimaschutz, legalisierte Cannabis, förderte die historische Aufklärung sexueller Gewalt gegen Indigene und senkte die Steuern für die Mittelschicht.

Nach der Pandemie ging es abwärts

Doch nach der Corona-Pandemie geriet seine Regierung zunehmend unter Druck: Hohe Inflation, Wohnungsknappheit und wachsende Unzufriedenheit prägten die vergangenen Jahre. Trudeaus Sonnenschein-Politik fand bei vielen Kanadiern keinen Anklang mehr.

Poilievre, dessen Rhetorik Parallelen zu der Donald Trumps aufweist, setzt auf klare und zugespitzte Botschaften. Er hat angekündigt, die Staatsausgaben zu senken, die CO₂-Steuer abzuschaffen, die kanadische Öl- und Gasindustrie zu fördern, Kriminalität zu bekämpfen und Einwanderung zu begrenzen.

In der vergangenen Woche äußerte er sich zum drohenden Handelskonflikt mit den Vereinigten Staaten. Er sei zuversichtlich, mit dem künftigen Präsidenten Trump einen „großartigen Deal“ auszuhandeln, der beide Länder „sicherer, wohlhabender und stärker“ mache. Trump verhandele zwar „aggressiv“, müsse jedoch bedenken, dass Kanada seinem Nachbarn Öl und Gas zu „enormen Rabatten“ liefere.

„Gouverneur Trudeau“

Der Republikaner hatte im November Zölle von 25 Prozent angedroht, falls Kanada die Situation an der Grenze nicht in den Griff bekomme. Trudeau reiste daraufhin nach Mar-a-Lago, um die Spannungen zu entschärfen. Doch im Streit über den angemessenen Umgang mit der Bedrohung verlor der Ministerpräsident schließlich seine Finanzministerin und enge Vertraute Chrystia Freeland.

Trump legte seitdem nach und verspottete Trudeau wiederholt, indem er ihn als „Gouverneur“ bezeichnete. Nach Trudeaus Rücktrittsankündigung schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social abermals, Kanada solle mit den Vereinigten Staaten „fusionieren“. Damit, so Trump, „gäbe es keine Zölle“, das Land wäre „völlig sicher“ und viele Kanadier würden dies „lieben“.

Der drohende Handelsstreit mit den Vereinigten Staaten ist einer der Gründe, warum viele den Zeitpunkt für Trudeaus Rücktritt für besonders ungünstig halten. Der Ministerpräsident hat erklärt, im Amt zu bleiben, bis die Liberale Partei eine neue Führung gewählt hat. In der Zwischenzeit ist das kanadische Parlament bis Ende März vertagt, faktisch eine Zwangspause. Weder werden Gesetzentwürfe behandelt noch tagen die Ausschüsse, die Legislative ist lahmgelegt.

Die Liberalen gewinnen damit Zeit, sich neu zu organisieren, und entgehen vorerst einem von der Opposition angekündigten Misstrauensvotum. In ihrer Minderheitsregierung haben sie die Unterstützung aller anderen Parteien verloren, was eine vorgezogene Neuwahl zur Folge hätte, die eigentlich erst im Oktober anstünde.

Als mögliche Nachfolger für den Parteivorsitz gelten unter anderem die zurückgetretene Finanzministerin Freeland und Mark Carney, der frühere Chef der Bank of Canada und der Bank of England, den schon Trudeau in die Politik hatte holen wollen. Der Auswahlprozess wird nach Schätzungen etwa drei Monate in Anspruch nehmen. Und er könnte weitere Risse innerhalb der liberalen Fraktion offenbaren.