Beunruhigende Nachrichten zur Vogelgrippe werden häufiger: Zuletzt waren im Erbgut des Virus aus Abstrichen eines schwer erkrankten Patienten in Louisiana Anpassungen an den Menschen gefunden worden. Dies sei ein „wichtiger Weckruf“, schrieb der Epidemiologe und ehemalige Harvard-Forscher Michael Mina dazu auf der Plattform X. Der vorerkrankte, mehr als 65 Jahre alte Patient hatte sich offenbar bei infiziertem Geflügel angesteckt, in seinem Körper hatten sich die Viren vermehrt. Die dabei aufgetretenen Mutationen erleichterten dem Erreger den Eintritt in die Zellen des Mannes, teilte die US-Seuchenbehörde CDC mit. Anfang der Woche erklärte die Behörde dann, dass der Mann verstorben sei.
Eine der Anpassungen an den Menschen war zuvor bereits bei einem 13 Jahre alten asthmakranken Mädchen in der kanadischen Provinz British Columbia beobachtet worden, das nach einer H5N1-Infektion vor einem Monat so schwer erkrankt war, dass es an eine Beatmungsmaschine angeschlossen werden musste. Erst vor einigen Tage konnte es aus der Klinik entlassen werden.
Experte: Entscheidende Anpassungen des Virus hat es noch nicht gegeben
Diese in beiden schwer kranken Patienten aufgetretenen Veränderungen wurden bisher weder bei infizierten Vögeln noch bei Säugetieren beobachtet, teilte die CDC mit. In der freien Natur hat sich das Virus noch nicht an Menschen angepasst – das immerhin ist eine gute Nachricht.
Martin Beer, Experte für Vogelgrippeviren am Friedrich-Loeffler-Institut auf Riems, beobachtet die Situation in den USA. Wie auch die amerikanische und die europäische Seuchenbehörde und die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht er wegen dieser neuen Mutationen des H5N1-Virus allerdings keine neue Qualität im Seuchengeschehen, die Gefahr einer Pandemie ist den Fachleuten zufolge weiterhin „gering“. Das Virus sei immer noch in erster Linie ein Vogelvirus, erklärt Beer. Zudem sei die Zahl der Infektionen bei Menschen mit der grassierenden Klade 2.3.4.4b weit geringer als vor dem Jahr 2016. „Es sind in allen Fällen einzelne Spill-over-Infektionen ohne Virusweitergabe an andere Menschen“, sagt Beer. „Die bisher beobachteten Mutationen haben nicht dazu geführt, dass Hürden überwunden wurden, die eine effiziente Infektion und Virusweitergabe beim Menschen erlauben würden.“ Infektionsketten oder Clusterinfektionen habe es nicht gegeben. Offenbar ist das Virus nicht in der Lage, sich in den oberen Atemwegen des Menschen so gut zu vermehren, dass es über Tröpfchen oder Aerosole weitergegeben werden kann. Beer betont, dass das Virus H5N1 seit 27 Jahren in Vögeln kursiere und dass es immer wieder auf Menschen übergesprungen sei – aber „entscheidende Anpassungen“ habe es bisher nicht gegeben.
Mittlerweile wird Milch in Molkereien getestet
Dennoch bleibt die Lage angespannt. In den USA wurden in den vergangenen Monaten 66 Infektionen bei Menschen gemeldet, nach Angaben der CDC hatten sich 20 Infizierte bei Geflügel, die übrigen bei Kühen angesteckt. Das überrascht nicht, denn in den USA treten in vielen Rinderhaltungen Infektionen auf. Eine Überwachung der Milch erfolgte monatelang nicht, sodass das Virus sich leicht ausbreiten konnte. Mittlerweile wird Milch in Molkereien getestet, in dem besonders stark betroffenen Bundesstaat Kalifornien werden weitere Hygienemaßnahmen durchgeführt. Mit der Häufigkeit der Testungen steigt die Zahl der positiven Betriebe. Ob das System aber gut genug funktioniert, um das Virus einzudämmen, ist noch nicht absehbar. Die USA haben in der vergangenen Woche angekündigt, 306 Millionen US-Dollar für Bereitschafts- und Überwachungsprogramme sowie für medizinische Forschung auszugeben. „Auch wenn das Risiko für den Menschen gering ist, bereiten wir uns immer auf alle möglichen Szenarien vor“, erklärte Gesundheitsminister Xavier Becerra.
Es ist, erklärt Martin Beer, wichtig, die Infektionsquellen für Menschen bei gehaltenen Tieren so schnell und so gut wie möglich unter Kontrolle zu bringen. Mitarbeiter von betroffenen Betrieben müssten mit adäquater Schutzkleidung und gegebenenfalls mit antiviralen Medikamenten versorgt werden. Die Vogelgrippe H5N1 grassiert seit Jahren weltweit. Zunächst sorgte sie vor allem bei Wasservögeln wie Basstölpeln, Trottellummen und anderen in Kolonien brütenden Arten für viele Todesfälle. Aber auch Säugetiere steckten sich an und starben, vermutlich, weil sie infizierte Vögel gefressen hatten. Zudem dringt das Virus immer wieder in Ställe vor: Zuchtgeflügel, Nerze und Rinder stecken sich an, wenn sie verunreinigtes Futter gefressen haben oder die Hygiene in ihren Haltungen nicht gut genug ist. Viele Nutztiere mussten in den vergangenen Jahren getötet werden. Auch in Deutschland kommt es bei Geflügel und bei Vogelhaltungen in Tierparks oder Zoos immer wieder zu Ausbrüchen.
Das Risiko von Mutationen oder die Vermischung mit anderen humanen Influenzaviren ist derzeit auf der Nordhalbkugel wegen der hohen Infektionszahlen und der beginnenden Influenzasaison erhöht. „Die Situation muss genau verfolgt werden“, sagt Martin Beer. Die Zahl von Spill-over-Ereignissen müsse auf ein Minimum reduziert und eine Genomanalyse der Viren kontinuierlich durchgeführt werden.