Nicht nur auf Flügel, auch auf die Füße kam es an

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Flugsaurier waren die ersten Wirbeltiere, die flügelschlagend den Luftraum erobert haben. Von der späten Trias bis zum Ende der Kreidezeit waren sie ein Erfolgsmodell der Evolution. Dabei blieben sie, anders als die Vögel, stets Vierbeiner. Um ihre Flughaut auszuspannen, setzten die Flugsaurier zwar einen extrem verlängerten vierten Finger ein. Bei Bedarf konnten sie diesen Finger umklappen und die drei übrigen als Hand – beziehungsweise Fuß – benutzen. Wie Fossilien aus gut 160 Millionen Jahren Erdgeschichte bezeugen, kamen die Flugsaurier erstaunlich vielgestaltig daher. Kompakt gebaute Spezies, kaum größer als ein Sperling, gehörten ebenso zur geflügelten Reptilienfamilie wie langhalsige Riesen, die mit ihrer Flügelspannweite jeden Vogel weit übertrafen.

Wie aber konnten die Flugsaurier ganz unterschiedliche Lebensräume bevölkern und zu solch unglaublicher Größe heranwachsen? Wissenschaftler um Robert S. H. Smyth von der University of Leicester und Brent H. Breithaupt vom Bureau of Land Management des Wyoming State Office in Cheyenne kommen in der Zeitschrift „Current Biology“ zu dem Schluss, dass Hand und Fuß dabei eine zentrale Rolle gespielt haben. Mit multivariaten Analysemethoden studierten die Forscher die Hand- und Fußknochen, die bei der Fortbewegung auf allen vieren genutzt wurden.

Krallen halfen beim Klettern, verlängerte Finger dienten der Stabilität.
Krallen halfen beim Klettern, verlängerte Finger dienten der Stabilität.Rudolf Hima

Ursprünglich hatten Flugsaurier einen langen Schwanz und trugen auf einem kurzen Hals einen typischen Saurierschädel. Ein stark verlängerter fünfter Zeh spannte eine Flughaut zwischen Hinterbein und Schwanz aus. Wie bei den Fledermäusen waren also nicht nur Vorder- und Hinterbeine durch eine Flughaut verbunden. Die beiden hinteren Gliedmaßen waren ebenso aneinander gekoppelt, was ihrer Bewegungsfreiheit enge Grenzen setzte. Dass solch urtümliche Flugsaurier dennoch behände kletternd unterwegs waren, bezeugen stattliche Krallen an den drei Fingern, die nicht in den Flugapparat integriert waren. Mit ihnen konnten sich die Flugsaurier zum Beispiel an Baumrinde verankern und dank der kräftigen Muskulatur ihrer Arme zügig vorankommen. Die Evolution der Füße, die den Körper beim Klettern abstützten, führte mit der Zeit zu auffallend langen Zehen, die besseren Halt gaben.

Lange Zehen zum Klettern

Zu den jüngsten Vertretern dieses Typs zählt ein Fossil namens Anuro­gnathus aus dem späten Jura. Hand und Fuß charakterisieren den kleinen, grazil gebauten Flugsaurier, der in Solnhofener Plattenkalken entdeckt wurde, als ausgesprochenen Kletterkünstler. Dass er wahrscheinlich hinter Insekten her war, verrät sein Gebiss. Um sich Beutetiere, die er mit seinen großen Augen erspäht hatte, schnappen zu können, musste er wohl ähnlich flink und wendig umherfliegen wie heutige Fledermäuse. Ein langer Schwanz als Steuerruder wäre bei rasanten Flugmanövern bloß hinderlich gewesen – und tatsächlich begnügte sich Anurognathus mit einem Stummelschwänzchen.

Unabhängig davon hatten auch die Kurzschwanzflugsaurier um Pterodactylus im Laufe des späten Juras ihre Schwanzwirbelsäule extrem verkürzt. Gleichzeitig war die Flughaut zwischen den Hinterbeinen derart geschrumpft, dass die Flugsaurier mehr Beinfreiheit bekamen. Damit waren die Voraussetzungen erfüllt, um bodenständig zu werden. Mehrfach nutzten Kurzschwanzflugsaurier diese Chance und verließen ihren ursprünglichen Lebensraum im Geäst von Bäumen. Indem sie ihre Lebensweise so grundlegend änderten, wurde auch die Beschränkung der Flügelspannweite auf etwa 2,5 Meter obsolet. Gegen Ende der Kreidezeit erreichte Pteranodon longiceps zum Beispiel eine Flügelspannweite von bis zu sieben Metern, und der in Texas entdeckte Quetzalcoatlus northropi kam sogar auf zehn Meter.

Vorne Zehengänger, hinten Sohlengänger

Am Boden stützten sich die Kurzschwanzflugsaurier auf die drei Finger ihrer Hände, die nicht Teil des Flugapparats waren. Weil die Flügel samt Flugmuskeln den Körper vorderlastig machten, mussten diese Finger die Hauptlast tragen. Das bestätigen auch die zahlreichen fossilen Trittspuren. Die Kurzschwanzflugsaurier konnten dagegen, weil ihre Füße nicht mehr in die Flughaut integriert waren, mit der gesamten Sohle auftreten. Vorne waren die Kurzschwanzflugsaurier also Zehengänger, hinten Sohlengänger. Jeweils mit einer separaten Flughaut ausgestattet, ließen sich die Vorder- und Hinterbeine auf beiden Körperseiten unabhängig voneinander bewegen.

Die aufs Klettern spezialisierten Flugsaurier waren mit verhältnismäßig kurzen Gliedmaßen bestens zurechtgekommen. Kurzschwanzflugsaurier, die auf dem Boden zu Fuß gingen, tendierten dagegen zu deutlich verlängerten Mittelhandknochen, die entsprechend große Schritte erlaubten. Obwohl sich das Skelett der Flugsaurier hauptsächlich an die Erfordernisse des Fliegens anpassen musste, wurde es offenbar auch durch die Fortbewegung auf allen vieren geprägt.

In einer Gruppe von Kurzschwanzflugsauriern mit dem wissenschaftlichen Namen Ornithocheiridae ist die Fähigkeit, zu Fuß zu gehen, jedoch wieder verloren gegangen. Mit regelrecht verkümmerten Füßen dürften diese Flugsaurier an Land nur mühsam vorwärtsgekommen sein. Stattdessen verbrachten sie wohl, ähnlich wie heutzutage die Albatrosse, ihr Leben hauptsächlich auf hoher See. Dort nutzten sie die Winde über dem Meer, um unermüdlich zu fliegen. Weil meistens im Gleitflug unterwegs, konnten sie mit geringem Energieaufwand weite Strecken zurücklegen, immer bereit, sich bei passender Gelegenheit nahrhafte Happen aus dem Wasser zu fischen.

Das ökologische Setting von Pteranodon, dem jüngsten Spross der Orni­thocheiridae, bleibt allerdings rätselhaft. Denn dieser Kurzschwanzflugsaurier, wie manche Dinosaurier und alle heutigen Vögel mit einem zahnlosen Schnabel ausgestattet, lebte zwar am und vom Meer. Seine Gliedmaßen glichen jedoch eher den Armen und Beinen von bodenständigen Landbewohnern. Zweifellos werden die Flugsaurier mit ihrer Formenvielfalt auch weiterhin nicht nur die Phantasie der Paläontologen beschäftigen. Was wären die Fantasy-Welten ohne ihre fossilen Vorbilder?