100 Jahre MPI für Völkerrecht in Heidelberg

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Das Max-Planck-Institut für ausländisches Recht und Völkerrecht (MPIL) feierte seinen hundertsten Geburtstag – und der Rahmen an diesem 19. Dezember hätte kaum würdiger sein können. Die Alte Aula der Universität Heidelberg war bis auf den letzten Sitz besetzt, so viele Krawatten und Kostüme hatte man in deutschen akademischen Zusammenhängen lange nicht gesehen. Die protokollarisch korrekte Begrüßung der Ehrengäste nahm mehrere Minuten in Anspruch. Der Termin so kurz vor den Ferien hatte dem Interesse offenbar keinen Abbruch getan. Wieso aber war man vor hundert Jahren auf die Idee gekommen, exakt fünf Tage vor Heiligabend ein Forschungsinstitut zu gründen?

Aus „budgettechnischen Gründen“, wie die Institutsdirektorin Anne Peters in ihrer Begrüßungsansprache erläuterte. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hatte noch Mittel übrig, die zum Jahresende 1924 verfallen wären. Da kam es dem Generalsekretär gerade recht, dass der Rechtswis­senschaftler Viktor Bruns die Idee eines Instituts für Völkerrecht an ihn herangetragen hatte. Wer je Gelder in großen In­stitutionen verwaltet hat, kennt solche Überlegungen – auch wenn selten ein ganzes Forschungsinstitut dabei herumkommt.

Turbulenzen nach 1933

Der Hintergrund der Gründung war weniger kontingent. Im Nachgang des Versailler Vertrages waren zahlreiche zwischenstaatliche Rechtsfragen zu lösen; es ging um Entschädigungen, Vertreibungen, Grenzziehungen; Schiedsgerichte florierten. Darauf war das Deutsche Reich nicht vorbereitet, denn die Disziplin des Völkerrechts war hier im neunzehnten Jahrhundert sträflich vernachlässigt worden. Von Anfang an verfolgte das am 19. Dezember 1924 gegründete Institut also auch ganz praktische Ziele, beriet die Reichsregierung und vertrat sie in internationalen Verfahren.

Diese enge Anbindung an die Politik führte nach 1933 zu Turbulenzen, wie der Historiker Philipp Glahé erläuterte, der drei Jahre lang zur Institutsgeschichte geforscht hat und gemeinsam mit Alexandra Kemmerer einen dicht gefüllten Blog zum Institutsgeburtstag verantwortet. Zwar versuchte man, das wissenschaftliche Niveau hoch zu halten und sich eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren. Zugleich aber wurde die nationalsozialistische Außenpolitik wohlwollend begleitet, und Carl Bilfinger, ein Schüler von Carl Schmitt und Vetter des Gründungsdirektors, der Bruns 1944 hin als Institutsdirektor beerbte, war ein bekennender Nationalsozialist nicht nur im förmlichen Sinne der Parteimitgliedschaft (seit 1. Mai 1933). Als er 1949 dennoch entnazifiziert wurde, verlegte er den Sitz des unter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft wiedergegründeten Instituts von Berlin an seinen Wohnort Heidelberg.

Es kam ein Schiff beladen: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Institut von Berlin nach Heidelberg verlegt. Die auf diesem Foto dokumentierte Weihnachtsfeier im Saxo-Borussen-Haus muss vor 1954 stattgefunden haben.
Es kam ein Schiff beladen: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Institut von Berlin nach Heidelberg verlegt. Die auf diesem Foto dokumentierte Weihnachtsfeier im Saxo-Borussen-Haus muss vor 1954 stattgefunden haben.Archiv der Max-Planck-Gesellschaft

Es war Bilfingers Nachfolger Hermann Mosler, der den Bruch mit der Vergangenheit markierte. Er wurde aus Bonn, wo er die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes aufgebaut hatte, nach Heidelberg berufen und verstand das Völkerrecht in Übereinstimmung mit der Staatsräson der neuen Republik nicht mehr als Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen, sondern als Möglichkeit, Deutschland in die internationale Gemeinschaft zu integrieren. Sein Direktorium von 1954 bis 1980 prägte das Institut nachhaltig.

Stephan Harbarths Konditionalsatz

Und heute? Alle Gastredner waren sich einig: In Zeiten, in denen die internationale Ordnung durch autoritäre Alleingänge bedroht und durch postkoloniale Kritik hinterfragt wird, ist das MPIL wichtiger denn je. Zwischen den Zeilen waren freilich für den einen oder anderen auch sanfte Mahnungen herauszuhören. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, schloss sein Grußwort sicher mit Bedacht mit der Wendung, er freue sich auf die weitere Zusammenarbeit, „wenn“ sich das MPI seinen Praxisbezug bewahre. Und als der Präsident des Europäischen Gerichtshofs, Koen Lenaerts, die Bedeutung einer europäischen Gesellschaft betonte, nahm er eine Lieblingsidee von Armin von Bogdandy auf, dem Kollegen von Anne Peters im Direktorium.

So konnte man, nicht anders als im Staatenverkehr selbst, der Wortwahl im Zeremoniellen Hinweise auf Richtungsauseinandersetzungen entnehmen. Die Arbeit des Heidelberger Instituts hatte traditionell ein starkes praktisches, politikberatendes Element, mit Bogdandy wurde 2002 aber ein Theoretiker zum Direktor gemacht. Manche Beobachter meinen, dass die Heidelberger Expertise seitdem an rechtspolitischer Bedeutung verloren habe, andere loben ein Besinnen auf die eigentliche Aufgabe eines Max-Planck-Instituts, Grundlagenforschung.

Den Festvortrag hielt Martti Koskenniemi. Seine begriffsgeschichtlichen Überlegungen zur „Gesellschaft“ in der Völkerrechtstheorie hatte er ähnlich unlängst in Zürich vorgestellt. In Heidelberg waren sie gleichwohl besonders relevant, hat der Gesellschaftsbegriff in der Institutstradition doch eine große Rolle gespielt. Auch über diesen Vortrag wurde am Büfett später lebhaft diskutiert. Was No-Nonsense-Juristen als „Wortgaukelei“ erschien, war für manchen Nachwuchsintellektuellen ein genialer Wurf. Solange das MPIL beide Gruppen an sich bindet, kann es optimistisch in seine Zukunft blicken.