Elon Musk: Donald Trumps oberster Disruptor

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Wer angesichts der bevorstehenden Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus glaubte, es hätte für den Westen nicht schlimmer kommen können, der hatte Elon Musk nicht auf der Rechnung. Der in den vergangenen Jahren nach rechts außen abgedriftete Tech-Milliardär hatte sich im Sommer entschieden, den Republikaner im Wahlkampf zu unterstützen – als Großspender, als Chefpropagandist auf seiner Plattform X und als Extraeinlage auf den Großkundgebungen der „Make America Great Again“-Bewegung.

Kurz nach seinem Wahlsieg kündigte Trump an, Musk damit zu beauftragen, den Verwaltungsstaat zu zerschlagen. Der Wirbel um das „DOGE“ genannte Beratergremium des Schattenpräsidenten tobte noch in Washington, da beschloss Musk vor Weihnachten, auch anderswo Staub aufzuwirbeln.

Seither kann er eine beeindruckende Leistungsbilanz vorweisen: Musk nahm binnen weniger Tage London, Berlin und Ottawa ins Visier. Zumeist nutzt er seine Plattform für Attacken unterhalb der Gürtellinie. Er forderte Neuwahlen in Großbritannien und die Freilassung eines britischen Rechtsextremisten. Er sagte, Premierminister Keir Starmer müsse gehen – und überwarf sich zuletzt sogar mit dem Trump-Verbündeten Nigel Farage, dem Anführer der rechtspopulistischen Partei Reform UK.

Frühzeitig sagte Musk das politische Ende Justin Tru­deaus in Kanada voraus. Auch nannte er den Liberalen einen „unerträglichen Narren“, nachdem dieser die Niederlage Kamala Harris’ als einen Rückschlag für Frauen bezeichnet hatte – was wiederum eine Retourkutsche für Trump war, der Trudeau zuvor den „Gouverneur“ von Kanada genannt hatte, das er gerne als 51. Bundesstaat den Vereinigten Staaten anschließen möchte.

Bundeskanzler Olaf Scholz nannte Musk nach dem Scheitern der Ampelkoalition – einer „sozialistischen Regierung“ – schließlich einen „unfähigen Narren“. Dann rief er zur Wahl der AfD auf und bezeichnete die rechtspopulistische Partei als den letzten „Funken Hoffnung“ für Deutschland. Am Donnerstag gab der X-Chef mit 211 Millionen Followern AfD-Chefin Alice Weidel mit einem Live-Gespräch auf seiner Plattform eine Bühne. Weidel lobte demütig die angenehme Gesprächsatmosphäre. Endlich könne sie als „konservativ-libertäre“ Politikerin einmal ausreden, ohne unterbrochen und „geframt“ zu werden. Sie schmiss sich an ihren Gastgeber heran wie sonst nur Giorgia Meloni. Die italienische Ministerpräsidentin umgarnt Musk schon länger.

Nicht lange her, da war Musk noch Demokrat

Der französische Präsident Emmanuel Macron wirft Musk Wahleinmischung vor: „Wer hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass sich der Inhaber eines der größten sozialen Netzwerke der Welt direkt in Wahlen einmischen würde, darunter in Deutschland?“ Den Zeitraum von zehn Jahren hatte Macron nicht zufällig gewählt: 2015 hatte Trump seine Bewerbung um die republikanische Präsidentschaftskandidatur angekündigt.

Damals war Musk noch Demokrat. Oder wahlweise halb Demokrat, halb Republikaner, wie er einmal sagte. Ein Trump-Unterstützer war er definitiv nicht. Die Silicon-Valley-Boys, zu denen er zählte, orientierten sich noch am liberalen Establishment, auch wenn einige von ihnen fiskalkonservativ waren. Mit einer Ausnahme: Peter Thiel. Der unterstützte Trump schon 2016. Von Musks früherem Geschäftspartner wird noch die Rede sein. Was aber ist in der Zwischenzeit mit Musk selbst passiert? 2020 wählte er noch Joe Biden. Warum sieht er sich nun als Wadenbeißer Trumps? Oder ist er auf eigene Rechnung unterwegs? Ist alles rationales Kalkül? Oder einfach provokatives Gehabe?

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Musk feuert seine Beiträge auf X zu jeder Tages- und Nachtzeit ab, gespickt mit Verunglimpfungen und halbstarken Emojis, an denen er eine infantile Freude hat. Der hyperaktive Rabauke leidet an Asperger. Sein Biograph Walter Isaacson erklärt Musks Neigung zum Mobbing mit Erfahrungen in seiner Kindheit, in der er seelischen Missbrauch durch den Vater erfuhr. Es gibt da eine Anekdote aus den frühen Jahren in Südafrika. Die Eltern hatten sich getrennt. Sohn Elon blieb bei Vater Errol, der dunkle Seiten gehabt haben soll. Als Elon einmal in der Schule verprügelt worden sei, so Isaacson, habe der Vater mit seiner „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“-Persönlichkeit eine Stunde auf ihn eingeredet, für die anderen Jungs Partei ergriffen und Elon dumm genannt.

Über sein Großwerden als Sonderling sagte Musk später, wer noch nie eins auf die Nase bekommen habe, der wisse nicht, wie sich das auf den Rest seines Lebens auswirke. Er habe später gelernt, zurückzuschlagen. Musk, so Isaacson, sei süchtig nach Drama und Risiko und habe selbst Dämonen. Dunkle Wolken, die plötzlich über ihm hingen und ihn in einen eiskalten Menschen verwandelten. Mitarbeiter in seinen diversen Unternehmen bekämen das häufiger zu spüren.

Im Schnitt postet Musk 61 Beiträge am Tag

Musk ist nicht nur rastlos. Er hat etwas Manisches. Auf der Plattform X, die der selbst ernannte Verteidiger der Meinungsfreiheit 2022 kaufte, hat er im vergangenen Jahr allein bis Juli, als er für Trump in den Ring stieg, 13.000 Beiträge gepostet – im Schnitt 61 am Tag. Fast genauso süchtig ist er nach Videospielen. Manchem in der Tech-Szene macht das Angst. Investoren fragen sich, wie er gleichzeitig noch seine sechs Unternehmen führen kann, darunter neben X den Elektroautohersteller Tesla und den Raumfahrtkonzern SpaceX, zu dem wiederum das Starlink-Satelliten-Unternehmen gehört, das eng mit dem Pentagon verknüpft ist.

Es gehört nicht zu Musks Stärken, sich zu fokussieren. Er will alles gleichzeitig machen und überall mitmischen. Immer denkt er in ganz großen Dimensionen. Ein wenig Größenwahn kann für jemanden, der zum Mars will, durchaus funktional sein. Doch hat seine Hyperaktivität womöglich noch einen anderen Treibstoff. Das „Wall Street Journal“ berichtete vor einem Jahr, leitende Mitarbeiter seiner Unternehmen und andere in seiner Umgebung hätten immer wieder Bedenken wegen seines Drogenkonsums geäußert. Der reichste Mann der Welt nehme Kokain, LSD, Ecstasy und Magic Mushrooms. Teilnehmer seiner Privatpartys auf dem ganzen Globus müssten vorher „non-disclosure agreements“, Verschwiegenheitsverträge, unterzeichnen und ihre Mobiltelefone abgeben.

Die Folge seiner ausschweifenden Feiern seien Ausfallerscheinungen: Der 53 Jahre alte Exzentriker leide an Schlafentzug und wirke mitunter ausgebrannt, trete bisweilen verstört auf und rede sinnloses Zeug daher. Mit dem Drogenkonsum verstoße er gegen das Gesetz und die Regeln seiner eigenen Unternehmen, die er damit gefährde.

Schlagzeilen machte 2018 eine Sex- und Drogenparty des Milliardärs und Musk-Freundes Steve Jurvetson in dessen kalifornischem Anwesen im Jahr zuvor. Musk bestätigte später seine Teilnahme. Er habe geglaubt, es sei ein Kostümfest, und habe die Veranstaltung verlassen, ohne irgendwelchen Sex gesehen zu haben. Ohnehin habe er im Silicon Valley noch nichts von Sexpartys gehört. Wenn man wilde Partys wolle, sei dies der falsche Ort. Seinem Biographen Isaacson sagte er zudem, er stehe nicht darauf, illegale Drogen zu nehmen.

Er wandte sich von der Linken in Kalifornien ab

Nachdem Musk politisch immer weiter nach rechts gewandert war, entschied er im vergangenen Jahr, seine Firmensitze von der Bay Area nach Texas zu verlegen. Die Linke in Kalifornien sei ihm zu selbstzufrieden geworden, befand er. In Austin, der Hauptstadt des „Lone Star State“, hatte er schon vorher mehrere große Anwesen erworben, in denen seine Kinder (von denen er mindestens elf hat) und zwei der drei Mütter wohnen können.

Musk ist unbestreitbar ein genialer Ingenieur und Unternehmer. Sein Verhalten als extravaganter Superreicher geht freilich über das der anderen Silicon-Valley-Boys hinaus. Der einflussreichste Oligarch Amerikas hat Trump zur Rückkehr ins Weiße Haus verholfen. Ist sein Ausflug in die Politik gleichsam nur ein Trip, von dem er derzeit nicht runterkommt? Oder hat er wirklich einen politischen Plan? Die Antwort führt zurück zu Peter Thiel.

Musk im März 2022 bei der Eröffnung der Tesla-Gigafactory in Grünheide
Musk im März 2022 bei der Eröffnung der Tesla-Gigafactory in GrünheideGetty

Thiel hatte 1999 mit anderen späteren Silicon-Valley-Größen den Online-Bezahldienst Paypal gegründet, der im Jahr darauf mit Musks X.com fusionierte. Thiel und Musk hatten aber unterschiedliche Ansichten. Letztlich wurde Paypal von Ebay gekauft. Musk erhielt 176 Millionen Dollar. Thiel, Kopf der sogenannten „Paypal-Mafia“, 55 Millionen. Der Deutschamerikaner war der Streber des Silicon Valley.

Der schrille Musk, der seinen ersten College-Abschluss an der University of Pennsylvania gemacht hatte, nahm nach einer erfolgreichen Bewerbung an der Stanford University, der Kader-Schmiede der Silicon-Valley-Boys, sein Graduiertenstudium nie auf. Er gründete lieber sein erstes Start-up. Thiel, der in Stanford zunächst einen Abschluss in Philosophie gemacht hatte, setzte dort hingegen noch ein Jura-Studium drauf.

Unter den Silicon-Valley-Boys ist Thiel der politische Philosoph. Schon in der Schule las er Ayn Rands Roman „Atlas Shrugged“, in dem das Unternehmertum, der Individualismus und der Kapitalismus gefeiert werden. Thiels Gedankenwelt war schon früh libertär-konservativ, wodurch er sich in Stanford von vielen seiner Kommilitonen unterschied. Dort hörte er dann den französischen Philosophen René Girard, dessen Kernkonzept die „Mimetische Theorie“ ist: Das menschliche Verhalten basiere fast ausnahmslos auf Imitation. Nachahmung führe aber unweigerlich zu Konflikten unter Rivalen. Wenn diese zu eskalieren drohten, werde ein Sündenbock gesucht, um zu einem Gleichgewicht der Kräfte zurückzukehren.

Thiel übersetzte die Theorie in die Ökonomie. Überall konkurriere man um die gleichen Dinge: Unis, Jobs und Märkte. Konkurrenz mindere aber den Profit, weshalb Nachahmung hinterfragt werden müsse. In seinem Buch „Zero to One“ plädierte Thiel später entsprechend für vertikalen Fortschritt durch innovative Technologie anstelle von horizontalem Fortschritt durch Kopie. Anstatt mit Rivalen zu konkurrieren, gelte es, Monopole zu errichten.

Disruption, aber mit Plan

An Disruption glaubt Thiel auch in der Politik. 2009 schrieb er: „Ich glaube nicht mehr, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind.“ Eine Aussage, die er später zu relativieren versuchte – Postdemokraten tauschen ihre Ansichten lieber hinter vorgehaltener Hand aus. Obschon Thiel bereits 2016 Trump-Unterstützer war, ging er später zu diesem auf Distanz. Er war seiner Disziplinlosigkeit und Verrücktheiten überdrüssig. Nach der Wahl Bidens 2020 setzte er zunächst auf Ron DeSantis, den Gouverneur von Florida, und unterstützte in den Kongresswahlen 2022 eine neue Generation von Trumpisten. Unter ihnen: sein ehemaliger Mitarbeiter J. D. Vance, dem er Geld für seinen Senatswahlkampf spendete. Dieser hatte Jahre zuvor nicht nur als Wagniskapitalgeber für Thiel gearbeitet. Er hatte in ihm auch einen Mentor gesehen. Thiel machte ihn mit der Philosophie Girards vertraut.

Leute wie DeSantis und Vance betrachtete Thiel als Fahnenträger einer Art Trumpismus 2.0 – Disruption mit Plan. Mit seiner Unterstützung für ­DeSantis scheiterte Thiel bekanntlich. Trump walzte den Gouverneur in den Vorwahlen nieder. Mit Vance hatte er zuvor aber Erfolg. Auf Fox News, wo Tucker Carlson den Senator hofierte, und in den sozialen Medien profilierte dieser sich so sehr, dass Trump ihn letztlich zu seinem „running mate“ machte.

Pennsylvania im vergangenen Oktober: Musk macht Wahlkampf
Pennsylvania im vergangenen Oktober: Musk macht WahlkampfAFP

Während Thiel sich aus dem Wahlkampf im vergangenen Jahr heraushielt, stieß Musk in die von ihm gelassene Lücke. Thiel hatte geglaubt, er könne für die Zeit nach Trump planen. Musk plante – halb imitierend, halb adaptierend – für die Zeit neben Trump. Nach dem Attentat von Butler im Juli schnappte er zu wie eine Spinne. Musk hat anders als Thiel keine philosophische Neigung. Sein Wille, den Verwaltungsstaat zu zerlegen, orientiert sich eher an Javier Mileis’ Kettensägen-Ansatz. Damit ist er näher an Trump als der Intellektuelle Thiel. Beide eint allerdings die Staats- und Demokratieverachtung.

Und Vance? Schon im Wahlkampf wurde ihm zunehmend von Musk die Schau gestohlen. Derzeit hält der designierte Vizepräsident die Füße still. Nur einmal äußerte er sich bisher zu einer Volte Musks. Als dieser zur Wahl der AfD aufrief, erwiderte Vance, zwar sei Musks Gastbeitrag in der „Welt“ ein interessantes Stück, doch gebe er selbst keine Wahlempfehlung für Deutschland ab. Es sei nicht sein Land, und er hoffe auf gute Beziehungen zu Berlin.

Interessant, bemerkte Vance, sei aber durchaus: Während amerikanische Medien die AfD als Nazis light verleumdeten, sei die Partei gerade in jenen Regionen am populärsten, in denen es einst den größten Widerstand gegen die Nazis gegeben habe. Wenngleich das nicht den Erkenntnissen der historischen Wahlforschung entspricht, darf man die Replik Vances insgesamt als Distanzierung von Musk verstehen.

Eine solche hat es von Trump nicht gegeben. Dennoch stellt sich die Frage, wie lange die wunderbare Freundschaft zwischen dem künftigen Präsidenten und Musk funktionieren kann. Fürs Erste steht Trump zu ihm. Als Musk sich kürzlich mit Teilen der nativistischen MAGA-Bewegung über die Sinnhaftigkeit von Visa für ausländische Fachkräfte stritt, erhielt er Rückendeckung aus Mar-a-Lago: Er habe als Immobilienunternehmer immer viele Inhaber dieses Visums beschäftigt, es sei ein großartiges Programm. Noch hat Trump nicht das Interesse an seinem neuen Spielzeug verloren. Noch hat er nicht begriffen, dass eigentlich er das Spielzeug ist.