Alice Weidel hat die AfD auf dem zweitägigen Parteitag in Riesa auf Linie gebracht. Einerseits mit einer kämpferischen, radikalen Rede nach ihrer Kanzlerkandidatenkür, andererseits mit der Einhegung der umstrittenen Jugendorganisation Junge Alternative (JA). Während sich am Samstag auf den Straßen der sächsischen Stadt und vor dem Parteitagsgelände rund 10.000 Gegendemonstranten versammelten, von Weidel „rot lackierte Nazis“ genannt, wuchs die Partei in der WT Energiesysteme Arena stärker zusammen.
Zuletzt galt die Debatte um die Zukunft der JA am Sonntagmittag als Gradmesser für Weidels Durchsetzungskraft. Künftig soll die Jugendorganisation Teil der AfD werden. Damit bekommt die Parteispitze Durchgriffsrechte auf aufmüpfige Jungmitglieder. Dies wird durch die Gründung einer neuen Jugendorganisation erreicht, die anders als die JA ein „unselbstständiger Teil der Partei“ werden soll.
Künftig müssen die Mitglieder der Jugendorganisation auch AfD-Mitglieder sein. Das haben die Delegierten mit 71,9 Prozent beschlossen und damit die notwendige Mehrheit für die Änderung der Satzung erreicht. Der Name der neuen Jugendorganisation ist noch offen, denn die Junge Alternative steht aus markenrechtlichen Gründen nicht zur Verfügung. Deshalb stand eine Zeit lang der Name „Patriotische Jugend“ im Raum. Die Namensgebung wird nun aber der neuen Jugendorganisation überlassen.
Delegierte müssen bei Wahl aufstehen
So solle verhindert werden, dass einzelne Personen „Schindluder“ trieben, sagte der Antragssteller Dennis Hohloch. Damit verbinde sich kein Generalverdacht, versicherte er, es gehe lediglich darum, der Partei im harten Wahlkampf Sicherheit zu geben. Die JA wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Der amtierende JA-Vorsitzende Hannes Gnauck warb auch für die Angliederung, um ein Verbotsverfahren zu verhindern. Man fürchte Angriffe an der Stelle, wo die Partei wegen der mangelnden Einbindung am schwächsten ist. „Die Partei ist unsere Mutter“, sagte er.
Die AfD hofft auch darauf, auf diesem Weg mehr Jungwähler an die Partei zu binden. Bis auf einige Hundert JA-Mitglieder sei die Jugendorganisation weitgehend inaktiv, monierten mehrere Redner auf dem Parteitag. „Wir brauchen eine Jugendorganisation, die Hand in Hand mit der AfD geht“, hieß es. Kritiker störten sich allerdings an der Vorgehensweise des Bundesvorstandes, der die JA mit ihren Plänen überrumpelt habe.
Mit dem glimpflichen Ausgang eines schwierigen Tagesordnungspunktes knüpfte Weidel nahtlos an die große Einigkeit an, die sie am Vortag demonstrativ zur Schau gestellt hatte. Das konnten auch die Proteste nicht verhindern, wegen denen der Parteitag mit Verspätung gestartet war. Die Polizei musste sich für einen Vorfall entschuldigen, bei dem der sächsische Linken-Landtagsabgeordnete Nam Duy Nguyen offenbar durch einen Polizisten bewusstlos geschlagen worden war. Auch sechs Beamte wurden bei Auseinandersetzungen leicht verletzt.
Im Saal dagegen wurde Weidel einstimmig, jedenfalls ohne erkennbare Gegenstimme, zu Kanzlerkandidatin gewählt. Die Abstimmung am Samstagmittag fand nicht im Geheimen statt. Hätte sich ein Delegierter gegen die 45 Jahre alte Parteichefin stellen wollen, hätte er vor allen aufstehen müssen. Das tat niemand. Anschließend erhoben sich alle der knapp 600 anwesenden Delegierten von ihren Stühlen, um ihre Zustimmung zu zeigen.
„Wir schmeißen alle Professoren raus“
Anschließend hielt Weidel eine Rede, die in ihrer Rhetorik an den künftigen US-Präsidenten Donald Trump erinnerte und inhaltlich radikaler war als frühere Reden von ihr. „Schwarz-Rot-Gold, liebe Freunde, Schwarz-Rot-Gold“, sagte Weidel zur Eröffnung. Sie teilte in alle Richtungen aus und trat deutlich selbstbewusster auf als in ihrem Live-Gespräch mit dem amerikanischen Milliardär Elon Musk auf der Plattform X am Donnerstagabend; über dessen Verlauf hatten einige AfD-Leute seitdem schon reichlich gelästert. Das ändert allerdings nichts daran, dass sie das Gespräch an sich für nützlich halten. Hauptsache, ein Superpromi steht zur AfD.
Ihren innerparteilichen Kritikern gab Weidel beim Thema Migrationspolitik Zucker. Man müsse die Grenzen dicht machen und Rückführungen im großen Stil durchführen. „Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration.“ Diesen Ausdruck hatte sie lange vermieden, aus Sorge, dass die Wähler ihn mit Zielen verbinden könnten, die die AfD-Führung nicht ihre Ziele nennt. Gerade das rechtsextreme Vorfeld und Parteifreunde aus ostdeutschen Landesverbänden verwenden den Ausdruck gern.
Viel Redezeit verwendete Weidel darauf, die CDU als Heuchler darzustellen. Es handele sich um eine „Betrügerpartei“. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Deutschland auf den falschen Kurs gebracht, und der jetzige Vorsitzende Friedrich Merz setze das fort. Weidel kündigte an, sämtliche Subventionen und Förderprogramme für den Klimaschutz abschaffen zu wollen und das Erneuerbare-Energien-Gesetz abzuwickeln. „Wenn wir am Ruder sind, reißen wir alle Windkraftwerke nieder. Nieder mit diesen Windmühlen der Schande!“, rief die AfD-Vorsitzende. Sie versprach zudem, alle Studiengänge für „Gender Studies“ zu schließen. „Wir schmeißen alle Professoren raus.“
Differenzen bei Cannabis und Abtreibungen
Weidels Rede wurde mit stehendem Beifall quittiert, Mitglieder des Bundesvorstands umarmten sie. Ihr Ko-Vorsitzender Tino Chrupalla, der sie als nächste Bundeskanzlerin vorgestellt hatte, drückte ihr einen Blumenstrauß in die Hand, der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland stand Arm in Arm mit ihr. Ein Landtagsabgeordneter aus dem rechtsextremen Flügel der AfD sagte der F.A.Z. anschließend, Weidel habe soeben eine ihrer besten Reden überhaupt gehalten.
Auf dem zweitägigen Parteitag hat die Partei auch ihr Wahlprogramm verabschiedet. Die Programmdebatte begann am Samstagnachmittag und dauerte bis 22 Uhr. Nach einer grundsätzlichen Klarstellung zu den Dexit-Plänen, also dem Austritt aus der EU, wurde die Veranstaltung unterbrochen und erst am Sonntag um 10 Uhr weitergeführt. Zu dem 85 Seiten starken Wahlprogramm, das die Programmkommission um den AfD-Vorsitzenden Chrupalla erstellt hatte, befasste sich die Versammlung über Stunden hinweg mit rund 100 Änderungsanträgen sowie diversen Satzungsänderungen.
Dabei wurde deutlich, wie stark die Partei doch noch um einen gemeinsamen Kurs jenseits der hinlänglich bekannten Wahlkampfforderungen zur Migration, zum Ukrainekrieg und zur Rückabwicklung der Energiewende ringt. Bei Themen wie die Cannabis-Legalisierung oder dem Schwangerschaftsabbruch wurden teils diametral gegensätzliche Positionen diskutiert, die zu emotionalen Debatten führten. In vielen Punkten forderten die Delegierten einen schärferen Kurs als von der Programmkommission vorgesehen.