Wie sich Joe Biden unbeliebt machte

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Joe Biden gab seine Kandidatur für die Präsidentschaft im April 2019 bekannt. In den Mittelpunkt stellte er weniger konkrete Themen als einen Mann: Donald Trump. In seinem Ankündigungsvideo sagte Biden, auf vier Trump-Jahre werde die Geschichte später als Irrtum zurückblicken. „Aber wenn wir Donald Trump acht Jahre im Weißen Haus geben, wird er den Charakter dieser Nation für immer und grundlegend verändern.“ Da könne er nicht nur zusehen. Im November 2020 wählten die Amerikaner Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Fünfeinhalb Jahre später saßen an einem Mittwochmorgen zwei Männer im Oval Office des Weißen Hauses. Der eine war 78, der andere 82 Jahre alt. Sie schüttelten für ein Foto die Hände, im Hintergrund knisterte ein Kaminfeuer. „Wir freuen uns auf einen reibungslosen Übergang“, sagte Präsident Biden. „Herz­lichen Glückwunsch, Donald.“ Es war der traditionelle Empfang des gewählten Nachfolgers beim amtierenden Präsidenten. Dieses Mal war der Nachfolger auch der Vorgänger: Trump war zurück.

Für Biden war das die größte Nieder­lage seiner Präsidentschaft. Vor allem weil es zwischendrin durchaus so schien, als sei die Ära Trumps in der amerikanischen Politik vorbei. Als der Demokrat mit 78 Jahren sein Amt antrat, war die Welt im Corona-Ausnahmezustand. Zwei Wochen zuvor waren Fotos eines von Rauchschwaden eingehüllten Kapitols um die Welt gegangen, hatten Unterstützer Trumps den Kongress in Washington gestürmt, um die friedliche Machtübergabe zu verhindern. In seiner Antrittsrede sagte Biden, Amerika feiere an diesem Tag „nicht den Triumph eines Kandidaten, sondern einer Sache: der Demokratie“. Trump war da schon aus Washington abgereist. Als erster Präsident in mehr als 150 Jahren nahm er nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers teil.

Ein chaotischer Abzug aus Afghanistan

Die ersten Amtshandlungen Bidens sollten eine Zäsur zur chaotischen Trump-Präsidentschaft sein. Er unterzeichnete mehr als ein Dutzend Dekrete: die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen und in die Weltgesundheitsorgani­sation etwa, die Aufhebung der Einreiseverbote aus muslimischen Ländern und einen Stopp des Mauerbaus an der me­xikanischen Grenze. Es sollte „nach vorn gehen“, hieß es aus dem Weißen Haus. Die Vereinigten Staaten sollten nach „America First“ auf die Weltbühne zurückkehren, die Amerikaner das Vertrauen in ihre Demokratie zurückgewinnen.

Doch es dauerte nur ein halbes Jahr, da fiel Bidens Selbstdarstellung des kompetenten, geordnet vorgehenden Präsidenten mit dem chaotischen Abzug der letzten amerikanischen Truppen aus Afghanistan in sich zusammen. Es begann eine der schwierigsten Phasen seiner Präsidentschaft. Am 26. August 2021 wurden bei einem Terroranschlag am Flughafen von Kabul 13 amerikanische Soldaten und mehr als 170 afghanische Zivilisten getötet. Auf Fotos war zu sehen, wie verzweifelte Menschen sich auf überfüllten Startbahnen an Flugzeuge klammerten.

Eine der schwierigsten Phasen: Rücktransport von amerikanischen Soldaten, die während des chaotischen Abzugs aus Afghanistan bei einem Terroranschlag in Kabul getötet wurden
Eine der schwierigsten Phasen: Rücktransport von amerikanischen Soldaten, die während des chaotischen Abzugs aus Afghanistan bei einem Terroranschlag in Kabul getötet wurdenReuters

Biden hob in einer Ansprache schließlich das Positive hervor: Man habe mehr als 120.000 Personen in Sicherheit gebracht. So etwas habe „keine Nation dieser Welt“ jemals vollbracht. Eine Mehrheit der Amerikaner unterstützte damals den Abzug. Doch Bidens vorherigen Beteuerungen, es werde geordnet ablaufen, und eine unmittelbare Machtübernahme der Taliban sei „höchst unwahrscheinlich“, wurden Lügen gestraft.

In einem Bericht hieß es später, die Trump-Regierung habe den Abzug beschlossen und mit den Taliban verhandelt, „ohne unsere Verbündeten und Partner zu konsultieren oder die afghanische Regierung an den Verhandlungstisch zu lassen“. Anschließend habe man sich um viele Fragen nicht gekümmert, etwa den Rückstau der Visa für potentiell gefähr­dete Afghanen, die für die amerikanische Regierung gearbeitet hatten. Biden sei „durch die von seinem Vorgänger geschaffenen Bedingungen stark eingeschränkt“ gewesen. Der Bewertung Bidens half das jedoch nicht. Im Herbst erreichten seine Umfragewerte einen ersten Tiefpunkt.

Als Biden so deutlich wie selten wurde

Könnte Biden sich in eine bestimmte Zeit seiner Präsidentschaft zurückwünschen, wäre es wohl trotzdem die erste Hälfte seiner Amtszeit. Bis zur Kongresswahl 2022 hatten die Demokraten eine knappe Mehrheit in beiden Kammern und konnten viele der zentralen Vorhaben Bidens durchsetzen. Im März 2021 wurde der „American Rescue Plan“ verabschiedet, ein knapp zwei Billionen Dollar schweres Konjunkturpaket zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie. Im November 2021 ging ein ge­waltiges Infrastrukturpaket durch den Kon­gress.

Im August 2022 unterschrieb Biden außerdem seine historische Klimagesetzgebung mit dem „Inflation Reduc­tion Act“ und stellte mit dem „Chips and Science Act“ knapp 53 Milliarden Dollar bereit, um die Vereinigten Staaten als Standort für die Halbleiterindustrie zu stärken. Im Sommer desselben Jahres verabschiedete der Kongress die erste Verschärfung des Waffenrechts seit Jahrzehnten.

Kurz vor der Kongresswahl im Herbst 2022 stand Biden vor der Independence Hall in Philadelphia und wurde so deutlich wie selten. „Donald Trump und seine MAGA-Republikaner stehen für einen Extremismus, der die Grundfesten unserer Republik erschüttert“, sagte er. Sie glaubten nicht an den Rechtsstaat und weigerten sich, das Ergebnis einer freien Wahl zu akzeptieren. Im November büßten die Demokraten zwar ihre knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus ein, doch die erwartete „rote Welle“ der Republikaner kam nicht. Das lag am Abtreibungsthema, das sich die Demokraten nach dem Ende des allgemeinen Rechts auf Abtreibung durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs auf die Fahnen geschrieben hatten. Es lag aber auch daran, dass im Land ein gewisser Trump-Überdruss herrschte. Seine krawalligen Extremkandidaten wurden in den Zwischenwahlen vielerorts abgestraft.

Schlechter Eindruck trotz guter Wirtschaftslage

Am Ende war es jedoch die Rekordinflation der Jahre 2021 und 2022, die an Biden kleben blieb und seine Unbeliebtheit zementierte. Im Sommer 2022 erreichte die Inflation mit 9,1 Prozent ihren höchsten Stand seit vierzig Jahren. Grund dafür waren die Corona-Engpässe in der Produktion und Lieferung, aber auch der von Biden eingeführte „American Rescue Plan“, der die Auswirkungen der Pandemie lindern sollte.

Es ist bezeichnend für Bidens Präsidentschaft, wie weit der Eindruck der Amerikaner und die Wirklichkeit in Bezug auf die wirtschaftliche Lage auseinandergehen. Während seiner vier Jahre im Amt wurden 16 Millionen neue Ar­beitsplätze geschaffen, so viele wie noch nie in nur einer Amtszeit. Die Arbeits­losenquote fiel auf den niedrigsten Stand seit fünfzig Jahren. Doch ein Drittel der Amerikaner sagte in jüngsten Umfragen immer noch, die Wirtschaft sei das größte Problem der Vereinigten Staaten. Biden war es nicht gelungen, öffentlich vom Rückgang der Inflation in den vergangen beiden Jahren zu profitieren.

Als Biden im April 2023 seine abermalige Prä­sidentschaftskandidatur bekanntgab, klang alles wieder sehr nach dem Wahlkampf von vor vier Jahren. Er beschwor den Kampf für die amerikanische Demokratie und die „Seele dieser Nation“. Dabei ignorierte er, dass die Trump-Präsidentschaft und der Sturm auf das Kapitol für die meisten Amerikaner schon in den Hintergrund ge­rückt waren. Stattdessen beschäftigten sie die hohen Benzin- und Lebensmittelpreise.

Das hatte auch Auswirkungen darauf, wie seine außenpolitischen Entschei­dungen bewertet wurden. Bidens un­verbrüchliche Unterstützung der Ukraine gegen die russische Invasion war ein zen­trales Element seiner Außenpolitik. Un­ter seiner Führung fand die NATO zu alter Bündnisstärke zurück. Als der Prä­sident im Februar 2023 heimlich nach Kiew reiste, war es die erste Reise eines amerikanischen Präsidenten in ein Konfliktgebiet, in dem amerikanische Truppen nicht beteiligt waren. Es waren die Vereinigten Staaten, die zu Beginn des Krieges ihre Geheimdienstinformationen mit der Ukraine und den westlichen Verbündeten teilten, wonach Russland diesmal wirklich kurz vor dem Einmarsch stehe.

Gegenwind für seine Ukraine-Politik

Doch auch die Führungsrolle in der Welt brachte Biden nur wenige Punkte zu Hause. Zwar unterstützte eine Mehrheit der Amerikaner die Hilfen für die Ukraine zunächst. Aber der Konflikt trieb die Benzinpreise in die Höhe und ließ viele ihre Unterstützung überdenken. Für Biden war das der Preis für die Verteidigung demokratischer Werte, für viele Ame­rikaner ein kaum zu bewältigendes Übel im Alltag. Viele Republikaner im Kongress heizten die antiukrainische Stimmung weiter an, indem sie propagierten, die Milliardenhilfen für Kiew seien im eigenen Land doch viel besser aufgehoben. Wieder war eine Position des MAGA-Flügels in der Mitte der republika­nischen Kongressabgeordneten angekommen.

In die Unzufriedenheit der Amerikaner mischte sich die Debatte über die Lage an der Grenze. In den ersten Jahren der Biden-Präsidentschaft war die Zahl der illegalen Grenzüberquerungen so hoch wie nie. Die Republikaner trieben die Demokraten bei dem Thema vor sich her. Daran änderte auch eine härtere Grenzpolitik Bidens in den vergangenen Jahren nichts. Ein Kompromiss mit den Republikanern im Kongress scheiterte, da Trump ihn torpedierte. Man darf annehmen, dass er Biden einen solchen Sieg kurz vor der Präsidentenwahl nicht gönnen und das Thema im Wahlkampf nicht verlieren wollte.

Der nächste außenpolitische Konflikt, der beträchtliche Auswirkungen auf Bidens Präsidentschaft hatte, war der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Biden reiste in einem sym­bolischen Schritt nach Israel, gab Mi­litär­hilfen frei und suchte den Schulterschluss mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der während Trumps Präsidentschaft eine enge Beziehung zu dem Republikaner entwickelt hatte.

Bündnis unter Druck: Biden reist nach dem 7. Oktober 2023 aus Solidarität nach Israel.
Bündnis unter Druck: Biden reist nach dem 7. Oktober 2023 aus Solidarität nach Israel.EPA

Doch angesichts der anstehenden Präsidentenwahl und Israels Militäreinsatz im Gazastreifen mit Zehntausenden getöteten Zivilisten änderte Biden zumindest seine Rhetorik gegenüber Jerusalem. Er forderte die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen und den Schutz von Zivilisten. Im Frühjahr vergangenen Jahres dann war die zeitweilige Aussetzung bestimmter Waffenlieferungen die bislang schärfste Maßregelung des Verbündeten.

Sie kam kurz nachdem an amerikanischen Universitäten Zehntausende Studenten zu Teilen mit Gewalt gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen protestiert hatten. Die Demokraten mussten an­gesichts der Präsidentenwahl um die Stimmen der jungen Wähler und der arabischstämmigen Amerikaner fürchten, vor allem im wichtigen „Swing State“ Michigan. Auch Bidens Wunsch, als letzten außenpolitischen Sieg eine Freilassung der israelischen Geiseln der Hamas zu erreichen, dürfte nicht mehr in Erfüllung gehen.

Eine schmucklose Rückzugsankündigung

Der Anfang des politischen Endes Joe Bidens begann im Juni vergangenen Jahres, als er in der berüchtigten Fernseh­debatte gegen Trump kaum einen klaren Satz herausbrachte. Biden trotzte dem Sturm noch einige Wochen, dann zwang ihn die Kritik aus der eigenen Partei schließlich in die Knie – auch wenn er laut seinem Umfeld bis kurz vor der Prä­sidentenwahl streute, er wäre sehr wohl in der Lage gewesen, Trump zu schlagen.

Die Rückzugsankündi­gung war überraschend schmucklos. Biden hatte gerade eine Corona-Infektion in Quarantäne ausgesessen und veröffentlichte an einem Sonntag­nach­mittag im Juli einen Brief in den sozialen Netzwerken. Er begann mit dem „großartigen Fortschritt“, den das Land in den vergangenen dreieinhalb Jahren gemacht habe. Es sei die Ehre seines Lebens gewesen, den Amerikanern zu dienen. Doch nun sei es im besten Interesse der Demokraten und des Landes, „mich zurückzuziehen und mich für die verbleibende Zeit auf meine Aufgaben als Präsident zu konzentrieren“. Ein knappes Schreiben, das das Ende eines politischen Lebens einleitete.

Mit dem Rückzug allein flaute die Kritik an Biden jedoch nicht ab. Zu lange, hieß es, habe er sich an die Macht geklammert, zu lange habe sein engster Kreis die Zeichen des Alters vertuscht. Ob die Präsidentenwahl anders ausgegangen wäre, hätte Kamala Harris mehr Zeit für den Wahlkampf gehabt, wird nie beantwortet werden. Biden war 2019 jedoch explizit mit dem Versprechen angetreten, eine Brücke zur nächsten Generation zu sein, „nichts anderes“. Es stehe eine ganze Generation von Anführern für die Zukunft bereit, sagte er damals. Dann kam die späte, plötzliche Übergabe an Harris rund hundert Tage vor der Wahl.

Radikalität in den letzten Amtstagen

Biden schien damit aber im Reinen. In seiner letzten Ansprache vor dem „Democratic National Committee“ sagte er im vergangenen August, man müsse sich in der Politik und vor allem als Präsident immer fragen, ob man das Land in besserer Verfassung hinterlasse als man es vorgefunden habe. „Und heute kann ich das mit vollem Herzen mit Ja beantworten.“ In einer Rede im vergangenen Monat baute er weiter vor, um sein Vermächtnis zu schützen: Die Pandemie, Russlands Krieg in der Ukraine und die Inflation hätten den Amerikanern „enormen Schmerz“ bereitet. Er habe das Land „für die Zukunft“ dennoch auf guten Kurs gebracht.

Wie man künftig auf Bidens Präsidentschaft schauen wird, dürfte maßgeblich davon abhängen, wie die nächsten vier Jahre Trumps laufen. Wie viele Errungenschaften Bidens dreht er zurück, etwa im Klimaschutz? Gelingt es ihm tatsächlich, den Krieg in der Ukraine zu beenden? Und kommt statt Chaos nun wirklich der radikale Umbau in Washington? In einer Gallup-Umfrage gab eine Mehrheit der Befragten jüngst an, Bidens Präsidentschaft werde historisch eher negativ als positiv bewertet werden. 54 Prozent äußerten, er werde als „schlechter“ oder „unterdurchschnittlicher“ Präsident in die Geschichte eingehen.

Biden wiederum legt in den letzten Wochen seiner Präsidentschaft eine gewisse Radikalität in seinen Entscheidungen an den Tag. Den Anfang machte die überraschende Begnadigung seines Sohnes Hunter Biden im Dezember – ein Schritt, von dem Biden mehrfach gesagt hatte, das werde er nicht tun. In der Erklärung hieß es, der Fall Hunter Biden sei „ganz klar“ anders behandelt worden als andere Fälle von Steuervergehen und Verstößen gegen das Waffenrecht. Seine „politischen Gegner“ hätten die Anklage vorangetrieben, um ihn im Wahlkampf anzugreifen.

Ein Schlussakt: Hillary Clinton bekommt von Biden die Friedensmedaille.
Ein Schlussakt: Hillary Clinton bekommt von Biden die Friedensmedaille.Laif

Zwei Tage vor Weihnachten dann wandelte Biden die Strafe fast aller auf Bundesebene zur Todesstrafe Verurteilten in lebenslange Haft um. Damit wollte er der geplanten Wiederaufnahme der Todesstrafe durch die Trump-Regierung zuvorkommen. Anfang Januar verlieh Biden außerdem der Republikanerin Liz Cheney, einer Erzfeindin Trumps, die „Presidential Citizens Medal“ für ihre „Integrität und Unerschrockenheit“.

Außerdem verlieh er unter anderen der früheren demokratischen Präsidentschaftskandidatin und Außenministerin Hillary Clinton und dem Geschäftsmann und Großspender der Demokraten, George Soros, die Freiheitsmedaille des Präsidenten, die höchste zivile Auszeichnung des Landes. Biden dürfte auch von sich selbst gesprochen haben, als er bei der Verleihung hervorhob, niemand dürfe in den „heiligen Anstrengungen“ für das Land nachlassen. Und um weiter­zumachen, „müssen wir, wie meine Mutter zu sagen pflegte, den Glauben be­wahren“.