Nicht nur das Format ist neu, sondern auch die Entschlossenheit: Die Verteidigungsminister der vier größten EU-Ländern und Großbritanniens beschlossen am Montag in Warschau, die Verteidigungsbereitschaft der Ukraine und Europas mit konkreten Maßnahmen zu stärken. „2025 ist ein entscheidendes Jahr für die Sicherheit Europas, wenn es um die Verteidigungsfähigkeit geht“, sagte Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einer Pressekonferenz am Abend. Er ist der Initiator des Formats, das im November 2024 erstmals in Berlin, danach in Ramstein und nun in Warschau tagte. Man werde nicht nur die Ukraine weiter mit Waffen- und Munitionslieferungen unterstützen, sondern die Rüstungsindustrie der Ukraine selbst stärken, erklärten die Minister. „Die Ukraine hat freie Produktionskapazitäten, die gilt es zu nutzen“, sagte Pistorius.
Der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow, der zu dem Treffen per Video zugeschaltet war, hatte bereits vor einiger Zeit darauf aufmerksam gemacht, dass zurzeit rund zwei Drittel der Rüstungs-Produktionskapazität seines Landes aus Geldmangel ungenutzt blieben. Als erstes Land hatte im Sommer Dänemark in der Ukraine Munition für 400 Millionen Euro produzieren lassen und das aufgrund der guten Erfahrungen auch anderen Ländern empfohlen. Schließlich habe ein solches Vorgehen gleich mehrere Vorteile: Für die gleiche Summe könne man in der Ukraine mehr und zudem näher am Bedarf und zur Front produzieren. Auch Militärgerät ließe sich auf diese Weise schneller und günstiger warten, als wenn es in Reparaturstützpunkte ins Ausland gebracht werden müsse.
In Warschau vereinbarten die Minister nun, sowohl ukrainische Rüstungsvorhaben zu finanzieren als auch Joint Ventures mit europäischen Rüstungsunternehmen zu ermöglichen, um die Ukraine in eine „Position der Stärke“ zu bringen. Als Beispiel nannte Pistorius ein bereits laufendes Projekt zwischen der ukrainischen Armee und deutschen Drohnenherstellern, das von den Erfahrungen beider Seiten profitiert habe. Das soll künftig auch in weiteren Bereichen der Fall sein. Darüber hinaus beschlossen die Minister, die Beschaffung militärischer Ausrüstung und Munition in Europa zu vereinfachen, zu beschleunigen und zu standardisieren sowie nach einheitlichen Verfahren zu zertifizieren und zu prüfen. Europa sei hier nach wie vor zu langsam und zu kompliziert, lautete das Fazit der Minister.
„Sicherheit ist unser gemeinsamer Nenner“
Pistorius lobte das neue Minister-Format der größten europäischen Ukraine-Unterstützer, das im November als Ergänzung zu Treffen der EU- und NATO-Minister gegründet wurde, als „sehr aktiv und produktiv“. Sein polnischer Amtskollege Władysław Kosiniak-Kamysz betonte mit Blick auf die Entwicklung in den USA die „Führungsrolle Europas“, auf die es bei der Verteidigung des Kontinents künftig ankomme. „Europa muss hier Stärke zeigen, dann kann es wieder ein Leuchtturm sei für die ganze Welt.“ Er betonte, dass Sicherheit nicht ohne Grund das Motto der derzeitigen polnischen EU-Ratspräsidentschaft sei. „Sicherheit ist unser gemeinsamer Nenner.“ Polen steht mit 3,7 Prozent Verteidigungsausgaben an der Spitze aller europäischen und NATO-Länder.
Putin denke, dass er mit seinem Überfall auf die Ukraine Europa geschwächt habe, sagte Großbritanniens Verteidigungsminister. „Aber das Gegenteil ist der Fall: Wir arbeiten enger zusammen als jemals zuvor.“ Sein italienischer Amtskollege hob hervor, dass sich noch vor drei Jahren niemand habe vorstellen können, Verteidigung zu einem Schlüsselthema zu machen. Heute sei es dagegen „eine Garantie für das Überleben Europas“. Er plädierte für einen Mentalitätswandel der europäischen Länder bei dem Thema: Einzelne Staaten allein könnten wenig ausrichten, aber gemeinsam könne Europa künftig ein stabiler NATO-Pfeiler sein.
Offen für mehr Verteidigungsausgaben, Absage für Trump
Gefragt nach der Höhe der Verteidigungsausgaben zeigten sich alle Minister offen dafür, künftig mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszugeben, warnten aber vor blindem Aktionismus. Es müsse auch klar sein, wofür das Geld ausgegeben werden soll, waren sich die Minister einig. Im Kalten Krieg habe Westdeutschland zwischen 3,5 und vier Prozent für die Verteidigung ausgeben, sagte Pistorius. Entscheidend sei jedoch, dass „Europa schnell voll verteidigungsfähig“ werde. Mit welchem Prozentsatz das zu erreichen sei, wisse man erst hinterher. Klar sei aber auch, dass fünf Prozent, wie sie der künftige US-Präsident Donald Trump kürzlich in den Raum geworfen hatte, zumindest für Deutschland momentan nicht drin seien. „Das wären 40 Prozent unseres Haushalts.“
Der französische Verteidigungsminister ergänzte, dass die Lage heute prekärer als während des Kalten Krieges sei. Damals habe es keine Cyberangriffe gegeben, heute dagegen werde, mutmaßlich aus Russland, beinahe täglich kritische Infrastruktur, darunter auch Krankenhäuser, in EU-Ländern attackiert. Auch dagegen müsse man sich wappnen. Zudem habe die Geschichte gezeigt, dass nicht zwangsläufig derjenige einen Krieg gewinne, der am meisten ausgibt, sondern der, der sich am schlauesten verhalte.
Am Rande kündigte Pistorius an, Polen noch in diesem Monat zwei weitere Patriot-Flugabwehrsysteme inklusive 200 Bundeswehrsoldaten zur Verfügung zu stellen. Sie sollen am Flugplatz Rzeszów zum Einsatz kommen, über den praktisch die gesamte Hilfslogistik für die Ukraine abgewickelt wird. Polens Verteidigungsminister wies auch darauf hin, dass über sein Land rund 90 Prozent der Lieferungen in die Ukraine abgewickelt würden. Pistorius betonte, dass der Fünfer-Kreis der Minister kein exklusiver Club sei und jederzeit erweitern werden könne. Wichtig, dass jetzt gehandelt werde. Noch nie seit Ende des Kalten Krieges sei die europäische Sicherheit so gefährdet wie heute.