Politik ist auch die Fähigkeit, den Spieß im geeigneten Moment umzudrehen und gegen den Angreifer zu richten. Wie gut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Kunst beherrscht, bewies er am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Atomausstieg.
Er lieferte sich ein Scharmützel mit dem Ausschussvorsitzenden Stefan Heck (CDU) über den Untersuchungsgegenstand. Während Habeck meinte, es gehe vor allem um die Entscheidungen, die zur Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke im Frühjahr 2023 führten, bestand Heck darauf, dass es, wie es im Einsetzungsbeschluss des Gremiums vom Juli 2024 heißt, um ein „detailliertes Gesamtbild“ über die Entscheidungen der Bundesregierung „zur Anpassung der Energieversorgung Deutschlands“ gehe.
Daraufhin konterte Habeck, er sei nur zu gern bereit, einem erweiterten Untersuchungsgegenstand zuzustimmen und sofort alle nötigen Unterlagen seines Hauses vorzulegen. In dieser ausgeweiteten Betrachtung müsse es um die schweren Fehler der Energiepolitik zwischen 2014 und 2021 gehen, also nach der Annexion der Krim durch Russland und vor dem Regierungswechsel in Deutschland.
Habeck: Merkel-Regierung schuld an Wirtschaftskrise
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Wirtschaftsminister von der SPD und der CDU, zuletzt Ressortchef Peter Altmaier, seien in dieser Zeit „ursächlich“ dafür verantwortlich gewesen, dass Deutschland in die „schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“ geraten sei. „Das interessiert die Öffentlichkeit“, sagte Habeck – und meinte damit: das Kleinklein zur Kernkraft sei nachrangig. Wären die Reaktoren weitergelaufen, hätte sich nur ein Promille des deutschen Gasverbrauchs einsparen lassen.
Viel bedeutender sei: Spätestens seit dem Krimüberfall hätte die frühere Regierung wissen müssen, dass Russland kein verlässlicher Gas- und Kohlelieferant mehr sei. Dennoch hätten die Abhängigkeiten noch zugenommen, über die Nordstream-Pipelines sowie durch die russische Übernahme des größten Gasspeichers in Rehden und der Raffinerie in Schwedt.
Warnungen aus dem Ausland, aus den USA, Italien und Polen, seien „nonchalant“ übersehen worden, so Habeck. Die Versorgungsängste nach dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022, die steigenden Preise, ja die „schwächelnde Wirtschaft“ insgesamt seien durch damalige Fehlentscheidungen entstanden.
„Es gab keine Denkverbote“
Diesen „Schlamassel“ will Habeck nach Amtsantritt vorgefunden und beseitigt haben, auch durch die unvoreingenommene Prüfung des Weiterbetriebs der letzten drei Kernkraftwerke über das gesetzliche Ausstiegsdatum vom 31. Dezember 2022 hinaus. Zur zentralen Frage, ob die grüngeführten Ministerien für Wirtschaft und Umwelt die Option wirklich vorbehaltlos prüften oder aus ideologischen Gründen das Abschalten in jedem Falle durchdrücken wollten, gab es keine entscheidenden neuen Erkenntnisse.
Schon die siebenstündige Befragung von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Mittwoch hatte wenig ergeben. Habeck sagte: „Es gab keine Denkverbote.“ Wichtig sei allein gewesen, ob die Laufzeitverlängerung möglich gewesen und der Versorgungssicherheit gedient hätte. Beides habe man nach der Prüfung mit Nein beantwortet.
Beide Häuser hatten sich im März 2022 gemeinsam gegen den Weiterbetrieb entschieden, obgleich aus den Fachabteilungen auch Erkenntnisse vorlagen, dass die Verlängerung möglich und sinnvoll hätte sein können. Habeck hob am Donnerstag wiederholt darauf ab, dass die Abschaltentscheidung auch auf den Empfehlungen der drei Betreiberkonzerne RWE , EnBW und Eon /Preußen-Elektra basiert habe. Lemke hatte zuvor gesagt, das Atom-Aus Ende 2022 sei geltendes Recht im Atomgesetz gewesen. Diesen Ausstieg hatten Union und FDP nach dem Unfall von Fukushima 2011 beschlossen.
Am Donnerstagabend sollte als letzter Zeuge Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befragt werden. Er hatte im Oktober 2022 im koalitionsinternen Streit zur Laufzeitverlängerung von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und den Weiterbetrieb der drei Reaktoren bis Mitte April 2023 durchgesetzt. Die Grünen hatten damals früher abschalten wollen, die FDP später. Nach Habecks Erinnerung ging Scholz’ Beschluss ein Dreiertreffen im Kanzleramt mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) voraus, in dem dieser hätte gezwungen werden müssen, einen nur vorübergehenden Streckbetrieb zu akzeptieren.
Nach der Befragung von 40 Zeugen und der Auswertung von 350.000 Dokumentenseiten schließt der Ausschuss seine Arbeit ab. Am 30. Januar gibt es dazu eine Bundestagsdebatte, anschließend geht der Abschlussbericht an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Das Format ist ungewöhnlich, da das Papier neben einem neutral gehaltenen „Verfahrensbericht“ auch unterschiedliche inhaltliche Einschätzungen aller Fraktionen enthalten soll.