Urzeitliche Weichtiere mit Punkerfrisur

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Nun, Haare sind das eigentlich nicht, was die beiden hier abgebildeten Gesellen schmückt. Es sind Stacheln, ursprünglich wohl aus dem Mineral Aragonit. Trotzdem ist es dem Paläontologen Mark Sutton vom Imperial College in London kaum zu verdenken, wenn auch er sofort an Frisuren dachte, als er diese beiden kaum zwei Zentimeter langen Tierchen sah, deren Entdeckung er mit sechs weiteren Fachkollegen nun in „Nature“ veröffentlichte. Ein Grund sei die Farbwahl für die Visualisierung am Computer gewesen, gestand Sutton in einem Podcast des britischen Magazins „The London Standard“.

Denn es handelt sich nicht um lebende Tiere, sondern um Fossilien aus einer Fundstätte in der Grafschaft Herefordshire an der Grenze Englands zu Wales. Sie lebten vor 430 Millionen Jahren im Zeitalter des Silur am Meeresboden und sind, offenbar infolge einer plötzlichen Einbettung ins Sediment, so phantastisch erhalten, dass Sutton und Kollegen sie unter anderem mittels Röntgen-Mikrotomographie in allen räumlichen Details sichtbar machen konnten. „Als ich das erste Fossil untersuchte“, erinnert sich der Forscher, „habe ich zufällig Pink als Farbe für die Stacheln gewählt. Da dachte ich: Das sieht doch aus wie die Haartracht eines Punks aus den Achtzigern!“

So kam das bislang unbekannte Urzeittier zu seinem wissenschaftlichen Namen Punk ferox – also „wilder Punk“. Dem zweiten Fossil gaben die Forscher konsequenterweise den Gattungsnamen Emo. Denn seine nicht ganz so zu Berge stehende Stachelpracht erinnerte die Forscher eher an die asymmetrischen Ponyfrisuren der Anhänger jener Jugendkultur, die laut der in dem „Nature“-Artikel angegebenen Etymologie einen Abkömmling des Punk darstellt. Hierzulande soll diese Modeerscheinung nicht zuletzt durch die Band „Tokio Hotel“ repräsentiert worden sein. Der Speziesname vorticaudum des neuen Fossils bedeutet ungefähr so etwas wie „mit verwirbeltem Schwanz“.

Auffallender an dem beschriebenen Exemplar von Emo vorticaudum ist allerdings der deutlich sichtbare Knick im Rumpf. Für Mark Sutton deutet er darauf hin, dass das Tier im Moment der Fortbewegung verschüttet worden sein könnte. „Es scheint sich ähnlich wie eine Raupe fortbewegt zu haben, was heute nur sehr wenige Meerestiere tun, und bestimmt keine der Mollusken unter ihnen“, sagt Sutton. Bedeutend ist der Fund, weil er der Wissenschaft zwei neue Spezies einer paläontologisch erst wenig belichteten Tiergruppe zur Kenntnis bringt.

Punk und Emo gehören zwar zu dem äußerst formenreichen Tierstamm der Mollusken alias Weichtiere – aber nicht zu jenem Zweig, in dem sich dessen bekanntere Vertreter finden, also die Schnecken, Muscheln oder Kopffüßer wie die Tintenfische. Vielmehr handelt es sich um sogenannte Aculifera. Von denen gibt es auch heute noch welche mit Stachelkleid, aber die sind in der Regel winzig und äußerst unscheinbar. Auch im Stamm der weichen Tiere ist der Punk schon lange Geschichte.