In seinem ersten Auftritt als neuer Vorsitzender des europäischen Autoherstellerverbandes ACEA (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles) hat Mercedes -Chef Ola Källenius eine grundsätzlich Neuausrichtung des europäischen Green Deals gefordert. „Wir müssen den Green Deal flexibler gestalten und die Dekarbonisierung der Automobilindustrie in ein grünes und profitables Geschäftsmodell verwandeln“, sagte Källenius in einer Rede am Donnerstag auf der Brüsseler Automesse. „Die Dekarbonisierung für die Automobilindustrie muss Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit schaffen – und nicht einschränken.“
Källenius hat den Vorsitz des Verbands vor gut einem Monat übernommen. „Unsere Branche bietet 13 Millionen Europäern Arbeit, sie trägt sieben Prozent zur europäischen Wirtschaftsleistung bei und bringt den Staaten weit mehr als 390 Milliarden an Einnahmen ein“, sagte Källenius und verwies vor diesem Hintergrund darauf, dass „wir einen realistischen Weg zur Dekarbonisierung unserer Industrie brauchen, einen Weg, der vom Markt und nicht von Strafen bestimmt ist“.
Um dem Anliegen Nachdruck zu verschaffen, hat sich der Mercedes-Chef in einem Brief an die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, an Roberta Metsola, die Präsidentin des Europa-Parlaments, sowie die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten gewandt. In dem fünfseitigen Schreiben, das der F.A.Z. vorliegt, nennt Källenius drei Prioritäten für seine Amtszeit als ACEA-Chef.
Regeln beruhen auf falschen Prognosen
Källenius fordert wegen des schwachen Verkaufs von Elektroautos die Lockerung der Klimaschutzregeln in der EU. „Nur sehr wenige Prognosen haben die aktuellen geopolitischen und makroökonomischen Realitäten vorhergesagt. Dennoch beruhen die politischen Ziele Europas auf Prognosen, die nicht eingetroffen sind. Deshalb müssen die politischen Ziele und Leitlinien an die veränderte Realität angepasst werden“, schreibt der Mercedes-Chef mit Blick auf die Vorschrift, das Verfehlen von CO₂-Abbauzielen von diesem Jahr an mit Bußgeldern zu bestrafen. Das müsse geändert werden, da sonst in einer kritischen Phase der Transformation der Branche die Mittel fehlten, um den Umschwung zu stemmen. Staatliche Kaufanreize seien „hilfreich“.
Zudem braucht die EU nach Ansicht von Källenius einen ordnungspolitischen Rahmen, der die Wettbewerbsfähigkeit von Europas Industrie stärkt. Dazu zählten die Förderung von Forschung, bezahlbare Energie, niedrigere Arbeitskosten, flexiblere Arbeitszeiten, weniger Bürokratie und attraktive Arbeitsbedingungen für Bewerber aus aller Welt, schreibt Källenius.
Mit Blick auf die „düsteren Aussichten für den Welthandel“ müsse die EU wieder eine Führungsrolle einnehmen, um den Handel wiederzubeleben und seine Chancen für den Austausch von Gütern zu maximieren. Kurz vor Donald Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus plädiert Källenius zudem für ein Zugehen auf den künftigen US-Präsidenten. Die EU solle Gespräche anstreben und „versuchen, einen potentiellen Handelskonflikt zu vermeiden“.