Vom SS-General bis zu Herbert Kickl

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Diese Woche ist in Österreich mal wieder ein FPÖ-Video aufgetaucht. Zwei Wiener Politiker der rechten Partei sprechen darauf abfällig über die heimische politische Konkurrenz, die christdemokratische ÖVP, mit der sie gerade in Koalitionsverhandlungen getreten ist. Sie ziehen über die EU her, halten hier ankommende Migranten für „Gesindel“, das in Afghanistan nicht mal mehr von den Taliban toleriert würde.

Es ist ein substanzfreies Schwadronieren. Kein Wunder: Es ist eine heimliche Aufzeichnung eines „Stammtischs“, eine Veranstaltung, auf der Gleichgesinnten die Welt aus Sicht der Freiheitlichen erklärt wird. Journalisten des französischen Fernsehens saßen dabei, machten unerkannt die Aufnahme und gaben sie an die österreichische Zeitung „Der Standard“ weiter.

FPÖ spricht von Aussagen in „vertrauter Runde“

Als 2019 das Ibiza-Video an die Öffentlichkeit kam, Teile eines heimlich aufgenommenen Gesprächs mit skandalösen Aussagen des damaligen FPÖ-Chefs und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache, war eine Regierungskrise die Folge. Die Koalition aus ÖVP und FPÖ zerbrach. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sagte „So sind wir nicht“ und setzte eine Beamtenregierung ein.

Jetzt ist die FPÖ noch nicht in der Regierung, aber wenn ihre Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP gelingen, dann stellt sie nicht mehr den Vizekanzler, sondern den Kanzler. Unter Herbert Kickl ist die FPÖ in den Wahlen vom September 2024 stärkste Kraft geworden (29 Prozent), die ÖVP nur mehr zweitstärkste (26 Prozent).

Als Skandal wurde das Video jetzt aufgebauscht. Pfade zur korrupten Nutzung von Oligarchengeld wie auf dem Ibiza-Video werden dort nicht erkundet. Freilich, einen Einblick in die Partei erhält man schon. Auch durch das Personal, das dort auftritt. Die FPÖ sagte zu dem Video, als die erwartbaren Bekundungen von Abscheu und Empörung aus den anderen Parteien laut wurden, nicht ausdrücklich: „So sind wir.“

Aber es lief darauf hinaus. „Dass es Äußerungen gibt in vertrauter Runde, da kann ich niemandem einen Vorwurf machen“, sagte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker. „Das passiert bei der ÖVP genauso.“ Wichtig für alle Seiten sei es, das Regierungsprojekt nicht zu torpedieren. Genau das dürfte die Absicht der Veröffentlichung sein.

Die Christdemokraten äußerten sich – hauptsächlich wegen EU-Austrittsphantasien – „befremdet“ und versicherten, mit ihnen werde es keinen „Öxit“ geben.

Die Stammtischredner sind keine Hinterbänkler

Unbedeutend sind die beiden Stammtischredner innerparteilich nicht. Der eine heißt Markus Tschank, ist Rechtsanwalt in Wien und sitzt für die Freiheitlichen seit vergangenem Herbst wieder im Nationalrat. 2017 bis 2019 hatte er dort schon mal ein Mandat. Es endete mit der Ibiza-Affäre aus doppeltem Grund: Die FPÖ ging aus den folgenden Wahlen geschwächt hervor, und Tschank war außerdem ins Gerede gekommen.

Er entsprach einem Bild, das Strache auf dem Ibiza-Video gezeichnet hatte, als er einer vermeintlichen Oligarchennichte erzählte, sie müsse nicht der Partei spenden, wenn sie der FPÖ nutzen wolle. Es gebe da Vereine mit Rechtsanwälten als Vorsitzenden. Tschank war im Vorstand von Vereinen, die im Vorfeld der FPÖ angesiedelt waren. Allerdings wurden da keine illegalen Geldflüsse nachgewiesen, der Wiener, Jahrgang 1979, ist rechtlich unbescholten. In der FPÖ ist er Parteiobmann des 1. Wiener Gemeindebezirks, also der Inneren Stadt.

Hauptsächlich zu hören ist auf der Aufnahme (die vom „Standard“ in Teilen als Audiostream publiziert wurde) Harald Stefan. Der Rechtsanwalt und Notar ist seit 17 Jahren Nationalratsabgeordneter, stellvertretender FPÖ-Vorsitzender, für zwei Tage (nach dem Rücktritt Norbert Hofers, vor der Bestellung Herbert Kickls) führte er schon mal die Partei. In den Koalitionsgesprächen handelt er die rechtspolitischen Themen aus.

„Treuelied“ der SS bei Beerdigung gesungen

Stefan war im vergangenen Jahr schon einmal unrühmlich in die Schlagzeilen geraten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn nach dem NS-Verbotsgesetz wegen „Wiederbetätigung“. Im Dezember stimmte das Parlament der „Auslieferung“, also der Aufhebung der Immunität, der Abgeordneten Stefan, Martin Graf und Norbert Nemeth (alle FPÖ) zu. Gegenstand der Ermittlungen ist wieder ein Video, das der „Standard“ publiziert hatte.

Austria-Nationalismus als Programm, NS-Bezüge als Provokation: Der 2008 tödlich verunfallte Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider
Austria-Nationalismus als Programm, NS-Bezüge als Provokation: Der 2008 tödlich verunfallte Kärntner Landeshauptmann Jörg HaiderREUTERS

Es zeigt, wie auf einem Begräbnis ein Lied gesungen wird, das als „Treuelied“ in der Hitlerzeit zum Liedgut der SS gehörte. Die FPÖ argumentierte, das Lied stamme aus dem frühen 19. Jahrhundert. Tatsächlich handelt der Text ursprünglich von der Enttäuschung national begeisterter Kämpfer gegen Napoleon, die sich um die erhoffte deutsche Einigung gebracht sahen. Öffentlich wird nun gestritten, um welche Fassung es sich gehandelt habe. Ob es je zu einer Anklage oder gar Verurteilung kommt, kann nur die Justiz entscheiden.

Der Mann, der da begraben wurde, war ein „Alter Herr“ der deutschnationalen Burschenschaft „Olympia“. Er soll sich das Lied für seine Beisetzung gewünscht haben. Die „Olympia“ wird geläufig als rechtsextrem bezeichnet, etwa durch das „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“, einer Stiftung mit staatlicher Beteiligung. Im Haus der „Olympia“ traten rechtsextreme Musiker wie Frank Rennicke oder der britische Holocaustleugner David Irving auf.

Das Personal kommt aus den Burschenschaften

Nemeth und Graf sind auch keine Hinterbänkler. Der eine ist „Klubdirektor“, also Parlamentsgeschäftsführer, der andere war Dritter Nationalratspräsident. Beide sind alte „Olympen“, Harald Stefan ist laut Medienberichten 2018 aus der Burschenschaft ausgetreten. Man hätte gerne einmal mit ihm darüber gesprochen, um zu verstehen, welche Gedankenwelt dahintersteckt.

Wie ein „deutschnationaler“ Verein mit einer Partei zusammenpasst, die als erklärtermaßen patriotische Kraft in Österreich Verantwortung übernehmen möchte. Eine Anfrage der F.A.Z. wurde vor geraumer Zeit durch Stefan höflich, aber kühl beantwortet: Er verstehe wohl, dass der Journalist Interesse an einem solchen Gespräch habe, aber er habe keines.

Norbert Hofer hat einmal auf eine entsprechende Frage im informellen Gespräch geantwortet, es gehe nicht um eine politische, sondern die Kulturnation. Der frühere FPÖ-Präsidentschaftskandidat, der nunmehr im Burgenland reüssieren möchte, ist Burschenschaftler auf dem zweiten Bildungsweg, als Erwachsener wurde er Ehrenmitglied einer Pennälerverbindung. In Österreich sind Studentenverbindungen viel stärker politisch konnotiert als in Deutschland.

Wer in einer katholischen Verbindung (CV) war, gilt automatisch als „ÖVPler“, auch wenn er in Wirtschaft oder Verwaltung tätig ist, nicht in der aktiven Politik. Und schlagende Burschenschaftler gelten eben als „Freiheitliche“ und werden von der FPÖ als Personalreservoir gebraucht. Es gibt wenige Ausnahmen, etwa den Wiener Polizeipräsidenten, der ist ein Sozialdemokrat.

Haiders „Buberlpartie“ löste Partei von Deutschtümelei

Es gibt lange Wellen. So wurden einst, bis zu Kaiser Joseph II., Protestanten unter den Habsburger Herrschern verfolgt. Entsprechend war die Zuneigung zu „Österreich“ bei ihnen gering. Einstige Rückzugsorte des Protestantismus, etwa in Kärnten oder im Burgenland (damals Ungarn), sind nicht von ungefähr Gegenden, in denen später die FPÖ stark war oder ist. „Deutschnational“ war auch sonst für Liberale in Metternichs Staat eine Verheißung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde unter Georg Schönerer auch eine antisemitische Konnotation prägend für diese Richtung.

Die geschichtlichen Strömungen wirkten über den verlorenen Ersten Weltkrieg hinweg. Deutschnationale lehnten die kleine Republik Österreich ab. Wobei auch in der Sozialdemokratie, wenn nicht auf die Internationale, dann auf Deutschland geschielt wurde. Das Sagen hatten (außerhalb des „Roten Wiens“) die Christlichsozialen.

Während des autoritären Regimes unter Dollfuß und Schuschnigg waren SPÖ wie Nationalsozialisten verboten. Das ergab später auch Anknüpfungspunkte. Wobei die vorrangige Gemeinsamkeit nach 1945 diejenige der NS-Verfolgten war. ÖVP und SPÖ schlossen Frieden „im Geist der Lagerstraße“ und regierten in der Nachkriegszeit meist in großer Koalition.

Die FPÖ bildete demgegenüber das „dritte Lager“. Hervorgegangen ist sie aus dem „Verband der Unabhängigen“ (VdU), in dem sich Altnazis, aber anfangs auch vom Nationalsozialismus Verfolgte betätigten. Erstere setzten sich durch und machten aus dem VdU die Freiheitliche Partei. Deren erster Obmann war Anton Reinthaller, ein schwer belasteter Nazi und SS-General.

Später, in den Siebzigerjahren, hatte der frühere SS-Obersturmführer Friedrich Peter das Sagen. Er führte die FPÖ in Richtung Liberale. Damit brach dann wieder Jörg Haider, der 1986 das Ruder übernahm. Haider stammte aus einer Familie mit NS-Vergangenheit, führte die FPÖ aber in Richtung eines neuen Austro-Nationalismus.

Anspielungen auf die NS-Zeit („anständige Beschäftigungspolitik“) dienten mehr zur Provokation. Er stützte sich weniger auf die alten Akademiker als auf eine „Buberlpartie“ alerter junger Männer. An Haiders Sprunghaftigkeit zerbrach die FPÖ, sinnbildlich dafür steht ein Parteitag in Knittelfeld. Es kam Heinz-Christian Strache an die Spitze, unter dem das Burschenschaftlerelement wieder gestärkt wurde.

Auch Kreiskys SPÖ errichtete keine Brandmauer

Zu diesem gehört Kickl, der unter Strache zum Generalsekretär aufstieg, eigentlich nicht. Aber auch Kickl stützt sich auf dieses Personalreservoir. Und auf die vom Verfassungsschutz zur rechtsextremen Szene gerechnete Identitäre Bewegung: Das sei eine „NGO wie Greenpeace“, nur rechts. Sowieso ist die Schnittmenge auch zu den Burschenschaften groß.

Eine Brandmauer zur FPÖ gab es von Anfang an nicht, auch nicht seitens der SPÖ. Im Gegenteil hoffte man dort auf eine Spaltung des bürgerlichen Lagers und unterstützte die Gründung des VdU. Später schob Franz Olah der FPÖ eine Finanzspritze über eine Million Schilling aus der Gewerkschaftskasse zu. Dafür wurde der frühere Innenminister wegen Untreue verurteilt.

Auch versucht man, Olah als eigenmächtigen Putschisten darzustellen. Aber einsam war er in der Sozialdemokratie nicht. Sein Widersacher Bruno Kreisky nutzte eine Tolerierung durch die FPÖ unter Peter, um erstmals eine SPÖ-Alleinregierung zu führen. Es folgte Kreiskys Zeit als „Sonnenkönig“ mit absoluten Mehrheiten, dann eine SPÖ-FPÖ-Koalition unter Fred Sinowatz.

1986 errichtete die SPÖ dann unter Franz Vranitzky eine Brandmauer, auch wenn sie noch nicht so hieß. Man darf Vranitzky unterstellen, dass er das aus Überzeugung und Misstrauen gegen Haider tat. Aber einen taktischen Erfolg hatte es auch: Obwohl es seit Kreisky immer Mitte-rechts-Mehrheiten gab, verhinderte die Mauer, die moralisch auf die ÖVP ausgedehnt wurde, dass diese Mehrheiten realisiert wurden. Bis Wolfgang Schüssel 2000 sie einriss und mit Haider die erste schwarz-blaue Regierung bildete.

Da war die Empörung von der Linken bis in die bürgerliche Mitte groß. 17 Jahre später, als Kurz es Schüssel nachtat, war es ähnlich. Allerdings ließen sich die EU-Regierungschefs nicht wieder zu einem „Boykott“ aufstacheln. Immer wieder kamen Skandale mit FPÖ-Bezug auf: Ein Liederbuch mit einem antisemitischen Text aus einer Burschenschaft, ein „Rattengedicht“, an sich läppisch, aber an „Hitlers Geburtstag“ in Braunau verbreitet.

Wie wird es sein, sollten die Koalitionsverhandlungen jetzt abgeschlossen und Kickl Kanzler werden? Jedenfalls gibt es schon wieder „Donnerstagsdemonstrationen“ und Alarmrufe in linken Zeitungen, das letzte Stündlein der Demokratie habe geschlagen. Untergegangen ist sie durch die bisherigen FPÖ-Regierungsbeteiligungen nicht.