Auch Jeff Bezos’ Superrakete fliegt

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Gradatim ferociter – „schrittweise wild“ lautet das lateinische Motto des vom Amazon-Milliardär Jeff Bezos gegründeten amerikanischen Raketenbauers Blue Origin. Wild wurde es allerdings erst am Donnerstagmorgen um 8.03 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Auf dem Startgelände am Cape Canaveral an der Ostküste Floridas war es erst 2.03 Uhr nachts, als die sieben riesigen Triebwerke aufleuchteten und die vollbetankte, 1250 Tonnen schwere und 98 Meter hohe Rakete New Glenn endlich in den Himmel hoben.

Zuvor war der Countdown angehalten worden, weil sich auf dem Meer vor Florida ein Boot in die Sperrzone verirrt hatte. Ansonsten verlief der Start wie im Bilderbuch. Den Moment größter mechanischer Belastung in zwölf Kilometer Höhe überstand New Glenn problemlos, die Triebwerkabschaltung nach dreiminütigem Flug und die anschließende Trennung von Ober- und Unterstufe sowie die Zündung der Oberstufentriebwerke funktionierten makellos. Die Oberstufe erreichte planmäßig den Erdorbit, damit war das Hauptziel dieses Testfluges erreicht.

Für Bezos und viele in der Raumfahrtbranche ist das eine große Erleichterung. Die Fertigstellung der seit fast zehn Jahren in der Entwicklung befindlichen Rakete hatte sich immer wieder verzögert.  Im Oktober 2024 hätte sie bereits zwei kleine Sonden auf den Weg zum Planeten Mars bringen sollen – doch diese verpassten dann ihr Startfenster, weil New Glenn noch nicht einsatzbereit war.

Im Dezember 2024 schien der Jungfernflug dann greifbar nah, doch auch im Januar musste der Start noch mehrfach verschoben werden – aus meteorologischen Gründen und zuletzt, am vergangenen Montag, den 13. Januar, wegen Eisbildung an einer Leitung in den hydraulischen Systemen der Rakete. „Das Team setzte alles daran, das Problem zu lösen, schaffte es aber nicht mehr rechtzeitig“, erklärte Blue Origins Vizepräsidentin Ariane Cornell später. So schloss sich das dreistündige Startfenster am Montag, ohne dass die Rakete abhob. 

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Testversion von Blue Ring ins All gebracht

Das hat sie nun getan – und dabei bereits eine erste Nutzlast ins All gebracht: eine kleine Testversion der Satellitenplattform „Blue Ring“. Sie nahm allerdings nur einen winzigen Teil des mit sieben Meter Durchmesser und mehr als 18 Meter Höhe gigantischen Frachtraums der New Glenn in Anspruch. In diesem kann die Rakete bis zu 45 Tonnen in den erdnahen Orbit befördern und bis zu 13 Tonnen in eine geostationäre Umlaufbahn. Mit dem nun geglückten Start steht nun eine der leistungsfähigsten Schwerlastraketen überhaupt zur Verfügung.  

An Bord hatte die zweistufige Schwerlastrakete einen Prototyp des Raumfahrzeugs „Blue Ring“, das später Satelliten ins All bringen soll.
An Bord hatte die zweistufige Schwerlastrakete einen Prototyp des Raumfahrzeugs „Blue Ring“, das später Satelliten ins All bringen soll.dpa

Ein wichtiges Nebenziel hat der Jungfernflug der New Glenn allerdings verfehlt: Die Landung der als wiederverwendbar ausgelegten Unterstufe auf dem unbenannten Spezialschiff Jacklyn – benannt nach Jeff Bezos’ Mutter – gelang nicht. Dort hätte der 57 Meter hohe Booster, wie die Unterstufe auf Englisch auch heißt, nach Abbremsung in 67 Kilometer Höhe und kontrolliertem Flug zurück durch die Erdatmosphäre auf einem Triebwerksstrahl niedergehen und aufrecht auf sechs ausklappbaren Ständerbeinen zum Stehen kommen sollen. Blue Origins CEO Dave Limp erklärte, man werde das Manöver beim nächsten Flug der New Glenn im Frühjahr wieder versuchen.

Elon Musks Unternehmen Space X praktiziert derartige Landungen der Unterstufen seiner Raketenmodelle Falcon 9 und Falcon Heavy allerdings seit mehr als neun Jahren. Ihre dienstältesten Booster flogen bereits fünfundzwanzigmal – für viele Einsätze ist auch die Unterstufe der New Glenn ausgelegt. Erst am Mittwoch konnte Space X seine 398. Boosterlandung feiern. Die Wiederverwendbarkeit der Unterstufen mit ihren teuren Triebwerken hat mit dazu beigetragen, dass Musks Firma heute den Markt für Raketenstarts dominiert.

Space X gelang die Landung erst beim fünftem Mal

Auch Jeff Bezos setzt auf dieses Konzept. Allerdings wird erst die Analyse der Gründe für den Verlust der Unterstufe der ersten New-Glenn-Rakete zeigen, woran es gelegen hat und damit auch, wie schwerwiegend dieser Rückschlag ist. Space X war die Landung eines Falcon-9-Boosters erst beim fünften Versuch gelungen – und bei den ersten Teststarts der Falcon 9 war eine solche Landung auf dem Boden oder dem Wasser erst gar nicht versucht worden.

Dass Blue Origin bereits beim ersten Testflug der New Glenn gleich plante, den Booster per Landung unversehrt zu bergen, wurde von Beobachtern schon früh als sehr wagemutig eingestuft. Und dass die Firma selbst nicht wirklich mit einem solchen Erfolg rechnete, darf man vielleicht daran ablesen, wie sie die nun verlorene erste New-Glenn-Unterstufe benannt hat: „So You’re Telling Me There’s a Chance“.

Immerhin konnte Jeff Bezos seinem alten Rivalen Elon Musk mit dem nun geglückten Start in anderer Hinsicht zuvorkommen: Mit New Glenn erreichte zum ersten Mal eine amerikanische Nutzlast auf einer mit Methan und flüssigem Sauerstoff betriebenen Unterstufe eine Erdumlaufbahn. Diese neue Treibstoffkombination, die insbesondere für wiederverwendbare Triebwerke Vorteile hat, wird zwar auch auf der noch größeren Schwerlastrakete Starship aus dem Hause Space X verwendet. Doch die ist erst in der Entwicklungsphase. An diesem Donnerstag um 23 Uhr soll ihr siebter Testflug stattfinden, aber auch bei diesem werden die Oberstufe und ihre Testnutzlast nicht bis in eine Erdumlaufbahn gelangen.