Aufständische träumen vom Sturz Assads

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Die Marschroute der islamistischen Aufständischen hat ihr Befehlshaber klar ausgegeben: „Leute von Homs, bereitet euch vor“, sagte Abu Muhammad al-Golani, der Anführer der Rebellenallianz „Hay’at Tahrir al-Scham“ (HTS) in einer Videobotschaft. Am Freitag standen die Kämpfer vor den Toren der Stadt. Homs, die drittgrößte Stadt Syriens, liegt noch zwischen den Aufständischen und der Hauptstadt Damaskus. Homs ist noch immer gezeichnet von den brutalen Gefechten, die dort tobten, als der Aufstand gegen Baschar al-Assad 2011 begann. Seinerzeit gelang es dem syrischen Gewaltherrscher, seine Gegner in die Knie zu zwingen. Heute gilt seine Herrschaft als so gefährdet wie nie.

Aus gut in Damaskus vernetzten Kreisen heißt es, erste Persönlichkeiten aus dem mafiahaften Kartell an der Spitze des syrischen Regimes hätten schon vorsichtshalber ihre Verwandten in Sicherheit gebracht. Der Eroberungszug der islamistischen Aufständischen scheint derzeit kaum zu stoppen zu sein. Dass auch Homs in ihre Hände fällt, gilt in Sicherheitskreisen als ausgemacht. In einem solchen Fall wäre Damaskus vom Küstenland abgeschnitten – dem Kernland der Alawiten, der Bevölkerungsgruppe, der auch Assad angehört.

Vorboten einer möglichen weiteren, schweren Niederlage des Regimes kursierten schon am Donnerstagabend im Internet. Videoaufnahmen zeigten lange Fahrzeugschlangen mit Menschen, die sich aus Homs in Sicherheit brachten. Es wäre die dritte große Stadt, die Assad aufgeben muss.

Als Erstes war in der vergangenen Woche den Aufständischen die nordsyrische Millionenstadt Aleppo kampflos in die Hände gefallen. Am Donnerstagabend folgte Hama, wo die zerfallenden Streitkräfte des Regimes nach kurzer Gegenwehr abzogen. Hama steht für eines der berüchtigtsten Massaker in der Region: Im Jahr 1982 richteten die Sicherheitskräfte von Hafiz al-Assad, dem Vater und Amtsvorgänger Baschars, dort ein Blutbad mit Tausenden von Toten an, als die Stadt unter der Führung der islamistischen Muslimbruderschaft gegen das Regime aufbegehrte. Jetzt zeigen Videoaufnahmen, wie islamistische Rebellen eine Hafiz-Statue in der Stadt zu Fall bringen.

Anführer der Rebellenallianz will ein gemäßigtes Image aufbauen

HTS-Anführer Golani will nun auch Baschar al-Assad stürzen. „Wenn wir von Zielen sprechen, dann bleibt das Ziel der Revolution der Sturz dieses Regimes. Es ist unser Recht, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen“, sagte er dem amerikanischen Fernsehsender CNN. Iran und Russland hätten beide versucht, das Leben der Führung in Damaskus zu verlängern. Aber das habe über eines nicht hinwegtäuschen können: „Das Regime ist tot.“

Das Interview diente dem Islamistenführer, dessen HTS-Allianz in den Vereinigten Staaten seit 2018 als internationale Terrororganisation geführt wird, noch einmal dazu, sich von seinen extremistischen Wurzeln zu distanzieren. Er will das Image eines pragmatischen und offenen syrisch-nationalistischen Anführers aufbauen. Zuletzt veröffentlichte er Erklärungen unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed Hussein al-Sharaa, nicht unter seinem Kampfnamen Abu Muhammad al-Golani.

In einer Mitteilung seiner Öffentlichkeitsarbeiter wurde die internationale Presse ermutigt und eingeladen, „freie Gebiete“ zu besuchen. Es wurde außerdem bekräftigt, dass Angehörige anderer Religionsgruppen geschützt und Kriegsgefangene gut behandelt werden sollten. Mehreren unabhängigen Berichten zufolge scheinen sich zumindest die HTS-Kämpfer im Großen und Ganzen daran zu halten.

Militärisch hat der HTS-Anführer die eigenen Erwartungen übertroffen. Seine Militärführer zeigten sich teilweise selbst erstaunt über die Eroberungszüge. Als sich Golani am Mittwoch in Aleppo dafür feiern ließ, wurde nicht nur die Eroberung von  Homs als Kriegsziel ausgegeben, sondern auch die der Südprovinz Daraa, wo ein großer Aufstand erwartet wird, der Ostprovinz Deir ez-Zor, wo das Regime unter Druck gerät – und von Damaskus.

Erdoğan äußert sich doppeldeutig

In der Türkei wird der rasante Vormarsch mit gemischten Gefühlen verfolgt. Ursprünglich hatte Ankara für die Offensive wohl grünes Licht gegeben. Doch je größer die  militärischen Erfolge der Aufständischen, desto mehr könnte sich der Islamistenführer Golani dem Einfluss der Türkei entziehen. Bislang war die HTS auf das Wohlwollen Ankaras angewiesen, weil die von ihr kontrollierte Region Idlib über die Türkei versorgt wird.  Der türkische Sicherheitsfachmann Abdullah Ağar meint: „Wenn die HTS diese Hilfe nicht länger braucht, könnten wir eine deutliche Veränderung in ihrem Verhalten zu uns feststellen.“

Euphorische Äußerungen über das Wanken des Regimes sind aus Ankara jedenfalls bisher nicht zu vernehmen. Das Ziel des Vormarsches sei „natürlich“ Damaskus, sagte Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Freitag. Er hoffe, dass der Vormarsch „ohne Zwischenfälle und Unglücke fortschreitet“. Zugleich äußerte er, die Vorstöße entwickelten sich nicht, „wie wir es uns wünschen“. Dabei hatte er zu Beginn des Bürgerkrieges in Syrien noch offen auf einen Sturz Assads hingearbeitet. Doch inzwischen legt Erdoğan Wert darauf,  jeden Anschein einer interventionistischen Politik zu vermeiden, auch um die Golfstaaten nicht zu verprellen, deren finanzielle Unterstützung für einen Wiederaufbau Syriens benötigt würde.

Vor diesem Hintergrund drängt Erdoğan nun auf Verhandlungen zwischen Machthaber Assad und den Rebellen. „Das syrische Regime muss dringend mit seinen Bürgern für eine umfassende politische Lösung zusammenarbeiten“, sagte er am Donnerstag in einem Telefonat mit UN-Generalsekretär António Guterres laut türkischen Angaben. Die Türkei bemühe sich um eine „Deeskalation der Spannungen“. In einem politischen Prozess könnte Ankara seinen Einfluss auf die Oppositionskräfte geltend machen.

Drei Millionen syrische Flüchtlinge leben in der Türkei

Eine rasche Stabilisierung Syriens ist für Erdoğan auch deshalb wichtig, weil er innenpolitisch unter Druck steht, zumindest den Anschein zu erwecken, dass ein großer Teil der rund drei Millionen syrischen Flüchtlinge schon bald aus der Türkei zurückkehren könnte. Innenminister Ali Yerlikaya teilte mit, dass mehr als 40 Prozent der Syrer in der Türkei aus der Region Aleppo stammten. „Wenn Aleppo sicher ist, wird sich die Aufmerksamkeit deutlich von hier nach dort verlagern“, sagte er.

Yerlikaya rief den Eindruck hervor, dass die Bereitschaft zurückzukehren nach der Eroberung Aleppos durch die islamistischen Rebellen groß sei. „Wir sagen zu jenen, die sagen, dass sie sofort zurückkehren wollen, dass sie vorerst abwarten sollen. Noch ist nicht der richtige Zeitpunkt“, sagte er. Viele Syrer dürften allerdings in der Türkei bleiben wollen, weil ihre Kinder besser türkisch als arabisch sprechen und sie sich in den vergangenen dreizehn Jahren ein neues Leben aufgebaut haben.

Mit ihren Äußerungen steckten Erdoğan und Yerlikaya auch gleich die türkischen Interessen für die  erwarteten Verhandlungen mit Assads Schutzmächten Iran und Russland ab. Es wird erwartet, dass sich die Außenminister der drei Länder am Wochenende in der qatarischen Hauptstadt Doha treffen. Irans Außenminister Abbas Araghchi bestätigte in einem Interview, dass ein Treffen im sogenannten Astana-Format geplant sei. Er signalisierte Verhandlungsbereitschaft gegenüber der Türkei. Neben den „Entwicklungen vor Ort“, also den Kampfhandlungen, gebe es noch die Ebene „politischer Vereinbarungen“, sagte er.  Iran geht geschwächt in die Gespräche. Militärisch konnte es seinen Schützling Assad vor dem Vormarsch der Aufständischen bisher nicht schützen. Reichlich vage fiel die Antwort des Ministers auf die Frage aus, ob Teheran plane, eigene Truppen nach Syrien zu entsenden. „Wenn die syrische Regierung uns darum bittet, werden wir es definitiv erwägen.“