Shootingstar Phil Harres aus Kiel – gegen ihn wird’s unangenehm

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Sieben Tore in nur zehn Bundesliga-Spielen. Und das für einen Aufsteiger im Tabellenkeller. Und doch hat kaum jemand Phil Harres auf dem Zettel – noch.

Mitte der 1980er Jahre entschied sich die britische Punkband “Toy Dolls”, ein Kinderlied zu covern. Das Trio aus der nordenglischen Stadt Sunderland legte “Nellie The Elephant” neu auf – und landete damit seinen größten Hit. So groß, dass der auch nach Deutschland herüberschwappte. Fans von Borussia Dortmund bekamen ihn am vergangenen Dienstag beim 2:4-Debakel gleich viermal zu hören, denn “Nellie The Elephant” ist die Torhymne von Holstein Kiel.

Für eines der vier Male war Phil Harres verantwortlich. In der 32. Minute hämmerte der Kieler Mittelstürmer eine Hereingabe von der rechten Seite mit dem Kopf ins Netz. Pure Ekstase im Holstein-Stadion, Jubel in allen Fanblöcken. Und auch beim Torschützen selbst gab es kein Halten mehr.

Kannte zu Beginn der Saison noch kaum jemand den Namen des erst 22 Jahre alten Phil Harres, ist er inzwischen der Mann der Stunde. Denn Harres hat bereits sieben Bundesliga-Tore auf dem Konto – und damit übrigens genauso viele wie Serhou Guirassy (BVB), Florian Wirtz (Bayer Leverkusen) oder Jonas Wind (VfL Wolfsburg). Der Unterschied: Harres brauchte dafür nur zehn Spiele.

Dortmund, Bochum, Münster, Dresden, Ulm, Berlin, Homburg, Kiel. Phil Harres’ Laufbahn liest sich wie eine wilde Schnitzeljagd durch die Republik. Den Anfang macht er in seinem Geburtsort Datteln, einer Stadt im nördlichen Ruhrgebiet. Von dort geht es in jungen Jahren zu Borussia Dortmund. Sein damaliger Jugendtrainer, Gary Gordon, ist heute sein Berater.

Im Gespräch mit t-online erinnert sich Gordon an den jungen Phil Harres: “Ich habe früh gemerkt, dass er etwas Besonderes ist. Bei seinem ersten Jugendturnier mit dem BVB in Danzig hat er ein Tor nach dem anderen geschossen. Phil war sehr introvertiert, ein ruhiger Junge. Aber auf dem Platz sehr ehrgeizig.” Harres’ Athletik beeindruckt, Tore feiert er gerne mit einem Salto.

Doch sein Vorteil wird kurze Zeit später zum Nachteil. “Als er in der Pubertät einen Wachstumsschub bekam, fehlte es ihm an der Koordination”, sagt Gordon. Harres hat nicht mehr das gleiche Ballgefühl, auch das Tempo lässt nach. Gordon kennt das Phänomen von anderen Teenagern und bleibt gelassen. “Mit 15, 16 Jahren kommt die Koordination bei den Jungs wieder”, ergänzt er. Doch der BVB entscheidet sich anders. Harres hat keine Zukunft in Dortmund.

Und so beginnt die wilde Reise durch die Republik. Seinen längsten Halt macht er in Dresden, wo er für Dynamo Dresden zunächst in der Jugend spielt, im Sachsenpokal dann sein Profidebüt feiern darf. Ligaspiele für die erste Mannschaft kommen aber vorerst keine dazu. An Spielern wie Christoph Daferner und Ransford-Yeboah Königsdörffer (heute HSV) gibt es kein Vorbeikommen.

Also wird der junge Phil Harres verliehen. Erst ein Jahr an den SSV Ulm in der Regionalliga Südwest, dann an Viktoria Berlin in die Regionalliga Nordost. Sein Trainer in der Hauptstadt ist Semih Keskin, der sich gut an die Zeit mit dem heutigen Bundesliga-Torjäger erinnert: “Berlin ist eine lebhafte Stadt, in der du viel Schabernack anstellen kannst. Aber das hat Phil nicht getan. Er war ein ruhiger Typ, dazu sehr diszipliniert, hat das Training vor- und nachbereitet. Es gab keine Eskapaden, ganz unspektakulär.”

Während seine Teamkollegen gerne mal auf dumme Gedanken kommen, bleibt Harres fokussiert. Die laute Metropole macht es dem ruhigen Landliebhaber leicht. “Berlin war gar nichts für mich”, erinnert er sich heute im vereinseigenen Interview.