Fünf Wochen vor der Bundestagswahl müssen die Grünen mit einer möglichen Intrige in den eigenen Reihen umgehen. Es geht um angebliche Belästigungsvorwürfe mehrerer Frauen gegen den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar – die nun in sich zusammenfallen, weil vermutet wird, dass diese Frauen gar nicht existieren.
Der Schaden ist enorm, für alle Beteiligten. Der direkt gewählte Abgeordnete Gelbhaar hatte angesichts der nicht bewiesenen Vorwürfe seine Kandidatur für den Berliner Bezirk Pankow nicht noch einmal durchsetzen können. Auch auf der Landesliste steht er nicht. Seine bundespolitische Karriere ist damit erst einmal vorbei. Druck gemacht hatte im Vorfeld der Berliner Landesvorstand der Grünen, aber auch die Bundespartei. Hinzu kommt der Schaden für Frauen, die sich gegen Übergriffe zur Wehr setzen müssen.
Kurz bevor der Parteitag der Berliner Grünen Mitte Dezember die Landesliste für die Bundestagswahl bestimmte, hatte die Parteilinke Shirin Kreße aus dem Bezirk Mitte intern die Belästigungsvorwürfe erhoben. So berichtete es der „Tagesspiegel“. Kreße ist seit einigen Jahren Bezirksverordnete, ihre Basis hat sie bei der Grünen Jugend. Sie war Sprecherin für Gesundheit und Queerpolitik.
Gelbhaar sollte weg
Trotz Unschuldsvermutung war den entscheidenden Personen angesichts des Zeitdrucks bis zur Bundestagswahl offenbar klar, was passieren musste: Gelbhaar sollte weg. Der nannte die Vorwürfe von Anfang an „frei erfunden“.
Nach dem Rückzug von der Landesliste stand damit auch Gelbhaars Direktkandidatur infrage, obwohl er schon im November mit 98 Prozent nominiert worden war. Gelbhaars Kreisverband distanzierte sich, um das grüne Direktmandat zu schützen, wie es hieß. Die Landesvorsitzenden zogen nach. „Als Parteivorstand ist es unsere Pflicht, Schaden von der Partei abzuwenden, und wir sehen auch Stefan Gelbhaar in dieser Pflicht“, erklärten die Vorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai. Es wurde eine Neuwahl für die Direktkandidatur Anfang Januar angesetzt, bei der sich Julia Schneider durchsetzte, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.
Was genau Gelbhaar vorgeworfen wurde, wusste er offenbar lange selbst nicht. Der Ombudsstelle der Bundespartei lagen mehrere Beschwerden vor. Es handle sich um eine Ombudsstelle gegen sexualisierte Gewalt, hieß es parteiintern. Entsprechend schwerwiegend müssten also die Vorwürfe sein.
Zeugin mit falscher Identität
Der RBB berichtete groß über die Sache, auch über eidesstattliche Versicherungen, die von belästigten Frauen vorgelegt worden seien. Doch dann die spektakuläre Wende: Der Sender zog seine Berichte zurück – offenbar war man getäuscht worden. Denn wie der „Tagesspiegel“ berichtet, hat offenbar die Grünen-Politikerin Kreße unter falscher Identität eine der eidesstattlichen Versicherungen abgegeben. Kreße, die man bei den Grünen normalerweise unter einer E-Mail-Adresse erreicht, die den Begriff „Feminismus“ beinhaltet, hat demnach die Person „Anne K.“ erfunden und in ihrem Namen Vorwürfe gegen Gelbhaar erhoben. Davon geht der RBB inzwischen auch selbst aus. In Telefonaten hätte „Anne K.“ den angeblichen Übergriff geschildert, wonach Gelbhaar sie angeblich zu einem Kuss gezwungen habe. Persönlich getroffen hat die Redaktion die Frau aber nicht.
Zwei andere schwere Vorwürfe gegen den Verkehrspolitiker beruhten auf anonymen E-Mails, die dem RBB und wohl auch der Ombudsstelle vorlagen. Auch diese Nachrichten sollen von Kreße stammen. Laut RBB bestreite sie, die Vorwürfe gegen Gelbhaar erfunden zu haben. Belege für die Existenz von „Anna K.“ habe sie aber auch nicht vorgelegt. Der RBB geht inzwischen davon aus, dass die drei Hauptvorwürfe gegen Gelbhaar frei erfunden sind.
Kreße legte am Samstag ihr Amt als Vorsitzende der Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung von Mitte nieder und trat aus der Partei aus. Einen Grund nannte sie nicht. Zuvor hatte die Parteispitze erklärt, ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten, sobald bekannt sei, wer hinter den Falschanschuldigungen stecke. Bei der Staatsanwaltschaft Berlin ist derweil eine Anzeige von Gelbhaar gegen unbekannt wegen Verleumdung eingegangen. Anzeigen gegen Gelbhaar selbst liegen nicht vor.