Denise Page hat für die Amtseinführung Donald Trumps ein Schild gebastelt. Es ist aus weißer Pappe, ein blauer Stern in der Ecke, und darauf steht in roten Buchstaben: Befreit die Gefangenen des 6. Januars. Das ist ihr wichtig. Page wird an diesem Montag mit ihrer Tochter und dem 16 Jahre alten Enkel in der Innenstadt Washingtons stehen, auch wenn die Feierlichkeiten wegen der Kälte ins Kapitol verlegt wurden.
„Zum Glück sind alle in meiner Familie Republikaner“, sagt sie. Page hat zwei Jahre lang fast jedes Wochenende für Trump geackert, Watch Partys und Infoveranstaltungen organisiert. Die Amtseinführung ist der Höhepunkt dieser Anstrengungen.
Als die 67 Jahre alte Rentnerin auf Facebook schrieb, sie werde für den 20. Januar einen Bus aus Massachusetts in die Hauptstadt organisieren, meldeten sich dreihundert Leute. Die 55 Plätze im Bus waren sofort voll. Page selbst war noch nie in Washington, hatte bislang nicht das Bedürfnis. Sie habe gehört, es sei dieser Tage ziemlich gefährlich. Doch die Republikanerin ist gewiss, dass für Trumps Amtseinführung alles abgesichert ist – sonst würde sie auch nicht ihren einzigen Enkel mitnehmen.
Früher war Page Demokratin
Page fand Trump schon als Teenagerin gut. „Ich liebe Elvis und Michael Jackson und Trump“, sagt sie im Telefongespräch. „Das sind meine drei Idole.“ Sie habe jede Fernsehsendung mit Trump gesehen, alle Artikel über ihn gelesen. Und ihr großes Glück war es, als sie ihm in seinem Casino in New Jersey einmal persönlich begegnete. Sie selbst ist auf dem Foto von damals nicht drauf, sie hat es gemacht: ihre damals 14 Jahre alte Tochter neben Trump, der noch kein Politiker, sondern Immobilienunternehmer war. Page sagt: „Er fasziniert mich einfach.“
Für sie steht außer Frage, dass die acht, neun Stunden Busfahrt zur Amtseinführung es wert sind. Page wird nachts um elf mit Taschenlampe auf einem Supermarktparkplatz im Osten Massachusetts stehen und sicherstellen, dass jeder sicher in den Bus findet. Den ersten Kaffee am Morgen gibt es laut Plan schon in Washington. Page hofft insgeheim darauf, dass sie an diesem Tag vielleicht von „Real America’s Voice“ interviewt wird, einer rechten Youtube-Plattform, über die ein früherer Produzent sagte, es sei ein „Trump-Propaganda-Netzwerk“.
Ganz früher war die Frau aus Massachusetts mal Demokratin, stimmte in der Präsidentenwahl 1992 für Bill Clinton. Doch mit dem Alter, sagt Page, hätten sich ihre Werte und Ansichten verändert. Die vergangenen vier Jahre seien „schrecklich“ gewesen: Joe Bidens Umgang mit der Pandemie, die hohen Benzinpreise, „und wir haben hier im Land einfach so viele gefährliche Leute“. Page würde deswegen auch niemals nach New York City fahren. Aber Trump werde die Grenzen dichtmachen, sagt sie.
Trump sei einfach frech und geradeheraus
Die Republikanerin nannte die von ihr organisierte Party am Wahlabend im November gleich „Siegesfeier“. Sie habe einfach gewusst, dass Trump gewinnt. „Er war in seinen ersten vier Jahren ein wunderbarer Präsident und wird es diesmal noch besser machen“, sagt Page. Sie hat viel für seinen Sieg gebetet. Trump sei zwar ein „Milliardär“, doch er spreche die Sprache der einfachen Leute und rede keinen Blödsinn. Er sei reich, aber verhalte sich nicht so, findet Page. „Wir verstehen, was er meint und was er vorhat.“ Natürlich schieße Trump manchmal übers Ziel hinaus. Aber so sind die New Yorker, sagt Page, frech und geradeheraus.
Am meisten beeindruckt sie die Stimmung bei Trumps Veranstaltungen. Die Leute hätten alle dieselben Gedanken, sagt sie. Selbst nach sechs Stunden in der Schlange hätten alle noch großartige Laune. „Ich käme nie auf die Idee, dass mir in so einem Moment etwas zustoßen kann“, sagt die Rentnerin.
Von Gegendemonstranten in Washington hingegen will Page sich fernhalten. „Es ist nicht so, als würde ich sie hassen, ich kenne sie ja gar nicht“, sagt sie. „Aber ich will sie nicht treffen.“ Sie hofft, dass die Demokraten irgendwann „aufwachen“ und sehen, was in den vergangenen vier Jahren „wirklich geschehen“ ist. Page ist der Meinung, dass 2020 eigentlich Trump die Präsidentenwahl gewonnen hat.
Vergewaltigungsvorwürfe findet Page hanebüchen
Als er vor neun Jahren zum ersten Mal antrat, blieb die Amerikanerin die ganze Wahlnacht wach. Diesmal schlief sie irgendwann ein, doch gegen eins, halb zwei rief ihre Tochter an und schrie ins Telefon: „Er hat gewonnen, er hat gewonnen.“ Die Leute wollten Veränderung, sagt Page, sie wollten geschlossene Grenzen, niedrigere Preise, weniger Kriminalität – und Einigkeit.
In ihren Augen hat sich die Gesellschaft erst unter Biden richtig entzweit, doch Trump könne das wieder rückgängig machen. Er sei so gastfreundlich, schließlich habe er sogar schon CNN-Moderatoren zu sich nach Mar-a-Lago eingeladen. Page hat von der Szene bei Jimmy Carters Trauerfeier gehört, als die Ehefrau von Mike Pence Trump nicht die Hand schüttelte, und findet das unmöglich. Trumps Anhänger hatten während des Sturms auf das Kapitol gefordert, Vizepräsident Pence zu „hängen“.
Von den Vorwürfen gegen Trump glaubt Page keinen einzigen. Es sei Biden gewesen, der den Republikaner verfolgt habe. In den Videos, die sie schaut, und in den Podcasts, die sie hört, glaubt niemand – „niemand!“ –, dass Trump irgendetwas falsch gemacht hat. Zum Beispiel, dass er in den Neunzigern eine Frau in der Umkleide eines New Yorker Kaufhauses bedrängt und vergewaltigt haben soll. „Du willst mir erzählen, da war nicht ein Verkäufer, der ihm gefolgt ist wie ein Hund, um die Provision einzustreichen?“
Page findet das hanebüchen, trotz des Schuldspruchs wegen sexuellen Missbrauchs. Natürlich weiß sie, dass Trump früher ein Playboy war, er habe schließlich auch seine Ehefrauen betrogen. Aber so etwas? Niemals. Auch dass er ein Rassist sei, sei Quatsch. Schließlich habe Trump vor der Hochzeit mit Melania mal ein „halb schwarzes“ Model gedatet.
Für die Fahrt nach Washington haben sie und ihre Mitreisenden sich aufgeteilt. Die einen bringen belegte Brote mit, die anderen Muffins und ein paar hartgekochte Eier. Niemand soll hungrig ankommen. Am Tag der Amtseinführung Trumps soll es allein um das Gefühl von Einigkeit und Freude gehen. Für Page ist es eine Reise „aus Liebe zu unserem Land und aus Liebe zu unserem Präsidenten“.