Beginn der Waffenruhe in Gaza: Nervenkrieg bis zuletzt

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Der Nervenkrieg um den Gaza-Deal hielt lange an – er reichte sogar über den anvisierten Beginn der Waffenruhe hinaus. Dieser war für Sonntagmorgen vorgesehen, kam angesichts von Unstimmigkeiten zwischen Israel und der Hamas zunächst jedoch nicht zustande. Erst um 11.15 Uhr Ortszeit setzte die Feuerpause dann ein – am 471. Tag des Gazakriegs. Sechseinhalb Stunden später wurden die ersten drei Geiseln freigelassen. Dieser guten Nachricht zum Trotz verdeutlichten die Ereignisse dieses Wochenende noch einmal, wie ungewiss es ist, ob die Vereinbarung den Krieg wirklich beenden wird.

Schon die Einigung selbst war erst in der Nacht zum Samstag endgültig. Das israelische Kabinett akzeptierte das in Qatar ausgehandelte Abkommen nach einer langen Sitzung. 24 Minister stimmten dafür, acht dagegen. Die Gegenstimmen kamen von Bezalel Smotrichs „Religiösem Zionismus“ und Itamar Ben-Gvirs „Jüdischer Stärke“. Aber auch zwei Minister von Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Likud stimmten dagegen.

Schon im vergangenen Frühjahr ausgehandelt

Qatars Außenministerium verkündete daraufhin, dass die Waffenruhe am Sonntag um 8.30 Uhr beginnen solle. Sowohl in Israel als auch im Gazastreifen, im Westjordanland sowie in Ägypten begannen Vorbereitungen. Die Waffenruhe ist nur ein Teil der Vereinbarung: Die Hamas hatte eingewilligt, die im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln freizulassen; im Austausch sollen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freikommen. Zudem soll die Zahl der Hilfsgüter, die in den Gazastreifen gelangen, deutlich aufgestockt werden. Die israelische Armee soll sich schrittweise aus dem Küstenstreifen zurückziehen.

All diese Punkte hatten schon im vergangenen Frühjahr auf dem Tisch gelegen. Dennoch dauerte es bis Mitte Januar, bis es den Vermittlern gelang, beide Seiten zur Zustimmung zu bewegen. Israel hat die Hamas in dieser Zeit weiter geschwächt. Zugleich starben zahlreiche Geiseln und israelische Soldaten – sowie Tausende weitere Palästinenser. In Israel blicken viele daher auch mit Verbitterung auf die Vereinbarung und werfen Netanjahu vor, er habe aus innenpolitischen Gründen verhindert, dass es schon vorher eine Einigung gab.

Gegner des Abkommens demonstrieren in Jerusalem

Der jetzige Deal hat aber auch unter den Unterstützern einer militärischen Lösung sowie den Vertretern einer Groß-Israel-Ideologie Verärgerung ausgelöst. Ben-Gvir erklärte seinen Austritt aus der Koalition. Smotrich kündigte den gleichen Schritt an, sollte Israel nicht nach der ersten, sechswöchigen Phase aus der Vereinbarung aussteigen. Am Samstagabend demonstrierten in Jerusalem Gegner des Abkommens. Mehrere Israelis forderten das Oberste Gericht auf, die Freilassung als Mörder verurteilter Palästinenser zu verhindern. Die Richter wiesen die Petitionen jedoch ab.

Dafür ergaben sich andere Schwierigkeiten. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Hamas jeweils 24 Stunden zuvor die Namen derjenigen Geiseln übermittelt, die freigelassen werden sollen. Die fällige erste Liste kam jedoch nicht. Am Sonntagmorgen erklärte Netanjahus Büro die Waffenruhe für verschoben. Armeesprecher Daniel Hagari kündigte an, die Armee werde ihre Angriffe im Gazastreifen fortsetzen – „solange die Hamas ihre Verpflichtungen aus dem Deal nicht erfüllt“. Es gab Drohnenangriffe, die laut palästinensischen Angaben zu mehreren Todesopfern führten. Der Palästinensische Rote Halbmond teilte mit, einer seiner Krankenwagen sei angegriffen worden. Ungeachtet dessen waren zu diesem Zeitpunkt schon Tausende Menschen im Gazastreifen auf den Straßen, um die Waffenruhe zu feiern. Polizeikräfte begannen palästinensischen Medienberichten zufolge, sich in verschiedenen Teilen des Gebiets zu postieren.

Die Hamas teilte mit, sie stehe zu dem Deal. Die ausbleibende Namensliste rechtfertigte sie mit „technischen und operativen Gründen“. Einhergehend damit versuchten Hamas-Vertreter, den Vorwurf umzukehren: Man sei mit den Vermittlern übereingekommen, dass 48 Stunden vor dem Beginn der Waffenruhe „Ruhe einsetzen“ solle. Israel habe sich jedoch nicht daran gehalten – aus diesem Grund habe man die Freilassung der Geiseln nicht vorbereiten können.

Kurz darauf übermittelte die Hamas die Namen der drei Frauen, die freigelassen werden sollten. Daraufhin setzte gegen Mittag die Waffenruhe ein. Nur wenige Minuten später fuhren die ersten Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen ein. Am späten Nachmittag kamen Emily Damari, Romi Gonen und Doron Steinbrecher wie vereinbart frei, nach mehr als 15 Monaten Geiselhaft. Die ersten 90 palästinensischen Häftlinge sollten kurz danach entlassen werden.

Die Zukunft des Abkommens erscheint dennoch ungewiss. Smotrich erneuerte seine Forderung, dass Israel den Gazastreifen vollständig kontrollieren solle. Netanjahu habe ihm zugesichert, dass der Krieg nicht enden werde, ohne dass die Hamas vollständig zerstört sei. Sollte das nicht geschehen, werde er die Regierung zu Fall bringen, drohte Smotrich.

Netanjahu äußerte sich dazu nicht direkt. In einer Rede am Samstagabend gab er jedoch an, dass sowohl Donald Trump als auch Joe Biden Israels Recht, die Kämpfe wiederaufzunehmen, „uneingeschränkt unterstützt hätten“ – falls Israel „zu dem Schluss kommt, dass die Verhandlungen über die zweite Phase ineffektiv sind“. Er wisse das sehr zu schätzen, fügte Netanjahu hinzu und kündigte schon einmal an: Sollte Israel den Krieg wiederaufnehmen, werde das „auf neue Art und Weise“ geschehen und „mit großer Stärke“.