Wird 2025 das Jahr der KI-Agenten?

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Im weiteren Sinne, sagt Conrad ­Caine, leite er einen Maschinenbauer. Nur dass es eben nicht um klassische Fertigungstechnik gehe, sondern um Software-Roboter. Caine ist Gründer des Münchener Software-Unternehmens Machines Like Me mit knapp 80 Mitarbeitern. „Unsere KI-Agenten ahmen nach, was Menschen jeden Tag am Computer tun“, sagt er. Sie gleichen Bestellungen mit Angeboten ab, analysieren Mietverträge, erstellen Gutachten und übernehmen für Stadtwerke Aufgaben wie das Entgegennehmen von Zählerständen am Telefon. „Wir automatisieren Routinen“, sagt Caine. „Es geht vor allem um repetitive Aufgaben, die meistens keine Wertschöpfung beinhalten und auf die viele Mitarbeiter ohnehin keine Lust haben.“ Denn: „Niemand wurde geboren, um Excel-Listen zu pflegen.“

Was Caine so bildlich als Software-Roboter beschreibt, ist gemeinhin als KI-Agent bekannt – und auch auf der Tech-Konferenz DLD (Digital Life Design) in München eines der bestimmenden Themen. „Durch KI-Agenten wird Künstliche Intelligenz viel stärker in unseren Alltag integriert“, sagte etwa der deutsche KI-Pionier Björn Ommer dort während eines Vortrags. Ommer leitet den Lehrstuhl für Computer Vision und Learning an der Ludwig-Maximilians-Universität in München (LMU), an dem unter anderem der KI-Bildgenerator Stable Diffusion entstanden ist.

Die Künstliche Intelligenz verstehe noch besser, was Anwender von ihr benötigen. KI-Agenten würden so zu echten Begleitern anstelle von KI-Anwendungen wie ChatGPT, die Nutzer eher gelegentlich verwendeten. Schon Sam Altman, Chef des ChatGPT-Entwicklers Open AI , erklärte 2025 jüngst zum „Jahr der KI-Agenten“. Sein Chefentwickler Colin Jarvis sagte auf der DLD, bislang sei es immer darum gegangen, KI-Modellen Fragen zu stellen. Künftig gehe es darum, sie darum zu bitten, Aufgaben zu erledigen. Dafür brauche es die nötige Zuverlässigkeit der Modelle und Transparenz darüber, auf welcher Grundlage die KI ihre Entscheidungen trifft.

„Die Apps der KI-Ära“

Die Technik soll dadurch das Versprechen einlösen, dass sie vielen Unternehmen schon mit dem Erscheinen von ChatGPT gemacht hat: die Produktivität in Unternehmen deutlich zu steigern. Viele Unternehmen experimentieren zwar mit der Technik. Doch trotz vielversprechender Prototypen hat sich die unternehmensweite Skalierung als kompliziert herausgestellt. So nutzt inzwischen so mancher Büromitarbeiter den unternehmensinternen KI-Chatbot gewinnbringend als persönlichen Assistenten, große Produktivitätssprünge sind aber selten. Nur ein Viertel der deutschen Unternehmen berichtet laut einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung BCG von einem signifikanten Nutzen ihrer bisherigen KI-Initiativen.

KI-Agenten sollen das ändern. Was in der mechanischen Welt seit Jahrzehnten Usus ist, soll Künstliche Intelligenz jetzt auch im Büro schaffen: die Automatisierung von Prozessen. KI-Agenten sollen nicht nur wie bisherige generative KI auf Befehl Texte, Bilder, Videos oder andere Daten erschaffen und verarbeiten, sondern ganze Aufgabenketten autonom erledigen können.

Sie sammeln und verarbeiten Unternehmensdaten, ziehen daraus eigenständig Schlüsse und setzen die nötigen Aktionen auch selbst in Gang. Aus den KI-Assistenten werden so eigenständig arbeitende KI-Kollegen. Das könne die Produktivität um den Faktor drei, in einigen Fällen sogar um den Faktor fünf steigern, glauben die Unternehmensberater von BCG. Der Marktforscher Gartner prognostiziert, dass in drei Jahren ein Drittel aller Anwendungen in Unternehmen KI-Agenten enthalten wird. Im vergangenen Jahr lag der Anteil noch unter einem Prozent.

„Führungskräfte werden künftig nicht nur menschliche Teams managen“

Solche Zahlen kennen auch die großen Technologieanbieter wie Microsoft , der selbst KI-Agenten für bestimmte Aufgaben anbietet. „Führungskräfte werden künftig nicht nur menschliche Teams, sondern auch KI-Agententeams managen“, sagt Jared Spataro, Marketingchef von Microsofts KI-Geschäft mit Unternehmen. KI-Agenten bezeichnet er als die „Apps der KI-Ära“.

Spataros persönlicher Favorit ist ein Vertriebs-KI-Agent, der interessierte potentielle Kunden aus Anfragen mittels sozialer Medien oder E-Mails ausliest und sie eigenständig kontaktiert. Der KI-Agent soll herausfinden, ob die Person tatsächlich zum Kunden werden könnte und was sie genau sucht, um sie dann an einen menschlichen Mitarbeiter zu überreichen. Für diese frühe Phase der Kundenakquise beschäftigen große Unternehmen heute ganze Teams an Menschen.

All das soll vor allem Ressourcen sparen. Seine Software-Maschinen seien um den Faktor zehn günstiger als die menschliche Alternative, verspricht Conrad ­Caine von Machines Like Me. Sein Team schaue sich die zu automatisierenden Prozesse an und zerlege sie in ihre Einzelteile – eine Art moderne Form des Taylorismus, sagt Caine in Anlehnung auf den amerikanischen Unternehmensberater Frederick Taylor, der 1911 ein Konzept zur Verfeinerung und Standardisierung von Arbeitsprozessen entwickelte.

Die Frage nach den Arbeitsplätzen

Die einzelnen Teilaufgaben erledigten dann Dutzende, speziell darauf angepasste KI-Softwaremodule, etwa solche, die auf das Auslesen von unstrukturierten Dokumenten spezialisiert sind. Diese Module würden von einer weiteren KI orchestriert. Sein Unternehmen fabriziere digitale Mitarbeiter und arbeite diese im Unternehmen ein. Zu hundert Prozent automatisiert Machines Like Me die Prozesse nicht, es bleibe immer ein Mensch involviert. Der übernehme weiterhin einen kleinen Teil der Tätigkeiten – zum Beispiel Endkontrollen, Freigaben oder Ermessensentscheidungen. In Europa lasse sich mehr als ein Drittel aller Verwaltungstätigkeiten automatisieren, ist Caine überzeugt.

Das wirft Fragen auf, vor allem nach Arbeitsplätzen. Die aktuelle Umfrage von BCG unter gut 1800 Unternehmen auf der ganzen Welt kommt zu dem Schluss, dass gut zwei Drittel der Entscheidungsträger KI und Menschen als sich ergänzend sehen. Nur 7 Prozent erwarten, wegen KI Stellen abzubauen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn ganze Tätigkeitsfelder von KI-Agenten übernommen werden – etwa im Kundenservice –, dann müssen im großen Stil Mitarbeiter umgeschult werden.

Erst einmal müssen Unternehmen die Technologie aber überhaupt einsetzen. In Deutschland halten 30 Prozent der von BCG befragten Führungskräfte KI-Agenten künftig für zentral oder zumindest komplementär für ihr Geschäft, in den Vereinigten Staaten ist der Anteil mit 37 Prozent höher.