Rückkehr in das geliebte Leben

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Sie sei die glücklichste Person auf der Welt, schrieb Emily Damari am Montagvormittag auf Instagram. „Ich bin in mein geliebtes Leben zurückgekehrt.“ Da befand die 28 Jahre alte Frau sich gerade einmal einen guten halben Tag in Freiheit, nach 571 Tagen Geiselhaft im Gazastreifen. Damari dankte ihrer Familie und „den besten Freunden auf dieser Welt“. Sie fügte hinzu, sie habe nur „ein bisschen von allem sehen können“, aber das habe ihr das Herz vor Aufregung fast zerspringen lassen.

Nicht nur für sie, für praktisch alle Israelis waren es zutiefst bewegende Momente. Bei vielen war die Hoffnung, dass die Verschleppten lebend zurückkehren, in den vergangenen Monaten geringer geworden. Wenn es Nachrichten über die Geiseln im Gazastreifen gab, dann waren es meistens schlechte. Nachdem Israel und die Hamas sich in der vergangenen Woche einig geworden waren, ging alles sehr schnell. Am späten Sonntagnachmittag kehrte Damari nach Israel zurück, zusammen mit der 24 Jahre alten Romi Gonen und der 31 Jahre alten Doron Steinbrecher. Im Gegenzug entließ Israel 90 Palästinenser aus der Haft. So soll es jetzt sechs Wochen lang alle sieben Tage gehen, bis 33 der verbliebenen 97 Geiseln zurückgekehrt sind.

Ob der Deal danach fortgesetzt wird, ist offen. Die Geiselfamilien zeigten sich erleichtert über den ersten erfolgreichen Austausch, verbanden das aber mit mahnenden Worten. Selbst Emily Damaris Mutter Mandy sagte am Montag in einer Stellungnahme, dies sei zwar ein „unglaublich glücklicher Moment“ für ihre Familie. Aber „wir müssen uns auch daran erinnern, dass noch 94 andere Geiseln bleiben“. Die Waffenruhe müsse weitergehen, bis alle Verschleppten wieder bei ihren Familien seien, forderte sie. Manche Angehörigen wurden expliziter und kritisierten Finanz- und Siedlungsminister Bezalel Smotrich, der seinen Verbleib in der Regierung davon abhängig machen will, ob Israel das Abkommen bricht und den Krieg gegen die Hamas nach der ersten Phase wiederaufnimmt.

Den Freigelassenen geht es besser als erwartet

Die Aufmerksamkeit der Nation galt am Sonntagabend und Montag aber vor allem den drei Freigelassenen. Die britisch-israelische Damari war am 7. Oktober 2023 zusammen mit Steinbrecher aus dem Kibbuz Kfar Aza entführt worden; Gonen war vom Supernova-Festival verschleppt worden. Auf Bildern und Videos war zu sehen, dass Damaris linke Hand bandagiert ist und ihr offenbar mehrere Finger fehlen. Ein Hamas-Kämpfer hatte ihr während des Terrorangriffs in die Hand geschossen. Mandy Damari sagte aber, ihrer Tochter gehe es viel besser als erwartet.

Alle drei Freigelassenen sind offenbar bei relativ guter Gesundheit. Yael Frank, die Leiterin des Sheba-Krankenhauses in Tel Aviv, in das die drei Frauen am Sonntagabend mit Hubschraubern gebracht worden waren, sagte, ihr Zustand erlaube es, „sich auf das zu konzentrieren, was für sie und ihre Familien am wichtigsten ist – das Wiedersehen zwischen ihnen – und alle medizinischen Untersuchungen auf später zu verschieben“.

Israels Gesundheitssystem hatte eingehende Vorkehrungen getroffen. Die Ungewissheit, in welchem Zustand die Geiseln zurückkehren würden, war groß. Vermutlich hätten sie körperliche, geistige und sexuelle Folter erlitten, erläuterte Hagai Levine kurz vor der Freilassung im Gespräch mit Journalisten. Der Epidemiologe leitet das medizinische Team des Familienforums, der größten Vereinigung der Angehörigen. Levine sagte, es könne zudem sein, dass sie erst nach der Freilassung vom Tod naher Angehöriger erfahren. Wichtig sei vor allem, den Freigelassenen nach mehr als 15 Monaten Geiselhaft das Gefühl zu geben, dass sie selbst die Kontrolle haben. „Sie wurden von der Hamas dehumanisiert. Wir versuchen, ihnen ihre Humanität zurückzugeben.“

In diesem Zusammenhang hatten Ärzte, Psychologen und Angehörige darauf gedrungen, dass den freigelassenen Geiseln und ihren Familien vorerst umfassende Privatsphäre zugestanden wird. Bilder von Wiedersehensszenen wie beim ersten Austausch im November 2023 werde es dieses Mal nicht geben, hieß es. Es gab solche Bilder dann doch. Das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verschickte Fotos und Videos der „emotionalen Momente“, in denen die Freigelassenen erstmals wieder mit ihren Familien zusammentrafen.

Hamas verbreitet Propagandavideo über Geisel-Freilassung

Schon die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen war medial intensiv begleitet worden. Der Sender Al-Jazeera übertrug live, wie Hamas-Kämpfer die drei Frauen an Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) übergaben. Die Hamas nutzte die Gelegenheit zur Selbstinszenierung. Sie veröffentlichte ein zwei Minuten langes Video, in dem zu sehen war, wie die drei Frauen in einem weißen Kleinbus zum Übergabepunkt gebracht werden. Ihnen wurden Tüten überreicht, in denen sich Medienberichten zufolge Fotos ihrer Zeit im Gazastreifen befanden, sowie eine Art von Zertifikat. Vermummte Kämpfer begleiteten das Fahrzeug zu einem Ort in Gaza-Stadt, wo sich eine Menschenmenge versammelt hatte. Hamas-Rufe waren zu hören, das dichte Gedränge bei der Übergabe der drei Frauen an das IKRK wirkte fast unkontrollierbar.

In israelischen Medien hieß es, Israel wolle sich bei den Vermittlern beschweren, dass ein solcher Auflauf inakzeptabel sei. Der Trubel war jedoch mutmaßlich zum Teil inszeniert. Eine Luftaufnahme der Szene legte nahe, dass es sich nur um wenige hundert Menschen handelte, die so auf einer Straße versammelt worden waren, dass die Menge deutlich größer erscheint. Schon bevor am Sonntag die Waffenruhe begann, waren an vielen Orten im Gazastreifen auch Hamas-Kämpfer aufgetaucht. Die Islamisten wollten offenkundig klarmachen, dass sie dort weiter das Sagen haben.