Europa wird sein ambitioniertes Ziel verfehlen, Ende des Jahrzehnts auf einen Anteil von 20 Prozent an der globalen Chipproduktion zu kommen. Vielmehr werde sich sein Anteil langfristig von derzeit 8,1 auf 5,9 Prozent verringern. Daran würden auch der EU-Chips-Act und die in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Polen und Italien bereitgestellten milliardenhohen Subventionen nichts ändern. Grund dafür ist die dynamische Entwicklung der Branche in Asien und Amerika.
Europa drohe „zum Spielball geopolitischer Machtinteressen zu werden“, erklärt Gunther Kegel, Präsident des Branchenverbandes ZVEI. Das gehe mit Verlusten an Wettbewerbsfähigkeit und starken Wohlstandseinbußen einher. Der Verband hat gerade die Studie „Von Chips zu Chancen“ vorgelegt. Darin wird deutlich, wie die USA, China, Japan, Taiwan und Korea durch riesige Staatssubventionen ihren Chipkonzernen unter die Arme greifen, entscheidende Glieder der globalen Wertschöpfungsketten besetzen und Europa davoneilen.
Die von Peking, Washington, Taipeh und Seoul ausgereichten Beihilfen für die Mikroelektronik würden stattliche Renditen für den jeweiligen Staat abwerfen. Auch hierzulande könnten sie nicht nur „die Grundlage für Europas Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft“ sein, erklärte Studienautor Tanjeff Schadt von Strategie& des Beratungshauses PWC. Das eingesetzte Geld amortisiere sich nach neun bis zwölf Jahren. Die Rendite könne bei 30 bis 40 Prozent liegen. Ausgelöst durch die Mikroelektronikförderung, steige die jährliche Bruttowertschöpfung in Europa um 33 Milliarden Euro, die Steuereinnahmen legten um 7,9 Milliarden Euro je Jahr zu. Dazu kämen 65.000 neue Arbeitsplätze.
Europa springen die Investoren ab
Während die EU mit dem Chips Act vor anderthalb Jahren den Weg für Subventionen von 43 Milliarden Euro frei gemacht hat, stellt Amerika 53 Milliarden Dollar bereit. China pampert seine Branche mit 143 Milliarden Dollar, Japan mit 63 Milliarden Dollar. Taiwan und Südkorea haben langfristige Förderpläne zum Ausbau ihrer Chipindustrie im dreistelligen Milliarden-Dollar-Bereich. In Asien werden derzeit mehr als 80 Prozent aller Chips auf der Welt hergestellt.
Angesichts der sich zuspitzenden geopolitischen Lage wollen sich Europa und Amerika unabhängiger von Asien machen und so die Lieferketten ihrer Industrien sichern. Während in Amerika die ersten neuen Chipfabriken die Produktion hochfahren, haben in Europa die US-Großinvestoren Intel und Wolfspeed ihre Fabrikpläne in Höhe von 35 Milliarden Euro auf Eis gelegt. Das brachte die von der EU-Kommission vorgegebenen Pläne und Ziele ins Wanken. Bislang ist nicht klar, wie sie wieder ins Lot zu bringen sind.
Großer Rückstand
Während europäische Halbleiterhersteller stark bei Leistungshalbleitern, Microcontrollern und Sensoren sind, hat Europa keine eigenen Prozessoren- und Speicherchipkonzerne; in den Branchen-Top-Ten der Welt ist kein europäisches Unternehmen mehr; von den zehn größten Auftragsherstellern der Welt haben einige Hersteller ihre Fabriken in Europa stehen, aber keiner ist hier beheimatet. Auf dem Markt für KI-Chips geben US-Designhäuser wie Nvidia den Ton vor. Allenfalls im Maschinen- und Fabrikbau ist Europa noch spitze. „Wir haben massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren“, sagte Kegel. „Das macht uns abhängig.“
Nach einer in der vergangenen Woche vorgestellten Umfrage des IT- und Digitalverbandes Bitkom sehen sich 81 Prozent der Unternehmen als abhängig oder stark abhängig vom Import digitaler Technologien und Leistungen aus Amerika. 87 Prozent führen digitale Geräte und Dienste aus den Vereinigten Staaten ein, 60 Prozent exportieren digitale Güter und Dienstleistungen nach Amerika. Jeweils die Hälfte der Unternehmen sieht sich gezwungen, durch den Wahlsieg Trumps ihre Lieferketten zu überprüfen. Einige Unternehmen setzen schon verstärkt auf Anbieter aus Indien und Japan. „Mit Diversifizierung aber reduziert man allenfalls das Risiko, schafft aber noch nicht die eigene Wertschöpfung hier“, sagte der Bitkom-Chef Ralf Wintergerst. Darauf aber komme es letztlich an.
Das sieht auch ZVEI-Präsident Kegel so. Die aktuellen Förderzusagen für den Aufbau der Chipkapazitäten in Europa „können nur ein erster Schritt sein, sie müssen ausgebaut werden“, erklärte Kegel im Gespräch. Gleichzeitig seien der „bürokratische Irrsinn und die allgemeine Regelungswut zu beenden“, die sich in Deutschland und Europa vor allem seit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung DSGVO vor knapp zehn Jahren breitgemacht habe. „Europa braucht ein eigenes technologisches Faustpfand, an dem international nicht vorbeizukommen ist.“ Europäische Unternehmen wie der niederländische Chipmaschinenbauer ASML dürfen nach dem Willen Amerikas bestimmte Maschinen nicht mehr nach China liefern – dieser sei so schon zum politischen Spielball geworden.