Keine Hoffnung auf schnellen Frieden?
Natürlich, das Beste wäre, dass nach diesen furchtbaren drei Jahren der Krieg morgen zu Ende ist. Das hat allein der russische Präsident Putin in der Hand. Rein rational wäre jetzt der Moment, dass Putin endlich erkennt: Er kann den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen. Die Zeichen sind eindeutig: Mit dem Ende Assads in Syrien haben die Russen eine schwere geopolitische Niederlage erlitten. Putins engster Partner, Iran, ist in der Defensive. Aber leider haben die letzten drei Jahre auch gezeigt, dass Putins Russland nicht mehr den normalen Logiken folgt, sondern ideologisch getrieben voll auf Zerstörung setzt.
Mancher klopft sich ja am liebsten selbst auf die Schulter. Das ist nicht meine Art, Politik zu machen. Dieser Waffenstillstand ist einer, an dem wir, arabische Partner und Washington Monate gearbeitet haben. Tatsächlich kam es zum Durchbruch, weil die neue amerikanische Regierung den Plan des bisherigen Präsidenten Biden dann zum Glück doch noch unterstützt hat.
Gerade in diesen turbulenten Zeiten ist es wichtig, dass wir eng mit unseren amerikanischen Partnern zusammenarbeiten. Die USA sind nicht nur unser engster Verbündeter in der NATO, sondern auch wirtschaftlich macht es für beide Seiten sehr viel Sinn. Denken wir daran, welchen Einfluss China auf die Weltwirtschaft nehmen will. Wir Europäer dürfen zugleich nicht naiv sein. Daher war es mir so wichtig, endlich eine umfassende nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland zu schaffen, die Europas Einheit stärkt und uns zwischen China und den USA nicht zerreibt. Wir als EU sind der größte Binnenmarkt der Welt. Diese Stärke sollten wir nutzen: Strategisch, partnerschaftlich und selbstbewusst. Gerade jetzt.
Wenn wir also weiter mit Washington gut zusammenarbeiten wollen, ist es dann hilfreich, dass Deutschlands Botschafter, wenn auch intern, gleich zu Beginn der zweiten Amtszeit Trumps so ein Bedrohungsszenario aufzeigt?
Aufgabe eines Botschafters ist es, nicht nur das Auswärtige Amt, sondern die gesamte Bundesregierung über Entwicklungen in seinem Gastland zu unterrichten. Das ist Standard und vertraulich. Daher ist es alles andere als hilfreich, dass jemand jetzt diese Vertraulichkeit gebrochen hat.
Für große Aufregung hat in Berlin Trumps Anspruch auf Grönland und den Panamakanal gesorgt. Bundeskanzler Scholz hat öffentlich Kritik geübt. Wie ordnen Sie die Forderungen Trumps ein?
Wir dürfen uns als Europäer nicht kirre machen lassen und über jedes Stöckchen springen. Und deutlich machen, wo wir stehen. Es geht nicht darum, wie Präsident Trump etwas sagt, sondern warum er es sagt, welche Interessen dahinterstehen.
Also verstehen Sie das strategische Interesse am Panamakanal, das Trump hat?
Für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand ist die Sicherung von freien Handelswegen zentral. China kauft sich in Häfen auf der ganzen Welt ein – auch bei uns. Daher ist es so wichtig, dass Nationalstaaten ihre eigene Infrastruktur unter Kontrolle haben. Trotzdem beziehungsweise genau deswegen drohen wir unseren Nachbarn aber nicht mit Invasion.
Werte und Interessen sind kein Gegensatz. Ganz im Gegenteil. Die Kraft zur Gleichzeitigkeit ist Realpolitik. Wir leben in einer Welt, in der Demokratien von Autokratien und Diktaturen herausgefordert sind. Gerade jetzt selbstbewusst einzutreten für unsere demokratischen Grundwerte, die natürlich nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder umfassen, für unsere freie Marktwirtschaft, für die territoriale Integrität eines jeden Staates, die Welthandelsordnung, das ist doch in unserem ureigensten Interesse. Also harte Sicherheitspolitik. Frauenrechte sind dabei ein Gradmesser für den Freiheitsgrad einer Gesellschaft. Wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht beteiligt ist, nicht sicher ist, dann ist niemand sicher in einem Land. Und es ist auch ökonomisch fatal. Daher haben meine Außenministerkollegen der Golfstaaten und ich das auch den neuen Machthabern Syriens so deutlich gemacht.
Ein kleiner Schlenker: Gehört zur feministischen Außenpolitik, dass Sie auch Hintergrundrunden haben, an denen nur Journalistinnen teilnehmen dürfen? Was heißt das für die Geschlechtergerechtigkeit?
Ich bin da ganz konservativ. Mit guten Traditionen sollte man nicht brechen.
Wollen Sie über Feminismus auch mit Donald Trump sprechen? Der hat sich bislang nicht als Vorkämpfer für Frauenrechte gezeigt.
Um zu wissen, dass manche mit dem Wort Feminismus nichts anfangen können, brauchte es keinen neuen US-Präsidenten, das lese ich ja hin und wieder auch in Ihrer Zeitung. Aber wer sich schnell triggern lässt, sollte in der heutigen Weltlage keine Außen- und Sicherheitspolitik machen. Gerade in diesen harten Zeiten gilt es, die gesamte Klaviatur der Diplomatie spielen zu können – zu wissen, wann und bei wem es leise oder laute Töne braucht. Das, was manche als Softpower degradieren, zeigte sich gerade auch bei meinem weltweiten Werben zur Unterstützung unserer europäischen Friedenssicherung als Hardpower, denn für uns wichtige BRICS-Staaten wie Südafrika oder Brasilien stehen beim Krieg Russlands nicht automatisch auf unserer Seite. Deswegen ist ein integrierter Sicherheitsansatz so essenziell. Ein Ansatz, der im Lichte des russischen Angriffskrieges in der Lage ist, Frauenrechte und Klimaaußenpolitik zusammenzudenken mit höheren Militärausgaben – gerade auch für die Ukraine.
Trotz der vielen Hilfen, vor allem aus Amerika, ist es aber noch nicht gelungen, den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu beenden. Muss Putin erst Angst haben, dass seine Herrschaft zerstört wird, damit er aufhört?
Offensichtlich ist Putin bereit, sein eigenes Land zu opfern. Mehr als 1500 russische Männer, manche noch halbe Teenager, werden jeden Tag schwer verwundet oder sterben an der Front in der Ukraine. Nach fast drei Jahren Krieg sind das viele Hunderttausend zerstörte Leben. Da hilft leider kein freundliches Gut-zu-reden. Es hilft nur eine klare Sicherheitspolitik, die ihn davor abschreckt, in Europa noch weiterzugehen.
Also muss Putin erst Angst bekommen? Und kann Trump diese Angst entfachen?
Je mehr Druck es gibt und je mehr Sorge der russische Präsident haben muss, dass seine Interessen bedroht sind, desto wirksamer. Daher mein intensives diplomatisches Werben auf der ganzen Welt für humanitäre, militärische und politische Unterstützung der Ukraine. Und ebenso können wir nicht darüber hinweggehen, wenn China davorsteht, Putins Krieg gegen die europäische Friedensordnung direkt zu unterstützen. Hier hilft Klartext gegenüber Peking. Denn eigentlich will Xi ja gerade bei vielen Ländern Afrikas als vertrauensvoller Friedensengel dastehen. Was das gefährdet, lässt er eher.
Welche Sicherheitsgarantien können wir der Ukraine unterhalb der NATO-Mitgliedschaft geben?
Wir sehen, dass sowohl unsere EU- als auch unsere NATO-Mitgliedschaft unser aller Lebensversicherung ist. Daher war für mich eine der wichtigsten Aufgaben in den letzten drei Jahren, die EU-Erweiterungsprozesse nicht nur für die Ukraine und Moldau, sondern auch für den westlichen Balkan voranzubringen. Und beim NATO-Gipfel in Washington haben wir deutlich gemacht, dass die Zukunft der Ukraine auch in der NATO liegt, wie das für etliche Westbalkan-Staaten ja bereits nach der eigenen Kriegserfahrung der Fall ist. Zudem müssen wir Europäer in Gänze so stark sein, dass wir unseren Frieden selbst sichern. Wir können nach dem russischen Angriff auf unseren Nachbarn nicht wie früher in einer rosaroten Welt leben und denken, das werden die Amerikaner schon irgendwie für uns regeln. Das bedeutet dann auch, wenn es zu Friedensgesprächen kommt, dass wir in Europa selbst für unsere Sicherheit einstehen.
Also bedeutet das auch, dass Deutschland Soldaten schicken sollte zur Sicherung eines Waffenstillstands?
Für einen dauerhaften, gerechten Frieden braucht es mehr als Scheinlösungen. Daher denke ich mit zentralen europäischen Partnern und der Ukraine die unterschiedlichen Elemente einer stabilen Friedenssicherung vor. Dazu waren meine Kollegen vor Weihnachten bei mir in Berlin, ich in Warschau und Paris. Dabei kann auch eine Friedenssicherungsmission ein Element sein, wofür es natürlich uns Europäer, aber auch andere bräuchte. Denn wir wissen, dass Friedensmissionen umso stabiler sind, je mehr internationales Engagement es gibt. In diesem Fall auch aus Ländern außerhalb Europas, bei denen Putin an guten Beziehungen gelegen ist. In diesem Sinne ist wiederum auch unser eigenes Engagement auf anderen Kontinenten, sei es entwicklungs- oder sicherheitspolitisch, so wichtig.
Ich mische mich nicht in innerparteiliche Fragen der SPD ein. Mir geht’s um Deutschland, um den Frieden in unserem Europa. Es war dramatisch, zu erleben, wie viel zerschlagenes Vertrauen ich in meinen ersten Amtsmonaten bei unseren Nachbarn wieder aufbauen musste, das die große Koalition mit ihrer naiven Russlandpolitik und ignoranten Beschwichtigungen gegenüber den Osteuropäern verspielt hatte. Mit unserer Zeitenwende und der klaren Ukraine-Politik haben wir in den letzten drei Jahren deutlich gemacht: Europa kann sich auf Deutschland verlassen. Dieses Vertrauen Europas in Deutschland zu erhalten, darum geht es doch jetzt.
Die Debatte um die drei Milliarden sorgt doch genau dafür, dieses Misstrauen wieder zu wecken bei unseren osteuropäischen Partnern?
Deswegen werbe ich so eindringlich dafür, Wort zu halten und für Europas Frieden einzustehen. Die Ukraine-Hilfe ist unser bester Eigenschutz. Und zentral auch mit Blick auf drohende, weitere Fluchtbewegungen Richtung Deutschland.
Sehen Sie die Gefahr, dass die soziale Gerechtigkeit in Deutschland leiden muss, weil wir die Ukraine unterstützen, so wie es im Wahlkampf von der SPD behauptet wird?
Nein. Die drei Milliarden haben rein gar nichts mit Sozialversicherungsleistungen wie der Rente zu tun, die ja auch gesetzlich gesichert ist. Wir haben als Bundesregierung – also auch die SPD –, in der Nationalen Sicherheitsstrategie deutlich gemacht: Äußere Sicherheit, innere Sicherheit und soziale Sicherheit bedingen einander und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Verantwortung heißt handeln und nicht, sich rauszureden.
Je mehr wir in unsere Sicherheit investieren desto besser. Derzeit stehen wir allerdings erst bei gut zwei Prozent. Deswegen ist mir die Debatte allein fixiert auf konjunkturabhängige Prozentzahlen und nur national gedacht zu unterkomplex. Es geht um die Frage: Haben wir als Europäer genug Luftverteidigung? Haben wir die modernsten Systeme, vor allem die modernsten Drohnen? Und ist das jetzt endlich alles miteinander interoperabel. Es geht jetzt darum, dass wir gemeinsam beschaffen, gemeinsam produzieren und unsere Systeme voll integrieren, um so eine echte europäische Verteidigungsunion zu schaffen.
Allerdings scheint nicht nur die schlichte Nennung von Prozentzahlen unterkomplex, auch die schwammigen Formulierungen zur Finanzierung im Wahlkampf sind es. Wo also kommt das Geld her?
Ich habe schon vor einem Jahr auf der letzten Münchener Sicherheitskonferenz deutlich gemacht, dass es ein neues und diesmal umfassendes Sondervermögen bräuchte oder Maßnahmen innerhalb der ohnehin zu modernisierenden Schuldenbremse. Sie ist mit Blick auf die überfällige Infrastrukturerneuerung und die notwendigen Maßnahmen zum Erhalt unseres Friedens nach dem russischen Angriffskrieg wirklich aus der Zeit gefallen. Zugleich gilt seit dem 24. Februar 2022: Auch die Finanzierung unserer Friedenssicherung müssen wir endlich europäisch denken. Ich werbe für einen europäischen Finanz-Pakt zur Friedenssicherung.
Wie groß muss das der sein?
Europa war in der Lage in der Eurokrise und der Corona-Pandemie gemeinsam Hunderte Milliarden zu stemmen. Das sollte uns auch der Frieden Europas wert sein.
Nicht ganz so viel Geld wird zusammenkommen bei dem Vorschlag von Habeck, zur Finanzierung der Krankenassen auch Beiträge auf Kapitalerträge zu erheben. Die Empörung war groß. Was halten Sie davon?
Das Leben für alle in unserem Land bezahlbar zu machen, das ist unser Anspruch als Grüne. Und da können wir nicht sehenden Auges zuschauen, wie die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung immer weiter in die Höhe schießen. Daher sagen wir: Es braucht eine faire Finanzierung des Krankensystems. Auch wenn’s hochkomplex ist, haben wir den Mut, dass wir uns der ungerechten Zweiklassenmedizin in unserem Land, stellen. Andere haben diesen Verantwortungssinn offensichtlich nicht.
Ist es sinnvoll, so einen Vorschlag in den Wahlkampf zu werfen, ohne zu sagen, wer wie betroffen sein wird?
Unter der aktuellen Ungerechtigkeit leidet der Großteil der ganz normal arbeitenden Gesellschaft – Busfahrer, Angestellte, Werksarbeiter, die alle nicht privat, sondern gesetzlich versichert sind. Weil der Ex-CDU-Gesundheitsminister Spahn die Rücklagen der gesetzlichen Krankenkasse leer gemacht hat, werden Millionen Arbeitnehmer dieses Jahr erneut mehrere hundert Euro pro Jahr mehr zahlen müssen. Und das, obwohl es ohnehin schon zutiefst ungerecht ist, dass Privatversicherte fast immer sofort Arzt- oder OP-Termine bekommen und gesetzlich Versicherte bei Fachärzten ewig warten müssen. Daher wollen wir das bisherige Zwei-Klassen-System endlich gerechter machen. Also gesetzlich Versicherte nicht noch weiter belasten, sondern die Privaten stärker ins System integrieren. Es geht hier also überhaupt gar nicht um die ganz normalen Aktienanleger.
Sie haben 2021 erlebt wie es ist, als Kanzlerkandidatin im Kreuzfeuer zu stehen. Nun wird Habeck nicht nur wegen des Krankenkassen-Vorschlags kritisiert, auch die Affäre, um die offenbar zumindest teilweise erfundenen Vorwürfe gegen den Grünen-Politiker Gelbhaar setzen ihn unter Druck. Sind Sie froh, dass Sie dieses Mal nicht im Kreuzfeuer stehen?
Robert Habeck ist genau der Richtige. Und ich stehe voll hinter und neben ihm. Wenn der Wind ganz eisig wird, aber sehr gerne auch schützend davor. Weil wir ein Team sind. Zusammen menschlich führen zu können und nicht gegeneinander. Gerade auch dafür steht Robert Habeck. Dass das manche bei der CDU und SPD irritiert, zeigt erneut, dass es eine echte Auswahl bei der Bundestagswahl gibt, was für eine Art von Kanzler Deutschland haben kann.
Hat in diesem Team auch der Umgang mit den Vorwürfen gegen Gelbhaar eine Rolle gespielt, welche Konsequenzen braucht es an der Stelle?
Volle Aufklärung. Wie von der Parteiführung deutlich gemacht.
Die Union arbeitet sich am Wahlkampf intensiv an Ihrer Partei und Wirtschaftsminister Habeck ab. Nehmen Sie deren Kanzlerkandidaten Merz die Abneigung gegen Schwarz-Grün ab?
Es gibt einige erfolgreiche grün-schwarze Bündnisse in Deutschland. Es gibt Rot-Grün, auch eine erfolgreiche Ampel. Gerade in stürmischen Zeiten kann die Welt von einem Tag auf den anderen ganz anders aussehen als es im Koalitionsvertrag steht. Gutes Regieren hängt umso mehr von Persönlichkeit und gegenseitigem Vertrauen ab. Es geht um Anstand, Respekt und Haltung. Eben werteorientiert.