Als Javier Milei im vergangenen Jahr auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos eine Rede hielt, reagierte das überraschte Publikum mit einem kräftigen Applaus, der nicht weit von stehenden Ovationen entfernt waren. (Die Ovationen blieben dann Wolodymyr Selenskyi vorbehalten). In diesem Jahr befand sich die Reaktion des Publikums auf die Rede des argentinischen Staatspräsidenten an der Untergrenze zu einem kurzen und rein höflichen Applaus.
Der Grund für die sehr zurückhaltende Reaktion des Publikums ist nicht schwer zu deuten: Der Wahlsieg Donald Trumps lädt manche seiner Anhänger zur Selbstüberschätzung ein.
Es reicht nicht, lauthals „Freiheit“ ins Mikro zu rufen
Im vergangenen Jahr eroberte Milei das mehrheitlich wirtschaftsnahe Publikum mit einer Freiheit und Marktwirtschaft propagierenden Rede. In diesem Jahr hätte die Gelegenheit bestanden, über die ersten wirtschaftlichen Erfolge seiner Präsidentschaft und ihre Perspektiven ausführlich zu sprechen. Trump hätte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Seine Auftritte in Davos in den Jahren 2018 und 2020 waren nichts anderes als äußerst selbstbewusste Präsentationen seiner Politik. Milei hätte dieses Jahr etwas zu erzählen gehabt: Natürlich befindet sich seine Präsidentschaft noch in der Transition von einem verheerenden Erbe zu einer hoffentlich besseren Zukunft. Jeder Wirtschaftspraktiker und Ökonom weiß, dass diese Transitionen schwierig und langwierig sind. Milei hat jedoch bessere Zwischenergebnisse erzielt, als viele Kritiker vorausgesagt hatten.
Darüber sprach Milei jedoch kaum. Dafür beschimpfte er mit einer in Teilen vulgären Sprache politische Zustände, über die in vielen Ländern kontrovers diskutiert wird. Wer die vergangenen Jahrzehnte aber ausschließlich als Epoche eines „Wokeismus“ brandmarkt, unterschlägt die erheblichen wirtschaftlichen Erfolge, die in dieser Zeit dazu beigetragen haben, dass gerade in ärmeren Ländern heute Abermillionen Menschen sehr viel besser leben als vor 1989.
Es bedarf einer nicht geringen ideologisch motivierten Ignoranz, um all dies auszulassen. Und dann reicht es halt nicht, lauthals „Freiheit“ ins Mikrofon zu rufen.