Brüssel plant Megafabriken für die KI

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Die erste Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stand im Zeichen des Green Deal. Die zweite soll der Förderung der Wett­bewerbsfähigkeit dienen. In den nächsten Tagen schon will die Europäische Kommission dafür einen Masterplan vorlegen. Ein Entwurf liegt der F.A.Z. vor.

Mit dem „Wettbewerbsfähigkeits-Kompass“ will die Kommission den Rückstand der EU gegenüber den USA und China aufholen. Der Fokus liegt auf dem Digitalsektor, den hohen Energiepreisen und dem Ziel, den Green Deal zu einem wirtschaftlichen Erfolg zu machen.

Die Kommission will dafür Industriepolitik und Staatshilfen in wichtigen Sektoren in Brüssel bündeln und mit einem milliardenschweren Fonds unterstützen. Sie will eine Agentur nach Vorbild der US-Innovationsagentur ARPA (Ad­vanced Research Project Agencies) schaffen, die Investitionen in wichtige Technologien fördern soll. Außerdem will sie Entwicklung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) vorantreiben.

„Qualvoller Niedergang“

Die Kommission warnt in dem Papier mit klaren Worten: „Ohne dringendes Umdenken und eine neue Herangehensweise steht die Zukunft der EU als wirtschaftliches Kraftzentrum, als Investitionsstandort und als Produktionszen­trum auf dem Spiel.“ Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, habe in seinem Sonderbericht zur Wettbewerbsfähigkeit gewarnt, dass Europa ansonsten zum „qualvollen Niedergang“ verdammt sei. Draghi hatte nicht zuletzt hervorgehoben, wie sehr die Wettbewerbsfähigkeit der EU unter der mangelnden Digitalisierung leidet.

Die in dem Wettbewerbsfähigkeits-Kompass gebündelten Initiativen orientieren sich an Draghis Empfehlungen. Nicht alles davon ist neu. Dazu, wie die EU die nötigen Investitionen finanzieren soll, sagt der Entwurf nichts. Draghi hat den In­vestitionsbedarf auf 750 bis 800   Milliarden Euro jährlich beziffert. Vorschläge dazu wird die Kommission wohl erst in dem Vorschlag für den mehrjährigen EU-Haushalt 2028 bis 2034 machen.

Die EU gibt mit dem Kompass auch eine Antwort auf die Ankündigung prominenter US-Unternehmen, in den kommenden vier Jahren 500 Milliarden Euro in Künstliche Intelligenz zu investieren. Bekanntgegeben hatte das der neue US-Präsident Donald Trump am Dienstag.

Konkret ruft Brüssel die Schaffung von Megafabriken für Künstliche Intelligenz aus, die Start-ups, Forscher und Industrie zum Training benutzen können. Ein EU-Cloud- und KI-Gesetz soll Investitionen von Staaten und Privatsektor anregen, eine neue Datenstrategie das Teilen von privaten und öffentlichen Daten fördern. Ein „CERN für KI“ soll nach dem Vorbild des Genfer Kernforschungszentrums die Nutzung von KI im Automobilsektor und anderen wichtigen Branchen fördern.

Antwort auf Trump

Für Konflikte, allen voran mit großen Staaten wie Deutschland und Frankreich, dürfte der Vorschlag sorgen, die Industriepolitik in Brüssel zu bündeln. Bisher verfolge jeder Staat unabgestimmt seine eigene Industrie- und Förderpolitik, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, argumentiert die Kommission. Das schade der Effizienz und sei oft kontraproduktiv. Die Kommission will das mit einem „Wettbewerbsfähigkeits-Koordinierungs-Instrument“ ändern.

Mit diesem will sie die Politik der Staaten koordinieren und an zuvor identifizierten gemeinsamen Prioritäten ausrichten. Gelten soll das zunächst für einige Pilotfelder wie die Energieinfrastruktur, KI und digitale Infrastruktur oder Industrieproduktionskapazitäten etwa für wichtige Medikamente. Das EU-Budget soll das mit einem neuen Wettbewerbs­fähigkeitsfonds stützen. Der soll als eine Art neuer Superfonds Teil des nächsten mehrjährigen EU-Haushalts werden.

Schnellere Genehmigungsverfahren

Eine wichtige Rolle spielt der Abbau von Bürokratie. Zwei von drei Unternehmen sähen darin das Haupthindernis für Investitionen. „Wir müssen dabei weitergehen als jemals zuvor“, heißt es im Entwurf. Die Kommission will ein neues Entkarbonisierungs-Beschleunigungs-Gesetz vorlegen, das die Genehmigungsverfahren insbesondere für energieintensive Sektoren beschleunigen soll. Vorbild ist der in der vergangenen Legislatur verabschiedete Net-Zero-Industry-Act. Jeder EU-Kommissar soll zweimal im Jahr Gespräche mit Industrievertretern führen, um Ideen für den Bürokratieabbau zu erhalten.

Ein erster Schritt zum Bürokratieabbau soll das mehrfach angekündigte Omnibus-Gesetz sein. Es soll allen voran die Berichte bündeln, die Unternehmen für das EU-Lieferkettengesetz, die Nachhaltigkeitsberichterstattung und die EU-Taxonomie erstellen müssen. Der Vorschlag ist für Ende Februar geplant. Die Kommission will dabei sicherstellen, dass große Unternehmen die Berichtspflichten nicht auf kleinere Zulieferer abwälzen. Sie will zudem zusätzlich zu den kleinen und mittleren Unternehmen bis zu 31.000 Mid-Cap-Unternehmen von Berichtspflichten entlasten und die Auflagen der Datenschutzgrundverordnung dazu vereinfachen.

Die Wettbewerbskontrolle soll in den Dienst der Förderung von Innovationen und strategisch wichtiger Industriezweige sowie der wirtschaftlichen Unabhängigkeit gestellt werden. Das soll mehr Fusionen ermöglichen. Um zu verhindern, dass neue innovative Unternehmen in die USA abwandern, weil sie dort leichter Zugang zu Risikokapital haben, will die Kommission, wie bekannt, die Kapitalmarktunion vorantreiben. Sie will zudem Start-ups ermöglichen, spezielle einfachere Regeln im Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrecht zu befolgen. Die würden parallel zu den nationalen Vorgaben gelten. Start-ups könnten dann zwischen dem nationalen und diesem speziellen EU-Recht wählen.

Um wichtige Branchen und Techno­logien im globalen Wettbewerb zu fördern, sollen die EU-Staaten bei öffentlichen Ausschreibungen europäische Produkte bevorzugen dürfen. Das fordert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seit Langem, um der Windenergiebranche zu helfen. Um die im Vergleich zu China und den USA hohen Energiepreise zu senken, setzt die Kommission auf eine Vertiefung des gemeinsamen Energiemarkts und den Ausbau der Erneuer­baren.

In der eigenen Partei stieß der Kompass von der Leyens auf Lob und Kritik. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Eu­ropäischen Parlament, Daniel Caspary, sagte: „Europa hat es verstanden, die Kommission macht die Wettbewerbsfähigkeit zum klaren politischen Leitmotiv.“ Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber warnte hingegen: „Papier ist geduldig und es ist wichtig, dass die vielen wohlklingenden Maßnahmen nun auch tatsächlich kommen.“