Beeinflusst Russland die Bundestagswahl? Über 100 Fake-News-Webseiten aufgedeckt

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Vor den Bundestagswahlen verbreiten gefälschte Nachrichtenseiten Desinformation über Migration, die Bundeswehr, Habeck, Baerbock. Angeblich werden sie von einem einzigen Mann in Moskau betrieben.

Der Kreml versucht, bei den deutschen Wahlen mitzumischen. Moskau, 21. Januar 2025.

Der Kreml versucht, bei den deutschen Wahlen mitzumischen. Moskau, 21. Januar 2025.

Sergei Savostyanov / TASS / Imago

Eine Recherchegruppe um die deutsche Faktenprüfer-Organisation Correctiv hat nach eigener Aussage ein Desinformations-Netzwerk aus 102 Webseiten enttarnt, das versucht haben soll, die deutsche Bundestagswahl zu beeinflussen.

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Correctiv, das in den vergangenen Monaten wegen Ungenauigkeiten in ihrer Berichterstattung verklagt und wegen ungenauer und politisch einseitiger Faktenchecks in die Kritik geriet, veröffentlichte eine Liste der betroffenen URL. Darunter befinden sich Webseiten, die vorgeben, authentische Nachrichtenmedien zu sein wie die «Berliner Tagespost» oder die «Konus News». Andere verwenden die Namen ehemaliger Regionalzeitungen wie «Berliner Tagblatt» oder «Hamburger Anzeiger».

Newsguard, eine amerikanische Firma, die für ihre Kunden die Glaubenswürdigkeit von News-Webseiten beurteilt und der Recherchegruppe angehörte, schreibt ihn ihrem aktuellen Bericht, die Desinformations-Webseiten verbreiteten im Vorfeld der Bundestagswahl pro-russische Narrative. Die Seiten seien Teil der russischen Einflussoperation mit dem Namen «Storm-1516».

Screenshots der Fake-News-Seiten An-berlin.de (oben links), Apropos-berlin.de (oben rechts), B-blatt.de (unten links) und Konusnews.de (unten rechts). Sie sind im Layout und Inhalt nahezu identisch.

Screenshots der Fake-News-Seiten An-berlin.de (oben links), Apropos-berlin.de (oben rechts), B-blatt.de (unten links) und Konusnews.de (unten rechts). Sie sind im Layout und Inhalt nahezu identisch.

Screenshots von NewsGuard

Recherche ordnet dem Netzwerk sechs Falschaussagen zu

Die Rechercheportale ordnen dem Desinformations-Netzwerk eine politische Ausrichtung zu, die die Interessen Russlands widerspiegelt. Insbesondere verbreite das Netzwerk populistische und euroskeptische Texte, sowie solche, die die AfD unterstützten.

Weiter ordnen die Autoren dem Netzwerk insgesamt sechs Falschaussagen zu. Newsguard schreibt, ein angeblicher Prostituierter habe behauptet, Annalena Baerbock habe während ihrer Afrika-Reise sexuelle Dienste bei ihm bezogen. Robert Habeck sei derweil eine erfundene sexuelle Belästigung angedichtet worden. Weiter sei fälschlicherweise berichtet worden, Deutschland plane, 1,9 Millionen kenyanische Arbeitskräfte aufzunehmen.

Screenshot einer Webseite mit dem seltsamen Namen «Zeitgeschenen» aus dem Internetarchiv

Screenshot einer Webseite mit dem seltsamen Namen «Zeitgeschenen» aus dem Internetarchiv

Archive Today / Zeitgeschenen

Correctiv legte in seinem Bericht drei weitere Falschbehauptungen des Netzwerks offen. Demnach sei behauptet worden, die Bundeswehr mobilisiere 500 000 Männer für einen Einsatz in Osteuropa. Weiter sei FDP-Politiker Marcus Faber unterstellt worden, er sei ein russischer Agent. Ausserdem habe das Netzwerk die frei erfundene Nachricht verbreitet, ein in eine Palästina-Flagge eingewickelter Schweinekopf sei durch ein eingeschlagenes Fenster einer Berliner Moschee geworfen worden.

Netzwerk wuchs, als Neuwahlen angekündet wurden

Dass das Desinformations-Netzwerk vermutlich dafür geschaffen wurde, um die deutschen Wahlen zu beeinflussen, zeigt der Moment seiner Erstellung. Die erste Webseite sei im Juli 2024 registriert worden, schreibt Newsguard. Dann sei kaum etwas geschehen, bis Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang November das Ende der Ampelkoalition bekanntgab, und Neuwahlen einleitete. Ab Mitte November explodierte die Anzahl von Webseiten im Verbund: Von unter zehn wuchs das Netzwerk auf beinahe hundert Webseiten in den rund anderthalb Monaten nach der Ankündigung von Neuwahlen.

Hinter dem Netzwerk soll John Mark Dougan stecken, berichten Newsguard und Correctiv übereinstimmend. Der ehemalige Polizist aus Florida hat laut der «New York Times» politisches Asyl in Russland erhalten. Er habe vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl bereits 160 Webseiten aufgebaut, und auch schon während dem amerikanischen Wahlkampf Desinformation publiziert.

Dass Dougan als Einzelperson diese Vielzahl von Webseiten aufsetzen und betreiben kann, führt die Recherchegruppe auf künstliche Intelligenz (KI) zurück. In der Regel würden Artikel von anderen Plattformen mit KI-Tools umgeschrieben.

KI-Tools paraphrasieren Inhalte von anderen Medien

Das Vorgehen ist üblich für sogenannte «Pink-Slime»-Webseiten, die vorgeben, seriöse Medien zu sein, aber in Wahrheit nicht journalistisch betrieben werden. Anstatt Menschen für das Schreiben von Texten einzustellen, nutzen die Betreiber der Desinformations-Webseiten KI-Tools wie Chat-GPT. Diesen speisen sie Artikel von etablierten Medien ein und lassen die KI den Text paraphrasieren. Damit ist der Text zwar eine inhaltliche Kopie des Originals, weil sie aber nicht die gleichen Worte verwendet, ist sie nicht als Plagiat erkennbar. Das erklärt auch, warum neben den eindeutigen Falschinformationen die Mehrzahl der Texte inhaltlich nicht falsch sind, aber die Realität einseitig darstellen.

Dieses Vorgehen vermuten die Rechercheportale auch bei Dougan. Er übernehme vor allem Inhalte von ausgewählten deutschen Nachrichtenseiten, schreibt Newsguard. Dazu gehörten der «Report24», «Philosophia-Perennis», «Compact-Online», die «Nachdenkseiten» und das in Deutschland verbotene, vom russischen Staat finanzierte «Russia Today».

Dass der Betreiber der Desinformations-Webseiten tatsächlich die Inhalte anderer Portale verwendet, zeigen Ungenauigkeiten in manchen Texten. Laut Newsguard hätten einige Artikel auf Newsletter verwiesen, die die gefälschte Seite gar nicht anbiete. Andere Artikel hätten Werbetexte aus der Originalquelle enthalten, die fälschlicherweise auf den neuen Inhalt übernommen worden seien.

Dougan stritt gegenüber Newsguard eine Beteiligung am deutschen Desinformations-Netzwerk ab. Gleiches tat er allerdings schon, als ihn amerikanische Medien mit Hinweisen von Regierungsmitarbeitern und Cybersicherheits-Oragnisationen konfrontierten. Sie konnten Dougan dank einer digitalen Spur in Internet-Protokollen und IP-Adressen als Drahtzieher der Beeinflussungsoperation identifizierten.

Newsguard wie auch Correctiv vermuten allerdings, dass Dougan nicht isoliert agiert, sondern in Absprache mit dem russischen Propagandaapparat. Die «Washington Post» berichtete im Oktober unter Berufung auf europäische Geheimdienstdokumente, dass Dougan vom GRU, dem russischen Militärgeheimdienst, bezahlt werde.

Manche Inhalte stammen aus dem russischen Propagandaapparat

Laut Correctiv publiziert Dougan auf den Desinformations-Webseiten zwischen den paraphrasierten Artikeln Inhalte, die direkt vom russischen Propagandaapparat stammen. Darin würden die eigentlichen Falschinformationen gesät, also beispielsweise das Gerücht, Baerbock bezahle ihren afrikanischen Escort-Boy aus der Staatskasse.

Der russische Staatsapparat gebe bei spezialisierten, regierungsnahen Agenturen die Produktion von Deepfake-Videos oder nachgestellten Fakes in Video, Audio oder Text in Auftrag. In diesen treten vermeintliche Whistleblower oder Zeugen auf. Die Videos werden dann zwischen die Inhalte auf den Desinformations-Webseiten gestreut.

Sobald die Fakes publiziert sind, werden mutmasslich pro-russische Influencer für die Weiterverbreitung der Falschinformation eingespannt. Es falle auf, schreibt Correctiv, dass es immer wieder dieselben Personen seien, die Fakes mit als erste verbreiten. Namentlich genannt werden im Bericht Michael Wittwer, früherer Kandidat für die rechtspopulistische Partei Pro Chemniz, die vom Nachrichtendienst beobachtet wird, Jovica Jović, ein pro-russischer Aktivist, und Alina Lipp, eine pro-russische Influencerin, die den Telegram-Kanal «Neues aus Russland» mit 186 000 Anhängern betreibt. Geteilt würden ihre Beiträge oft von Alena Dirksen, zuletzt Wirtin eines russischen Restaurants in Mittweida (Sachsen).

Dank der Zusammenarbeit mit Influencern sei die «Storm-1516»-Kampagne effektiver darin, Reichweite zu erzielen, schreibt Correctiv. Potenziell sei sie damit gefährlicher als die parallel laufende sogenannte Doppelgänger-Kampagne.

Ob das tatsächlich so ist, bleibt vorerst unklar. Studien, die die Effekte von Desinformation fundiert aufarbeiten, gibt es kaum. Zudem kann man die Frage stellen, ob solche Falschinformationen unentschlossene Wähler wirklich beeinflussen. Womöglich verstärken sie auch nur bereits vorhandene politische Einstellungen bei einem Teil der Wähler.

Allerdings entfaltet die russische Kampagne nicht zuletzt deshalb eine Wirkung, weil reichweitenstarke, traditionelle Medien über sie berichten. Wenn Stimmbürger glauben, Russland beeinflusse die Wahl, könnte dies ihr Vertrauen in den demokratischen Prozess beeinträchtigen. Das spielt Russland in die Hände.