Alice Weidel lässt sich Zeit für ihren großen Auftritt. Gut zwei Stunden nach dem offiziellen Beginn der Veranstaltung „Zeit für Alice Weidel“, die den Wahlkampf der AfD in Halle an der Saale einläuten soll, betritt sie endlich die Bühne in der großen Messehalle. Tausende Menschen springen auf, rufen „Alice! Alice!“, schwenken blaue Herzen aus Papier und sie antwortet: „Ich liebe euch!“ Dann wechselt Weidel plötzlich ins Englische. Elon Musk ist in der Leitung.
„Ihr seid wirklich die größte Hoffnung für Deutschland“, sagt der amerikanische Milliardär, der Weidel schon Anfang Januar auf seiner Plattform X eine Bühne geboten hatte. „Es ist okay, stolz auf Deutschland zu sein“, gibt er dem Publikum mit. Er sucht nach Worten, es ist nicht ganz klar, was er sagen will. „Ihr solltet euch nicht schuldig für die Sünden eurer Urgroßeltern fühlen“, kommt schließlich. Die Wahl sei unheimlich wichtig. Jeder solle mit Freunden reden und sie überzeugen, die AfD zu wählen. „Die Zukunft der Zivilisation könnte an dieser Wahl hängen.“ Weidel pflichtet ihm bei. Immer wieder applaudiert die Menge. „Dankeschön und Go, go, go!“, sagt Musk noch. Dann ist Zeit für Weidel.
Dreadlocks neben Totenschädel
Die Kanzlerkandidatin der AfD strahlt, ihre Wangen glühen. „Ich bin so glücklich und stolz, diese Partei in den Wahlkampf zu führen“, sagt sie, immer wieder unterbrochen von lauten „Alice!“-Rufen. Dann wird Weidel ernst. Sie spricht über die Taten von Solingen, Mannheim, Magdeburg. Aschaffenburg, begangen von Migranten. „Abschieben!“, brüllen Leute aus dem Publikum. Als Weidel wie auf dem Parteitag in Riesa sagt, „wir brauchen Remigration, um hier in Sicherheit leben zu können“, klatschen und johlen die Besucher.
![Elon Musk während seines Grußworts zu Beginn des Auftritts von Alice Weidel Elon Musk während seines Grußworts zu Beginn des Auftritts von Alice Weidel](https://adaglobalconcept.com/wp-content/uploads/2025/01/Wahlkampfauftakt-der-AfD-Alice-Weidel-als-Popstar.jpg)
Das Publikum ist zu diesem Zeitpunkt schon gut vorbereitet. Stundenlang haben sie Videos gesehen, Rednern zu den Themen Migration und Islam, Atomkraft oder der angeblich zu woken Gesellschaft, in der man nichts mehr sagen dürfe, gelauscht, Liedermacher und Trommler auf der Bühne beklatscht, geschunkelt, Fahnen geschwungen und mit Zeilen wie „Schwarz, Rot und Gold, haben sie nie gewollt“ mitgesungen.
Ulrich Siegmund gibt ganz zu Anfang den Einpeitscher, noch bevor die Masse in die große Halle strömt. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Magdeburger Landtag steht auf einer kleinen Bühne, neben ihm Bier- und Bockwurststände. Er heißt die Gäste willkommen, überbrückt die Zeit bis zum großen Auftritt. Überall hängen Plakate mit dem Bild Alice Weidels, von T-Shirts blickt ihr Gesicht hundertfach in die Menge, darunter steht „Alice for Bundeskanzler“. Eine Jazz-Gruppe spielt Klassiker, zum Beispiel „Isn’t she lovely“.
Siegmund sagt, er sei stolz, dass Sachsen-Anhalt Gastgeber für den Wahlkampfauftakt der AfD sein dürfe, oder, wie er es ausdrückt: für das „erste offizielle Geheimtreffen der AfD“. Die Menge kichert. Es ist voll, das Event ist ausgebucht, Tausende Menschen sind gekommen; gekostet haben die Tickets nichts. „Wie wunderbar vielfältig unsere AfD ist“, ruft Siegmund. Es stimmt: Das Publikum ist sehr gemischt. Ältere Männer und Frauen, junge Paare, manche mit Kinderwagen, aus dem Westen Angereiste, Leute aus der Umgebung, einige sitzen im Rollstuhl vor der kleinen Bühne, eine Frau mit knallroten Dreadlocks steht daneben, ein paar Schritte weiter steht ein Mann, auf dessen Glatze ein Totenschädel tätowiert ist, und einer, auf dessen Pullover in Fraktur „Ostdeutschland“ gedruckt ist. Sie alle applaudieren gern, wenn Siegmund ruft: „Die Zukunft ist Alice Weidel!“
Mehrere Tausend Gegendemonstranten
Siegmund sagt, er wünsche sich die Ko-Parteichefin der AfD als nächste Kanzlerin. Doch auch, wenn es bei der Bundestagswahl am 23. Februar noch nicht klappe: „2026 werden wir dieses Bundesland regieren! Und dann endlich durchgreifen“, ruft er mit Blick auf die Landtagswahlen im nächsten Jahr. Die AfD rechnet damit, in Sachsen-Anhalt zu gewinnen, Siegmund träumt offenbar sogar von der absoluten Mehrheit – oder einem Einknicken der CDU beim Thema Brandmauer. Dann könne man Veranstaltungen wie diese endlich ohne „die linken Krawallbrüder“ machen. Vor der Messehalle stehen mehrere Tausend Demonstranten. Der Protest ist friedlich. Sie halten Regenbogenfahnen und Schilder in die Luft, auf denen ein AfD-Verbot gefordert wird. Einige tragen ein Transparent, auf dem „Du mieses Stück Deutschland“ geschrieben steht. Als eine Besucherin in der Messehalle es durch das Fenster sieht, regt sie sich auf: „Ich glaub, ich spinne. Wie dumm sind die?“
![Die beiden AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla umarmen sich. Die beiden AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla umarmen sich.](https://adaglobalconcept.com/wp-content/uploads/2025/01/1737827140_232_Wahlkampfauftakt-der-AfD-Alice-Weidel-als-Popstar.jpg)
Zu Zusammenstößen kam es im Vorfeld der Veranstaltung nicht. Die Polizei hatte die Anreisenden an der abgelegenen Bahnstation direkt getrennt: Die Demonstranten wurden nach rechts geschickt, durften vor der Messe Aufstellung nehmen. Die Besucher der AfD-Veranstaltung mussten einen Umweg laufen und die Halle von hinten betreten.
In der Schlange ist die Stimmung aber gut: Ein Weinbauer erzählt, er sei extra aus Worms angereist, um „ein Stück Zeitgeschichte“ zu erleben. Besucher aus Gera und Wernigerode sagen, sie wüssten zwar nicht so genau, was sie zu erwarten hätten von der „großen Wahlkampf-Show“, welche die AfD angekündigt hat, aber sie freuten sich auf feurige Reden. Vertreter von Bund und Ländern sind auch gekommen, etwa Beatrix von Storch, die Siegmund zuhört, oder der stellvertretende Vorsitzende der AfD Hessen, Andreas Lichert. „Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Hier können wir uns mal so richtig schön auf den Wahlkampf einstimmen“, sagt er. „Das wird epochal.“
Bevor es epochal wird, gibt es Bockwurst im Brötchen und Bier in Plastikbechern. Am Rande der Halle stehen verschiedene Vereine und Gliederungen der AfD, etwa der Landesverband Thüringen, an dem Autogrammkarten von Björn Höcke zu haben sind, daneben die Gruppen „Freiheitlich – Konservativ – weiblich“ oder „Mit Migrationshintergrund“. Jeremy Jason erklärt dort, warum die AfD nicht fremdenfeindlich ist und weswegen er sich für Remigration ausspricht. Für ihn bedeute das lediglich, im Einklang mit Recht und Gesetz diejenigen abzuschieben, die kein Recht hätten, in Deutschland zu sein. Dass ihn, der in der Karibik geboren wurde, jemand abschieben können wollte, glaubt er nicht.
Kickl grüßt: Die Brandmauer wird fallen!
Dann geht es los. Der Vorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt Martin Reichardt begrüßt die Menge. Er verkündet, die AfD werde im Februar die Wahl gewinnen. Man werde die CDU überholen mit Alice Weidel, der „beliebtesten Kanzlerkandidatin“ des Landes. Weidel ist die einzige Frau, die sich um das Amt bewirbt.
Die Show beginnt. Ein Countdown startet. Dramatische Musik spielt. „Die Politik der Altparteien, der links-grüne Zeitgeist haben das Land an den Abgrund geführt“, tönt es aus den Lautsprechern. Ein Werbefilm läuft, es geht um die wirtschaftliche Lage im Land. Danach brandet Applaus auf, dann ruft die Menge „Alice! Alice!“, doch zuerst kommt ein Grußwort von Herbert Kickl. Der Chef der österreichischen Rechtspartei FPÖ wird angekündigt als einer der „besten Freunde unserer Partei“. Er spricht der AfD Mut zu – so wie in Österreich werde die AfD an die Macht kommen: „Diese Mauer, sie wird fallen!“, sagt er zur Brandmauer. Weidel persönlich macht er Komplimente, sie trete den Gegnern der Freiheit mit ihrem „messerscharfen Intellekt“ entgegen, und er drücke ihr die Daumen.
Ein weiteres Video, der Migrationskrise gewidmet, wird abgespielt. Schwule, Lesben oder Juden lebten gefährlich, heißt es darin, durch den importierten Antisemitismus und ein islamisch geprägtes Weltbild. „Das ist der Grund warum ich als Frau, die mit einer Frau zusammenlebt und Kinder großzieht, diese Politik mache“, sagt Weidel im Video. Die Halle tobt.
Auf die echte Weidel muss die Menge aber noch warten. Die in Österreich lebende Islamkritikerin Laila Mirzo tritt als erste Rednerin auf. Vorgestellt wird sie als Chefredakteurin der Jüdischen Rundschau, die von den Golanhöhen stamme und nach ihrer Migration nach Deutschland den Wert der Freiheit kennengelernt habe. Sie spricht mit trauriger Stimme von denen, die Opfer von Männern werden, die ihr eigenes Welt- und Frauenbild mitgebracht hätten. Die „islamo-migrantischen Stadtviertel“ seien die „No-go-Areas“ in Deutschland, nicht die Hochburgen der AfD. Sie ist die erste in einer ganzen Reihe von Rednern aus dem rechten Spektrum.
Trump als das große Vorbild
Freiheit ist einer der Begriffe, der regelmäßig von ihnen erwähnt wird. Mit der „Lügenpresse“ müsse Schluss sein. Als ein Video zur Hausdurchsuchung bei dem Mann, der Robert Habeck einen „Schwachkopf“ genannt hatte, eingespielt wird, rastet der Saal aus. „Fuck off!“, brüllen manche, andere johlen so laut, dass der Ton des Videos nicht mehr zu verstehen ist. Wo vorher während des Auftritts eines Liedermachers noch einmütig „Meine Heimat“ gesungen und Deutschlandfahnen geschwenkt wurden, ist die Aggressivität nun greifbar.
Langsam steigert sich die Intensität: Die Nummer zwei der Partei tritt auf, Tino Chrupalla. „Wir werden regieren, im Land, im Bund, in Deutschland“, sagt er, und alle klatschen. Der Wind habe sich gedreht, bald würden viele Promis sich zum Kurs der AfD bekennen. Einerseits erwartet er, dass die Brandmauer bröckele, andererseits will er von der Union nichts wissen: Deren Kanzlerkandidat Merz wolle Steuermillionen in die Ukraine versenken und die Migrationswende bekomme man nur, wenn man das Original, die AfD, wähle.
Chrupalla nennt Donald Trump als Vorbild, lobt die Entscheidung des neuen amerikanischen Präsidenten, aus dem Pariser Klimaabkommen und der Weltgesundheitsorganisation auszutreten. Die Masse applaudiert frenetisch. Wie Trump es getan habe, werde die AfD sofort in den ersten hundert Tagen nachdem sie an die Macht gekommen sei, ihre Versprechen umsetzen: die CO2-Abgabe werde fallen, die Rente solle nicht mehr versteuert werden und das Demokratiefördergesetz werde eingestampft. „Es heißt dann wieder arbeiten für diese ganzen Taugenichtse“, ruft Chrupalla unter großem Getöse.
Eine Trommeleinlage später ist wieder ein Film dran, diesmal geht es um die Energiewende, welche die AfD „rückabwickeln“ will. „Günstiges russisches Gas“ und Atomstrom fordert Chrupalla im Video.
Blau-schwarz ist das erklärte Ziel
Ganz so funkelnd, wie Wahlkämpfe in den USA begangen werden, ist die Veranstaltung dann doch nicht. Scheinwerfer leuchten immer wieder mal durch die Messehalle, die Musikeinlagen sind zum Teil Playbackauftritte. Dann steuert der Nachmittag auf den Höhepunkt zu. Kurz vor Weidels Auftritt wird der Wahlwerbespot der AfD erstmals gezeigt. Die Kanzlerkandidatin schwört darin schon den Treueeid, unterlegt mit Bildern von ihr beim Wandern durch den Schnee. Dann kommt Weidel wirklich auf die Bühne, spricht kurz mit Musk und hält dann ihre Rede.
Weidel klopft darin die zentralen Punkte des Wahlprogramms ab, die schon zuvor in den Beiträgen behandelt wurden. Sie verspricht, an „Tag eins“ die Grenzen zu schließen, wenn sie in Regierungsverantwortung sei. Den Ausbau der erneuerbaren Energien werde sie stoppen, die Staatsausgaben würden reduziert. „Mit der AfD wird es nur Frieden geben“, sagt sie dann. „Mit der AfD wird es keine Waffen und Soldaten für die Ukraine geben.“ Die Leute jubeln. „Ich liebe dich“, ruft einer zu ihr hoch. Sie antwortet wieder „Ich liebe dich auch“, und formt ein Herz mit den Fingern. Sie hat sichtlich Freude an ihrem Auftritt vor den vielen Fans. Sie wird jedoch immer öfter in ihrer Rede unterbrochen, weil die Leute in ihrer Begeisterung Sprechchöre bilden.
Weidel fordert die CDU auf, die Brandmauer einzureißen. Der Wähler wolle eine blau-schwarze Koalition. Dass die CDU vorher als Ursprung allen Übels ausgemacht wurde, spielt da plötzlich keine Rolle mehr.