Das versprechen die Parteien zum Bürokratieabbau

15

Endlich weniger Bürokratie: Diese Forderung steht ganz weit vorn auf der Wunsch­liste von Industrie und Wirtschaft vor der Bundestagswahl. „Die in den letzten Jahren weiter gewachsenen Bürokratielasten sind eine enorme Wachstumsbremse“, klagt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in seinem „Grundsatzpapier zur Bundestagswahl“. Unternehmen beziffern die Bürokratiekosten in Deutschland mittlerweile im Schnitt auf rund sechs Prozent ihres Umsatzes, ergab eine Umfrage des Münchener Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.

Die neue Bundesregierung müsse gegensteuern, um den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen, fordert BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Sonst würden Unternehmen verstärkt ins Ausland abwandern, mahnt Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer. Die „alles erstickende Bürokratie“ sei mitschuld daran, dass Unternehmen gezwungen würden, „Investitionen in Deutschland und in Jobs neu durchzurechnen“.

Die geschiedenen Ampelpartner hatten sich im Kampf gegen Bürokratie rhetorisch gegenseitig überboten. Man habe das „größte Bürokratieabbau-Programm in der Geschichte unseres Landes auf den Weg gebracht“, betonte der zurückgetretene Justizminister Marco Buschmann (FDP) immer wieder. Um 3,5 Milliarden Euro im Jahr würden die Betriebe dadurch entlastet.

Bürokratiekosten steigen trotz „Bürokratieabbau-Ministers“

Buschmann hatte sich für diese Großtat selbst den inoffiziellen Titel des „Bürokratieabbau-Ministers“ verliehen. Allerdings seien die direkten Bürokratiekosten mittlerweile auf 65 Milliarden Euro im Jahr geklettert, heißt es in einer Studie des Ifo-Instituts. Die Kosten durch entgangene Wirtschaftsleistung sind demnach noch viel höher: Sie liegen bei 146 Milliarden Euro im Jahr.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich hemdsärmelig für weitere Entlastungen stark gemacht: Man müsse „die Kettensäge anwerfen“ und das deutsche Lieferkettengesetz mit seinen umfassenden Berichtspflichten für Unternehmen „wegbolzen“, hatte der Grünenpolitiker bei einer Veranstaltung mit Unternehmern gefordert. „Das (Lieferkettengesetz) kommt weg“, hatte auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Sommer auf dem Arbeitgebertag versprochen.

Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), war skeptisch: „Ich glaube das, wenn die Tinte trocken ist und es bei mir auf dem Lieferschein steht und bei mir im Betrieb ankommt“, entgegnete er dem Kanzler. Dulgers Misstrauen war berechtigt. Die Ampelregierung hat sich selbst demontiert, aber das Lieferkettengesetz ist immer noch da.

Grüne markieren Lieferkettengesetz als ein Projekt von CSU und SPD

Die Grünen machen dafür ihren verbliebenen Ampelpartner und die oppo­sitionelle CSU verantwortlich, die im Wahlkampf besonders heftig gegen den grünen Kanzlerkandidaten Habeck und seine Parteifreunde austeilt. „Das Lieferkettengesetz ist ein Projekt des SPD-Arbeitsministers Hubertus Heil und des CSU-Entwicklungsministers Gerd Müller“, sagte Grünenvorsitzende Franziska Brantner im F.A.Z.-Interview. Im Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums habe man viel getan, um Gesetze zu entrümpeln und Verfahren zu beschleunigen. Die Genehmigung einer Windkraftanlage dauere heute nur noch sieben Monate und nicht mehr sieben Jahre.

Die Genehmigung von Photvoltaikanlagen hing in der Vergangenheit auch an viel Papierkram.
Die Genehmigung von Photvoltaikanlagen hing in der Vergangenheit auch an viel Papierkram.dpa

Habecks Ministerium setzt beim Bürokratieabbau auf sogenannte Praxis-Checks: Gemeinsam mit Vertretern von Unternehmen, Behörden und Interessenverbänden wird überprüft, welche praktischen Hindernisse einem Vorhaben, etwa dem Ausbau von Photovoltaik, entgegenstehen und wie sich die Hürden besei­tigen lassen. Die Checks sind allerdings sehr aufwendig. Umgekehrt binden jedoch wenig praxistaugliche Gesetze viel Zeit und Personal. Angestellte müssten 22 Prozent ihrer Arbeitszeit für bürokra­tische Tätigkeiten aufwenden, förderte ei­ner Umfrage des Ifo-Instituts unter Führungskräften in Deutschland zutage.

Den steigenden Zeitaufwand führten die befragten Manager unter anderem darauf zurück, dass die gesetzlichen Regelungen in den vergangenen zehn Jahren immer komplexer geworden seien. Rund 75 Prozent der Befragten bewerten die Praxistauglichkeit beziehungsweise Umsetzbarkeit von Gesetzen als schlecht bis sehr schlecht. Die Manager beklagten außerdem die ausufernden Berichts- und Meldepflichten. Knapp 80 Prozent der Unternehmen, die an der Umfrage teilnahmen, haben externe Dienstleister beauftragt, um die bürokratischen Anforderungen stemmen zu können.

430 Empfehlungen blieben ohne Umsetzung im Entlastungsgesetz

Von den mehr als 430 Empfehlungen der Wirtschaftsverbände zur Bürokratieentlastung hat es kaum ein Dutzend in das Bürokratieentlastungsgesetz der Ampelkoalition geschafft. Der größte Teil der Entlastung geht nach einer Auswertung des Ökonomen Klaus-Heiner Röhl vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln auf „sehr wenige Maßnahmen zurück, die sich auf Schwellenwertanhebungen, Pauschalierungen und die Digitalisierung beziehen“. Was also kann die Wirtschaft von einer neuen Bundesregierung erwarten?

Die SPD versichert im Entwurf ihres Wahlprogramms müde, man werde den Weg „weniger Bürokratie für mehr wirtschaftliches Wachstum konsequent weitergehen“. Auf die unzähligen Gespräche und Zusammenkünfte zum Thema Bürokratieabbau soll eine weitere Konferenz eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers mit Vertretern von Wirtschaft und Verwaltung folgen. Dafür legen die Sozialdemokraten aber schon jetzt Grenzen fest: Man werde darauf achten, „dass Arbeitnehmerrechte, Verbraucherrechte und Ziele des ökologischen Wandels nicht gefährdet werden“.

Auch die Grünen betonen, man werde keine sozialen oder ökologischen Schutzstandards abbauen. Von einer Abschaffung des Lieferkettengesetzes ist keine Rede mehr. Vergessen scheinen Habecks markige Wort zum Wegbolzen mit der Kettensäge. Vielmehr wollen die Grünen das Lieferkettengesetz nutzen, um die Wettbewerbsposition von Landwirten gegenüber der Lebensmittelbranche zu stärken.

Unionsparteien sind klar gegen das Lieferkettengesetz

Auch im SPD-Wahlprogramm findet sich nichts zur Ankündigung des Kanzlers, das Lieferkettengesetz komme weg. Dafür wollen sich nun CDU und CSU ins Zeug legen. Das Lieferkettengesetz müsse weg, „um unser Land vom Bürokratiewahnsinn zu heilen“, heißt es im Wahlprogramm der Unionsparteien. Man wolle zurück zu einer „Kultur des Machens, nicht der Fehlervermeidung“.

Die AfD will die „strangulierende Bürokratie“ ebenfalls reduzieren, indem un­ter anderem das Lieferkettengesetz verschwindet. Auch die FDP hat weitreichende Pläne, angefangenen von einem sofortigen dreijährigen Moratorium für Bürokratie bis zu einer Bürokratiebremse im Grundgesetz. Zum deutschen Lieferkettengesetz äußern sich die Liberalen im Entwurf ihres Wahlprogramms zwar nicht. Doch hatte die FDP-Fraktion kurz nach dem Bruch der Ampelkoalition im Bundestag die Aufhebung des Gesetzes beantragt, das „nicht zu einer besseren Welt führt, sondern nur die Unternehmen belastet“.

Selbst wenn das deutsche Lieferkettengesetz wegfiele, blieben aber immer noch die umfangreichen EU-Vorgaben zu Umwelt- und Sozialstandards. Im vergangenen Sommer ist die europäische Lieferkettenrichtlinie in Kraft getreten, die das deutsche Gesetz ohnehin ablösen wird. Dessen Auflagen treten von Mitte 2027 an schrittweise in Kraft. Insofern ist die Debatte über die Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes ohnehin ein Scheingefecht.

Bürokratieflut soll nach der FDP allein aus Kostengründen weniger werden

Die FDP-Fraktion kritisiert, dass allein die EU-Lieferkettenrichtlinie deutsche Unternehmen mit zusätzlichen Bürokratiekosten von 100 Millionen Euro im Jahr belasten würde. Un­ternehmen und Wirtschaftsverbände er­warten deshalb von der künftigen Bun­desregierung, dass sie sich auch dafür stark macht, die Bürokratieflut aus Brüssel einzudämmen.

57 Prozent der Bürokratiekosten hierzulande werden durch Vorgaben der Eu­ropäischen Union (EU) verursacht. Tatsächlich hat Kommissionspräsidentin Ur­sula von der Leyen schon zugesagt, die Berichte, zu denen diverse EU-Gesetze Unternehmen verpflichten, zumindest zu bündeln. Für Ende Februar hat von der Leyen einen Vorschlag für ein „Omnibus“-Gesetz angekündigt, das die Berichtspflichten von mindestens drei Gesetzen zusammenführen soll. Unternehmen sollen die Erfüllung der Auflagen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, zur Taxonomie und eben zum Lieferketten­gesetz in einem Formular dokumentieren können. Wie stark das die Unternehmen entlastet, ist unklar.

Von der Leyen hat zudem schon vor der Europawahl zugesagt, die Berichtspflichten um 25 Prozent zu senken, für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sogar um 35 Prozent. Dabei ist allerdings unklar, worauf sich diese Prozentzahlen genau beziehen.

Von der Leyen unterscheidet zwischen Bürokratieabbau und Regulierung

Inwieweit die Europäische Kommission ernst mit dem Bürokratieabbau macht, hängt auch davon ab, wie stark Berlin – und damit die neue Bundes­regierung – in dieser Frage Druck ausübt. Die deutschen Wirtschaftsverbände haben auch der EU-Kommission lange Listen mit konkreten Vorschlägen vorgelegt, wie die Unternehmen entlastet werden könnten.

An solchen Listen mangelte es allerdings auch in der Vergangenheit nicht. Zentral ist der politische Wille, sie auch umzusetzen. Die Beharrungskräfte in der Kommission sind groß. In dem einflussreichen Beamtenapparat ist die Lust auf weniger Regulierung überschaubar. Im Europaparlament sperren sich vor allem Grüne und Sozialdemokraten gegen eine „Entschlackung“ der EU-Gesetze.

Weil die Mehrheit von der Leyens im Europaparlament dünn ist, muss sie das berücksichtigten. Entsprechend hat sie zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit im Dezember mehrfach zugesichert, dass Bürokratieabbau nicht Deregulierung bedeutet. Ob und wie dieser Spagat funktionieren kann, ist die große Frage.