Warum wir auf die nächste Pandemie nicht vorbereitet sind

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Geschlossene Friseurläden, 2G und 3G, Ministerpräsidentenkonferenzen und tägliche Berichte des Robert Koch-Instituts: Die Pandemie möchten wohl alle nur vergessen. Doch um die Welt auf künftige Ausbrüche vorzubereiten und sie vor deren katastrophalen Folgen zu schützen, wäre Verdrängen ein leichtfertiger Ansatz.

Zwar ist die Bevölkerung im Umgang mit Viren nun etwas trainiert, und es hat geklappt, binnen beispiellos kurzer Zeit lebensrettende Impfstoffe zu entwickeln. Doch fürchten Fachleute, dass wir nicht besser auf Pandemien vorbereitet sind, als wir es vor fünf Jahren waren. Vielleicht sogar schlechter.

„Die Geopolitik wirkt sich wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg auf die globale Gesundheit aus“, sagt etwa die Gesundheits- und Politikwissenschaftlerin Ilona Kickbusch, die seit Langem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berät. Sorge bereitet ihr insbesondere das Agieren von Präsident Donald Trump, der am ersten Tag seiner zweiten Präsidentschaft ein Dekret zum Austritt aus der WHO unterschrieben hat.

Offen ist, ob das rechtlich Bestand haben wird. Doch: „Es gibt sehr viel mehr Unruhe zwischen den Staaten, sodass die Bereitschaft für Solidarität und Kooperation geringer ist und vieles zum Spielball geopolitischer Überlegungen wird“, sagt Kickbusch. „Offen ist, inwieweit Staaten überhaupt weiter bereit sind, global in Gesundheitsfragen zusammenzuarbeiten und Informationen oder Impfstoffe zu teilen.“

„Das alles lässt nichts Gutes ahnen“

Hinzu kommen Finanz- und Umweltprobleme. „Als in der Covid-Pandemie Impfstoffe verfügbar waren, haben die Europäische Union und Deutschland anfangs viel Geld zur Verfügung gestellt, um Impfstoffe einzukaufen und weltweit zu verteilen“, sagt Kickbusch. „Dieses Geld wäre angesichts der anderen Krisen wohl nicht mehr da, die Prioritäten werden anders gesetzt.“

Dabei muss die Welt künftig häufiger auf Erreger reagieren. Derzeit gehen Maul- und Klauenseuche und Vogelgrippe um. „Wenn der Zyklus zu schnell wird, gehen uns die Ressourcen aus“, sagt Kickbusch. Problematisch sei auch, dass Covid als Blaupause gesehen werde. Dabei könnten bei einer künftigen Pandemie ganz andere Keime und Übertragungswege eine Rolle spielen und eine Entwicklung von Impfstoffen scheitern – wie etwa bei HIV.

„Die Geopolitik wirkt sich wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg auf die globale Gesundheit aus“: WHO-Beraterin Ilona Kickbusch
„Die Geopolitik wirkt sich wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg auf die globale Gesundheit aus“: WHO-Beraterin Ilona KickbuschAntoine Tardy/WHO

Auch der Charité-Virologe Christian Drosten macht sich Sorgen, was künftige Pandemien anbelangt – auch mit Blick auf die USA, die eine wichtige Funktion hätten. Die vom designierten Leiter der National Institutes of Health (NIH), Jay Bhattacharya, vorgetragenen Konzepte zum Umgang mit der Covid-Pandemie seien nachgewiesenermaßen falsch gewesen und hätten „die Pandemiepolitik in den USA und in anderen Ländern negativ beeinflusst, nach meiner Einschätzung auch in Deutschland“, sagt Drosten.

„Verantwortungsvolle Kommunikation und auf wissenschaftlichen Tatsachen basierende Politikberatung ist aber gerade eines der wichtigsten Werkzeuge der Pandemiekontrolle.“ Kritisch sieht er auch, dass Trump die Handlungsfreiheit des NIH gleich nach seinem Amtseintritt eingeschränkt habe. „Das alles lässt nichts Gutes ahnen“, sagt Drosten. „Desinformation und der Verlust einer tatsachenbasierten Argumentationsgrundlage in der Politik nehmen sich aus wie eine Immunschwäche der Gesellschaft gegen Pandemien.“

„Desinformation und der Verlust einer tatsachenbasierten Argumentationsgrundlage in der Politik nehmen sich aus wie eine Immunschwäche der Gesellschaft gegen Pandemien“: Virologe Christian Drosten
„Desinformation und der Verlust einer tatsachenbasierten Argumentationsgrundlage in der Politik nehmen sich aus wie eine Immunschwäche der Gesellschaft gegen Pandemien“: Virologe Christian Drostendpa

„Diese gesamte ‚postfaktische‘ Zeit stellt ein großes Problem dar“, sagt die Influenza-Forscherin Gülşah Gabriel vom Leibniz-Institut für Virologie in Hamburg. Die Welt sei nicht besser auf eine neue Pandemie vorbereitet als vor fünf Jahren, sagt auch sie. „Und ich hoffe, dass wir nicht sogar schlechter vorbereitet sind, weil wir uns derzeit in multi­plen Krisen befinden.“

Gabriel ist die Sprecherin eines Labors zur Pandemieprävention, das die Leibniz-Gemeinschaft vergangenes Jahr gegründet hat. In ihm arbeiten 41 Institute der Forschungsgemeinschaft interdisziplinär zusammen. Sie erforschen Viren, aber nicht nur: Ökonomen entwickeln derzeit Modelle, wie Impfstoffe oder Tests im Pandemiefall am effektivsten verteilt werden können, andere Teams untersuchen, wie neue Desinfektionsverfahren Viruslasten senken können.

Corona-Virus mutiert immer noch sehr schnell

Untersucht wird zum Beispiel die Frage, wie gut das Immunsystem des Menschen für H5N1-Vogelgrippeviren gerüstet ist, auch um zu wissen, wer in eine Risikogruppe gehört. Dem 2003 erstmals beim Menschen aufgetretenen Erreger, der zur großen Gruppe der Influenza-Viren zählt, trauen viele Experten am ehesten die Möglichkeit zu, eine neue Pandemie auszulösen. Milliarden Vögel sind rund um den Globus daran zugrunde gegangen, Hunderte Arten sind betroffen, vor allem die Ansteckung von Säugetieren wie Vieh hatte zuletzt die Seuchenexperten beunruhigt. In Kalifornien ist die Ausbreitung unter Milchkühen noch nicht im Griff. 83 Menschen haben sich seit Anfang 2024 bei Milchkühen und Geflügel mit H5N1 angesteckt, die Hälfte aller seit Ausbruch Infizierten ist daran gestorben.

Manche Mutationen deuten darauf hin, dass sich das Virus besser an Menschen anpasst, zuletzt ist in Tierversuchen nachgewiesen worden, dass sich das Atemwegsvirus in andere Gewebe ausbreiten kann. Dennoch haben die Veränderungen bislang nicht dazu geführt, dass H5N1 leicht von Mensch zu Mensch übertragen wird, eine wichtige Voraussetzung für eine Pandemie. „Das könnte aber nur eine Frage der Zeit sein“, sagte vor wenigen Tagen WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus.

Ist es nur eine Frage der Zeit, bis H5N1 leicht von Mensch zu Mensch übertragen wird? Hühner in einem Stall in Niedersachsen.
Ist es nur eine Frage der Zeit, bis H5N1 leicht von Mensch zu Mensch übertragen wird? Hühner in einem Stall in Niedersachsen.dpa

Virologen wie Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems wollen aber keine Panik schüren: Es sei immer noch ein Vogelvirus, die Pandemiegefahr durch H5N1 sei akut noch „gering“, sagte er der F.A.S.

Eine neue Pandemie könnte auch aus dem alten Covid-19 entstehen. Das Virus mutiert immer noch sehr schnell. Wöchentlich werden etwa tausend Todesfälle in einigen Dutzend Ländern regis­triert, die überhaupt noch Zahlen liefern.

„Die Influenza-Virologie ist fast vom Aussterben bedroht“

Maria Van Kerkhove, die Leiterin der WHO-Abteilung zum Pandemiemanagement, hat mehr als 300 Empfehlungen gezählt, die in den Staaten zur Verhinderung einer weiteren Pandemie veröffentlicht worden sind. Ende vergangenen Jahres hat auch das WHO-Beratungsgremium für neu auftretende Krankheitserreger SAGO, an dem auch Drosten beteiligt ist, ein neues Rahmenwerk veröffentlicht, wie nach einem neuen Ausbruch schnell und kollektiv gehandelt werden müsse. „Aber es gibt keine Fortschritte“, klagte Van Kerkhove in einem Kommentar für die Wissenschaftszeitschrift „Science“. Im Gegenteil: Die Bereitschaft, vorzubeugen und Maßnahmen zu beschließen, erodiere, auch in der Bevölkerung.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Wirksame Schutzmaßnahmen würden ignoriert, vollständige Transparenz der Daten noch immer nicht garantiert, so die WHO-Direktorin. Nur zwei Prozent der über 60-Jährigen, die zur Gruppe der besonders gefährdeten Menschen für Covid-19 zählen, haben laut WHO seit Anfang 2024 eine Auffrischungsimpfung erhalten. Coronaviren zählen wie Influenzaviren zu den RNA-Viren, auf denen das Hauptaugenmerk für kommende, neue Pandemieerreger liegt.

Chinesische Forscher haben gerade im Fachjournal „Nature“ berichtet, dass sich die Zahl unterschiedlicher neuer RNA-Viren, die man bei Fledermäusen durch Stichproben an 52 Orten in China ermittelt hat, mehr als verdreifacht hat.

Die WHO hofft, dass noch im Mai dieses Jahres ein globaler Pandemievertrag vereinbart wird. Sicher ist das keineswegs. Nach Ansicht von Leibniz-Forscherin Gabriel gibt es viel Handlungsbedarf, auch institutionell. „Die Influenza-Virologie ist in Deutschland fast vom Aussterben bedroht“, sagt sie. „Die sehr wenigen weiteren Kollegen, die sich auf Influenza spezialisiert haben, gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Dabei wird die nächste Pandemie wahrscheinlich durch Influenza ausgelöst.“

Keine nationale Reserve, weniger Intensivbetten und Mangel an Pflegekräften

Darauf wäre Deutschland nicht ausreichend vorbereitet. Fünf Jahre nach Beginn der Covid-19-Pandemie wurden Lehren nicht beherzigt, die Pandemie wurde bis heute nicht vollständig aufgearbeitet. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, fordert eine systematische Analyse. „Es steht zu befürchten, dass unser Land bei einer erneuten gesundheitlichen Gefahrenlage ähnlich unvorbereitet ist wie 2020“, sagt er.

Die Ampelkoalitionäre haben es in ihrer gemeinsamen Regierungszeit nicht geschafft, sich auf ein Format zur Aufarbeitung zu einigen. CDU-Politiker Sorge spricht von einem „krachenden Scheitern“. Er plädiert für ein Gremium, etwa eine Enquetekommission im Bundestag oder eine Bund-Länder-Kommission. Eine Auswertung müsse vor allem nach vorne gerichtet sein, sagt Sorge, „um auf künftige Pandemien besser vorbereitet“ zu sein.

Neben einer versäumten Aufarbeitung könnte auch der Personalmangel in der Pflege in der nächsten medizinischen Krise schlimme Folgen haben. Momentan sind in der Kranken- und Altenpflege rund 200.000 Vollzeitstellen nicht besetzt, so berichtet es der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe. In Prognosen geht das Statistische Bundesamt für das Jahr 2049 von einem Mangel zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräften aus.

Schon während der Pandemie hatte sich gezeigt, welche Auswirkungen fehlendes Personal auf die Versorgung der Patienten hat. Intensivbetten konnten nicht belegt werden, weil keine Pflegekräfte da waren. Die Pflegekräfte, die es gab, standen unter enormem Druck. Sie sahen sich mit großem menschlichem Leid konfrontiert – und lebten in der ständigen Sorge, sich selbst und andere zu infizieren. Es fehlte an Schutzausrüstung.

Bis zum Jahr 2049 könnten 690.000 Pflegekräfte fehlen: Blick in ein Zimmer der Intensivstation im Uniklinikum Frankfurt im Jahr 2021. In den Betten liegen Corona-Patienten.
Bis zum Jahr 2049 könnten 690.000 Pflegekräfte fehlen: Blick in ein Zimmer der Intensivstation im Uniklinikum Frankfurt im Jahr 2021. In den Betten liegen Corona-Patienten.Lucas Bäuml

Die Versorgung von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit Material verantworten im Katastrophenfall die Länder, die diese Aufgabe sehr unterschiedlich auslegen. Mögliche Versorgungslücken soll die „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“ (NRGS) schließen. Das war zumindest der Plan der schwarz-roten Bundesregierung im Jahr 2020.

Bislang ist die Maßnahme, welche „die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung mit notwendigen medizinischen Verbrauchsgütern für insgesamt sechs Monate“ sicherstellen soll, aber nicht umgesetzt. Schon 2023 hielt der Bundesrechnungshof in einem Bericht fest: „Bis heute haben die verantwortlichen Ministerien nicht einmal ein Konzept für diese NRGS vorgelegt.“

Im September 2024 veröffentlichte der Bundesrechnungshof einen Bericht, in dem es heißt: „Bundesministerium für Gesundheit ist auf künftige Pandemien nicht ausreichend vorbereitet“. Demnach hätten die Mittel für den Ausbau von Intensivbetten zu einem Zuwachs von mehr als 13.000 Betten führen müssen. Stattdessen sinke die Zahl der Intensivbetten kontinuierlich, weil es weiter an Pflegekräften fehle.

Das Ministerium könne nicht genau sagen, ob die mit Fördergeldern angeschafften, jetzt aber abgebauten Intensivbetten noch irgendwo lagern oder verschwunden sind. Der zweite große Kritikpunkt: Der nationale Pandemieplan wurde bis heute nicht vollständig überarbeitet. Das Robert Koch-Institut hatte ihn während der Pandemie durch sogenannte Covid-19-Strategiepapiere ergänzt. In seiner Grundfassung ist er jedoch auf dem Stand von 2017.

Auf Nachfrage der F.A.S. widerspricht das Bundesgesundheitsministerium der „pauschalisierenden Aussage“ des Bundesrechnungshofs. Die Erfassung von Intensivbetten sei nur ein „Teilaspekt“ einer Pandemievorbereitung. Was den nationalen Pandemieplan anbelangt, habe man schon im Juli 2024 begonnen, ihn zu überarbeiten. Und außerdem sei die Vorbereitung auf die nächste Pandemie eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.