Russische Tiktok-Kampagne könnte Wahl beeinflusst haben

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Laut dem rumänischen Geheimdienst hat der prorussische Sieger der ersten Wahlrunde von einer illegalen Kampagne profitiert. Der Richterspruch stösst auch im liberalen Lager auf Kritik.

Die Präsidentschaftswahl in Rumänien muss wiederholt werden. Der Termin steht noch nicht fest.

Die Präsidentschaftswahl in Rumänien muss wiederholt werden. Der Termin steht noch nicht fest.

Robert Ghement / EPA

In Rumänien überschlagen sich die Ereignisse. Am Freitagnachmittag hat das Oberste Gericht des Landes die erste Runde der Präsidentschaftswahl annulliert. Der in dem südosteuropäischen EU- und Nato-Staat präzedenzlose Entscheid erfolgte nur zwei Tage vor der geplanten Stichwahl am Sonntag, die nun selbstverständlich auch nicht stattfindet. Neue Termine für die beiden Urnengänge stehen noch nicht fest.

Der Richterspruch erfolgte nach der Veröffentlichung von Geheimdienstdokumenten durch den Rat für nationale Sicherheit am Mittwoch. Laut ihnen hatte der ultranationalistische Kandidat Calin Georgescu von einer Kampagne auf der Videoplattform Tiktok profitiert, die gegen das rumänische Wahlgesetz verstiess. Der Geheimdienst legt nahe, dass Russland hinter dem Beeinflussungsversuch steht.

Die Richter haben die Begründung für ihren Entscheid noch nicht publiziert. Dass dieser mit solchen Anschuldigungen zusammenhängt, steht aber ausser Frage.

Wichtiger Nato-Staat an der Grenze zur Ukraine

Georgescu hatte am 24. November völlig überraschend die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen. Seither steht das politische Leben im Land kopf. Die Wahl des charismatischen Ultranationalisten zum neuen Präsidenten hätte weitreichende Folgen, auch über Rumänien hinaus.

Georgescu weigert sich, Putins Überfall auf die Ukraine zu verurteilen, lehnt Militärhilfen an Kiew ab und bezeichnet für den rumänischen Holocaust im Zweiten Weltkrieg Verantwortliche als Helden. Wirtschaftspolitisch setzt er auf Selbstversorgung und möchte als Präsident internationale Investoren im Land enteignen.

Rumänien ist als Schwarzmeeranrainer mit einer langen Grenze zur Ukraine von grosser strategischer Bedeutung. Wichtige Versorgungsrouten ins Kriegsgebiet verlaufen durch rumänisches Territorium. In der Nähe der Hafenstadt Constanta entsteht die grösste Nato-Basis Europas. Für Moskau wäre die Wahl eines prorussischen Präsidenten ein grosser Erfolg. Das rumänische Staatsoberhaupt ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und gibt die aussenpolitischen Leitlinien vor.

25 000 Konten auf Tiktok

Der Verdacht, Posts auf Tiktok hätten zu Georgescus Erfolg beigetragen, kam schon kurz nach dem Urnengang auf. Tatsächlich war die Präsenz des ultranationalistischen Kandidaten auf der Videoplattform zwei Wochen vor der Wahl markant angestiegen. In Umfragen hatte Georgescu bis kurz vor dem Urnengang jeweils nur wenige Prozente verbucht.

Eigentlich untersagt Tiktok bezahlte politische Werbung. Dieses Verbot sei aber «weitgehend unwirksam» gewesen, schreibt das European Digital Media Observatory (EDMO), eine Initiative gegen Desinformation, in einer Analyse. Grund dafür sei, dass die Inhalte von Tiktok nur unzureichend moderiert würden.

Der rumänische Inlandgeheimdienst identifizierte 25 000 Konten auf Tiktok, die Teil einer Kampagne zugunsten von Georgescu waren. Die Profile existierten teilweise schon lange, wurden aber erst zwei Wochen vor dem Wahltag richtig aktiv.

Hinter der Kampagne sei eine Firma gestanden, die sich sehr gut mit digitalem Marketing auskenne. Die Akteure hätten ihr Vorgehen auf der Plattform Telegram koordiniert und Tipps ausgetauscht, um Tiktoks Kontrollen zu umgehen.

Bezahlte Influencer

Unterstützung erhielt Georgescu auch von Influencern. Diese seien dafür bezahlt worden, auf Tiktok, Facebook und Instagram über den idealen Kandidaten für die Präsidentschaft zu diskutieren. Dessen Qualitäten entsprachen dem Profil von Georgescu. Dies und der gemeinsam verwendete Hashtag #echilibrusiverticalitate erhöhten die Reichweite von Georgescus Beiträgen.

Georgescu behauptet, er habe kein Geld für seine Auftritte in den sozialen Netzwerken ausgegeben. Der Geheimdienst identifizierte aber eine Person, die allein im Monat vor der ersten Wahlrunde Krypto-Zahlungen im Gesamtwert von 381 000 Dollar an Personen überwies, die an der Kampagne beteiligt waren.

Das rumänische Gesetz schreibt vor, dass Wahlwerbung als solche gekennzeichnet und die Herkunft der dafür verwendeten Mittel offengelegt wird. Beides war nicht geschehen.

Tiktok gesteht keine Fehler ein

Tiktok betreibt laut eigenen Aussagen einen grossen Aufwand, um Wahlen zu schützen. Die Videoplattform beschäftige 95 rumänischsprachige Moderatoren, sagte eine Vertreterin diese Woche vor einem Ausschuss des EU-Parlaments in Brüssel. Man sei über Monate in Kontakt mit den rumänischen Behörden gestanden.

Bereits im September hatte das Unternehmen aufgrund von externen Hinweisen ein Netzwerk von 22 falschen Accounts entfernt. Die Kampagne habe Falschinformationen und Kritik an der bestehenden rumänischen Regierung verbreitet, schreibt Tiktok.

Zwei weitere Netzwerke hat Tiktok am Freitag vor einer Woche entfernt – also erst nach dem Urnengang –, wie das Unternehmen in Brüssel bekanntgab. Eine der Kampagnen habe Georgescu propagiert, es habe aber nur 1781 Follower gehabt.

Inzwischen hat die Europäische Kommission Tiktok dazu verpflichtet, interne Unterlagen und Informationen aufzubewahren, die unter anderem das Empfehlungssystem und Manipulationsversuche im Zusammenhang mit nationalen Wahlen betreffen. Die Anordnung gilt bis zum 31. März und umfasst alle nationalen Wahlen in der EU, also auch die Bundestagswahl in Deutschland.

Verdacht fällt auf Russland

Unter den veröffentlichten Dokumenten ist auch ein Bericht des Auslandsgeheimdienstes, in dem es heisst, dass Rumänien wegen seiner strategischen Bedeutung ein Ziel für hybride Angriffe aus Russland sei. Beweise für Russlands Urheberschaft an Georgescus Kampagne legt er aber nicht vor.

Der Verdacht einer russischen Beteiligung liegt jedoch nahe. Moskau versucht in vielen europäischen Ländern, rechtspopulistische und EU-kritische Kräfte zu unterstützen, um so den eigenen Einfluss zu stärken.

Das Vorgehen in Rumänien weist zudem grosse Ähnlichkeiten mit russischen Beeinflussungsversuchen bei der jüngsten Präsidentschaftswahl in der Moldau sowie, vor Kriegsbeginn, bei Urnengängen in der Ukraine auf.

Widersprüchliches Lavieren

Dass Rumänien als wichtiger Frontstaat der Nato entschlossen gegen russische Manipulationsversuche vorgeht, kann grundsätzlich als gutes Zeichen gewertet werden. Allerdings wirft der Entscheid der Verfassungsrichter auch Fragen auf.

Noch am Donnerstagabend hatten die Richter alle Anträge zur Annullierung abgelehnt. Ein solcher Entscheid könne erst nach der Durchführung der Wahl getroffen werden, hiess es da. Am Freitag dann änderten sie ihre Meinung. Begründet wurde dies bisher nicht. Dasselbe gilt für die Verzögerung, mit der die Geheimdienstdokumente veröffentlicht wurden.

Unmittelbar nach der Wahl wiederum war eine Nachzählung angeordnet worden. Das Ergebnis wurde dann aber bestätigt, ohne dass die wichtigen Stimmen aus dem Ausland nochmals neu ausgezählt worden wären.

Kritik von beiden Seiten

Das Lavieren und die Widersprüchlichkeiten vermitteln den Eindruck, dass hinter den Kulissen um die richtige Strategie im Umgang mit dem Überraschungserfolg Georgescus gestritten wurde. Dem ohnehin stark angeschlagenen Vertrauen in die Institutionen und den Rechtsstaat in Rumänien ist das nicht zuträglich.

Sollte Georgescu von der Wiederholungswahl ausgeschlossen werden, nähme die Glaubwürdigkeit der rumänischen Demokratie noch grösseren Schaden. Wegen der laufenden Ermittlungen kann dieses Szenario nicht ausgeschlossen werden.

George Simion, der Chef der ultranationalistischen Partei AUR und ein Verbündeter Georgescus, sprach am Freitag angesichts der Annullierung von einem «Staatsstreich». Aber auch von der Gegenseite gab es Kritik.

Elena Lasconi, die liberale Herausforderin Georgescus und Hoffnungsträgerin des proeuropäischen Lagers, verurteilte die Annullierung der Wahl aufs Schärfste. Der rumänische Staat habe die Demokratie mit Füssen getreten, erklärte die Politikerin der Reformpartei USR.