So funktioniert das Herzpflaster aus dem Labor

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Stand: 29.01.2025 18:52 Uhr

Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an Herzschwäche. Bei schweren Formen könnte künftig ein im Labor gezüchtetes Herzpflaster helfen. Darauf deutet ein Machbarkeitsnachweis hin.

Die Studienergebnisse der deutschen Forscherinnen und Forscher sind vielversprechend. Kranke Organe mit künstlichem Gewebe zu reparieren, das klang bisher nach Science-Fiction – obwohl seit Jahren verschiedene Teams weltweit daran arbeiten.

Die jetzt publizierte Studie in der Fachzeitschrift Nature aber zeigt: Dieser Ansatz könnte demnächst möglicherweise tatsächlich therapeutisch eingesetzt werden. Möglich gemacht hat das Wolfram Hubertus Zimmermann. Er ist der Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie am Uniklinikum in Göttingen, und er hat das künstliche Herzmuskelgewebe, das sogenannte Herzpflaster, entwickelt.

“Unsere Patienten sind Patienten mit großen Herzmuskelschädigungen, typischerweise nach einem Herzinfarkt, und die Schädigungen betreffen in etwa ein Viertel des Herzens. Und dementsprechend bauen wir unsere Herzgewebe in einer Form, dass sie in der Lage sind, diesen Effekt auszugleichen”, sagt er.

Künstliches Gewebe aus umprogrammierten Körperzellen

Das Besondere am Herzpflaster: Es besteht aus Zellen, die im Labor gezüchtet werden. Und zwar aus speziellen Stammzellen, den sogenannten induzierten pluripotenten Zellen, kurz iPS-Zellen. Sie kommen natürlicherweise nicht im Körper vor, sondern werden durch einen gentechnischen Trick hergestellt. Dafür haben die Göttinger Forschenden eine Körperzelle im Labor zu einer iPS-Zelle umprogrammiert, die den natürlichen Stammzellen extrem ähnlich ist, so dass sie daraus Herzmuskelzellen gewinnen konnten.

In der aktuellen Nature-Studie, die europaweit einzigartig ist, hat das Team die Ergebnisse aus Tierversuchen vorgestellt, die der jetzt laufenden Studie am Menschen vorausgingen. Sie haben gezeigt, dass die gezüchteten Zellen mit dem Herzen verwachsen und es beim Schlagen unterstützen.

Außerdem konnten sie das Herz einer Patientin untersuchen, der sie ein solches Herzpflaster transplantiert hatten. Die Patientin erhielt nach einigen Monaten durch eine Transplantation ein neues Herz, so dass das reparierte Herz untersucht werden konnte. Und auch dort war eindeutig festzustellen, dass das künstliche Herzmuskelgewebe mit dem Herzen zusammengewachsen war.

Künstliches Herzmuskelgewebe für Menschen

Deshalb läuft jetzt seit zwei Jahren eine Fortsetzung dieser Studie – und zwar an den Unikliniken in Göttingen und Lübeck: eine erste klinische Studie am Menschen. Die ideale Dosis für das künstliche Herzmuskelgewebe ist bereits gefunden: Rund 800 Millionen künstliche Herzmuskelzellen sind für ein Herzpflaster nötig.

“Das Herzpflaster wird auf den Bereich des Herzens genäht, der nicht richtig pumpt”, so die Kardiologin Christina Paitazoglou vom Universitären Herzzentrum in Lübeck. “Denn dieser Bereich soll dann unterstützt und auch gestärkt werden.”

Verantwortlich für die Herzpflaster-Operationen – sowohl bei den Tierversuchen, so wie jetzt auch am Menschen – ist der Herzchirurg Stefan Ensminger. Er ist der Direktor des Universitären Herzzentrums in Lübeck und hat in den vergangenen zwei Jahren bereits 15 Menschen operiert, also regeneratives Herzmuskelgewebe transplantiert.

Wie die Herzpflaster-Operation abläuft

Aber wie genau läuft so eine Operation ab? Während Ensminger mit zwei weiteren Herzchirurgen mit der Operation beginnt, kümmert sich ein anderes Team um das künstliche Muskelgewebe. Die 800 Millionen Herzmuskelzellen, die es für das Herzpflaster braucht, sind zu insgesamt 20 Patches zusammengewachsen. Jeder Patch ist ungefähr so groß wie eine Zwei-Euro-Münze, sieht milchig weiß aus, ein bisschen glibberig, so wie angespülte Quallen am Strand.

Zehn Patches zusammengenäht ergeben ein Herzpflaster. Während ein Ärzteteam die Patches zu insgesamt zwei Herzpflastern zusammennäht, hat der Herzchirurg das Herz des Patienten freigelegt. Jetzt näht er das gezüchtete Herzmuskelgewebe direkt auf den schlagenden Herzmuskel auf. Und zwar exakt auf die Stellen, die durch einen Herzinfarkt vernarbt sind und deshalb nicht mehr pumpen können. Die Operation dauert rund drei Stunden.

Wie erfolgreich der Eingriff sein wird, lässt sich noch nicht sofort sagen. Denn das Gewebe muss anwachsen, darf nicht vom Körper abgestoßen werden und muss von den Blutgefäßen des Herzens durchzogen werden. Und das kann drei bis zwölf Monate dauern.

Erfolgreiche Operation

Der erste Patient, der 2022 bereit war, sich das künstliche Herzmuskelgewebe transplantieren zu lassen, ist Frank Teege. Sein Herz war nach mehreren Herzinfarkten schwer geschädigt und schaffte es nicht mehr, ausreichend zu pumpen. Aber da er als Raucher für eine Herztransplantation nicht infrage kam, entschied er sich für die Herzpflaster-Operation.

Und bei ihm ist das eingetreten, was er sich sehnlichst gewünscht hat: Seine Herzleistung hat sich deutlich verbessert, wie er erzählt. Denn seine Herztätigkeit habe sich “von zehn Prozent auf circa 35 Prozent hochgearbeitet”. Seither kann er wieder spazieren gehen und sein Leben so leben, wie er es mag. “Ich hatte keine Kraft mehr, jetzt habe ich sie wieder, soweit im Allgemeinen, ist alles besser geworden.”

Noch keine zugelassene Therapie

Noch ist das Herzpflaster keine zugelassene Therapie, sondern eine Proof-of-Concept-Studie. Die Zwischenergebnisse, die jetzt aus den Tierversuchen in der Studie vorgelegt wurden, sind vielversprechend. Stammzellforscher wie Frank Edenhofer von der Universität Innsbruck, der selbst an gezüchtetem Gewebe arbeitet, sprechen von einem echten Meilenstein für die regenerative Gewebemedizin.

Bis zur Zulassung als Therapie beim Menschen aber wird es noch dauern – auch wenn die vorliegenden Daten ein ernstzunehmender Hinweis sind, dass das gezüchtete Herzmuskelgewebe tatsächlich “zu einer Stabilisierung und Verbesserung” der Herzleistung führt, wie Herzchirurg Ensminger betont. Aber ob dieser Ansatz tatsächlich eine Therapie für alle von schwerer Herzschwäche Betroffenen werden wird, müssen die weiteren Phasen der klinischen Studie zeigen.