Weniger Menschen in akuter finanzieller Not

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In Deutschland sinkt die Zahl der Menschen, die mit akuten materiellen Entbehrungen im Alltag zu kämpfen haben – die zum Beispiel die Miete oder eine Stromrechnung nicht bezahlen und sich keine Urlaubsreise leisten können. Der Anteil der Haushalte, deren verfügbares Einkommen unter der statistischen Armutsgefährdungsschwelle liegt, hat sich aber dennoch zuletzt erhöht. Zu diesem Ergebnis kommen neue Jahresergebnisse der europäisch koordinierten Statistikerhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-Silc), die das Sta­tis­ti­sche Bundesamt am Mittwoch ver­öf­fent­licht hat. Insgesamt fallen weiterhin ein Fünftel der Bevölkerung oder etwa 17 Millionen Menschen unter die statistische Definition für ein Risiko von Armut oder sozialer Ausgrenzung.

Als armutsgefährdet im Sinne der Statistik gelten Menschen in Haushalten, deren Einkommen höchstens 60 Prozent des allgemeinen Mittelwerts für vergleichbare Haushalte beträgt. Ihr Anteil lag laut der Erhebung im vergangenen Jahr bei 15,5 Prozent. Das waren 1,1 Prozentpunkte oder rechnerisch eine Million Menschen mehr als im Vorjahr. Für einen Einpersonenhaushalt lag dieser Schwellenwert im Jahr 2024 bei 1378 Euro im Monat. Ein Vierpersonenhaushalt galt als armutsgefährdet, wenn er monatlich nicht mehr als 2893 Euro zur Verfügung hatte. Das mittlere Einkommen wie auch die Schwellenwerte haben sich der Erhebung zufolge im Vergleich zum Vorjahr um knapp fünf Prozent erhöht; die Zuwächse im so definierten Niedrigeinkommensbereich waren demnach etwas geringer.

Die EU-Erhebung fügt mehrere Definitionen von Armutsrisiken zusammen. Eine weitere Erhebung untersucht, welcher Anteil der Bevölkerung im Alltag mit akuten finanziellen Nöten zu kämpfen hat. Dazu werden die Haushalte gefragt, ob sie Probleme haben, Miete oder Stromrechnungen zu bezahlen, ob sie sich weniger als jeden zweiten Tag eine Fleisch- oder Fischmahlzeit leisten können, ob ihnen die Mittel fehlen, im Reparaturfall eine neue Waschmaschine zu kaufen oder wie es mit Geld für Urlaub aussieht. Wer mindestens vier von insgesamt neun solcher Einschränkungen bejaht, gilt als von „erheblicher materieller und sozialer Entbehrung“ betroffen. Dieser Personenkreis machte der neuen Erhebung zufolge sechs Prozent der Bevölkerung aus. Er ist damit im Vergleich zum Vorjahr um knapp einen Prozentpunkt oder 800.000 Personen kleiner geworden.

Ein Fünftel der Bevölkerung im Armutsrisiko

Als drittes Kriterium erfasst die Erhebung schließlich den Anteil der Haushalte, deren Mitglieder im arbeitsfähigen Alter überwiegend erwerbslos sind. Deren Anteil hat sich kaum verändert, die aktuelle Erhebung weist mit 9,8 Prozent der Bevölkerung einen geringfügig niedrigeren Wert aus als im Vorjahr. Während die Ergebnisse die ersten beiden Armutsrisikokriterien nicht danach unterscheiden, inwieweit betroffene Haushalte von Löhnen oder Sozialleistungen leben, fließt mit diesem Kriterium ergänzend ein, inwieweit Menschen aus eigener Kraft zu ihrem Lebensunterhalt beitragen.

Auf insgesamt 20,9 Prozent der Bevölkerung oder rechnerisch 17,6 Millionen Personen traf der aktuellen Aufstellung zufolge mindestens eines der drei Armutsrisikokriterien zu. Im ver­gangenen Jahr waren es 21,3 Prozent oder 17,9 Millionen gewesen. In der aktuellen Runde wurden dafür im Rahmen des amtlichen Mikrozensus 2024 gut 43.000 Haushalte mit 75.000 Personen zu ihren Einkommen und Lebensbedingungen befragt.

Wie sich die Zahlen in Zukunft entwickeln werden, ist stets schwer vorherzusehen, da sie von teilweise gegenläufigen Faktoren abhängen. Bremst beispielsweise eine Wirt­schaftskrise die Einkommensentwicklung der Durchschnittsbevölkerung und damit auch den Anstieg der 60-Prozent-Schwelle, kann das zur Folge haben, dass weniger Menschen als ar­muts­gefährdet gelten. Steigt mit der Krise die Arbeitslosigkeit, gibt es aber mehr Haushalte mit geringer Erwerbsbeteiligung.