Wie gefährlich ist der Asteroid 2024 YR4 für die Erde?

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Erdnahe Objekte, oder NEOs, wie der englische Ausdruck dafür abgekürzt wird, gibt es viele. Stand 30. Dezember 2012 waren den Astronomen 37.378 solcher kosmischer Brocken bekannt. Einer davon war erst drei Tage zuvor mittels eines Teleskops in Chile entdeckt worden, im Rahmen eines Frühwarnsystems, dessen Name „Asteroid Terrestrial-Impact Last Alert System“ bedrohlich klingt. Doch die meisten NEOs stellen keine absehbare Gefahr für die Erde dar, und auch „2024 YR4“, wie er fortan genannt wurde, schien zunächst nichts Besonderes zu sein. Zwei Tage vor seiner Entdeckung hatte er seinen erdnächsten Punkt erreicht, 828.800 Kilometer von der Erde entfernt, also mehr als das Fünffache der Distanz Erde – Mond.

Doch dann verfolgte man seine Bahn weiter, und am Montag, dem 27. Januar 2025, hatten die Astronomen einen Satz von Positionsdaten des Objekts beisammen, demzufolge die Wahrscheinlichkeit einer Kollision mit der Erde den Wert von einem Prozent überschreiten würde. Das brachte den Brocken auf der zehnstufigen sogenannten Torino-Skala, mit dem die Astronomen die potentielle Gefährlichkeit von NEOs nach aktuell verfügbarem Wissen beurteilen, sofort auf die Stufe 3.

Kein Weltuntergang

Objekte dieser momentanen Gefahrenklasse verdienen laut offizieller Sprechweise der Torino-Skala nicht mehr nur die „Aufmerksamkeit der Astronomen“, wie noch die der Stufe 2, sondern „die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Vertreter öffentlicher Behörden, wenn die Begegnung weniger als zehn Jahre in der Zukunft liegt“. Das ist bei 2024 YR4 der Fall. Laut aktueller Datenlage wird er mit einer Wahrscheinlichkeit von 1,4 Prozent oder 1:76 in knapp acht Jahren auf der Erde aufprallen: am 22. Dezember 2032.

Den Weltuntergang würde das nicht auslösen. Das Objekt hat einen Durchmesser zwischen 40 und 90 Metern. Zum Vergleich: Der Asteroid, der vor 66 Millionen Jahren die Kreidezeit samt Dinosauriern beendete, war zwischen 10 und 15 Kilometern groß. Bei Kalibern unter einem Kilometer ist auch mit kontinentweiten Verwüstungen nicht mehr zu rechnen. Nur Objekte von mehreren Hundert Metern würden noch überregionale Desaster nach sich ziehen, die etwa kleinere Nationen von der Landkarten wischen könnten. Allerdings: 2024 YR4 würde immer noch mit einer solchen Wucht einschlagen, dass das Ereignis der Detonation von acht Megatonnen des Sprengstoffes TNT gleichkäme und damit die Wirkung der meisten modernen thermonuklearen Gefechtsköpfe überträfe.

Nur Apophis erschien noch bedrohlicher

Diese Aussicht ist zu unangenehm, als dass einen die momentan 98,6 Prozent Wahrscheinlichkeit, mit der 2024 YR4 die Erde verfehlen wird, ganz beruhigen könnte. Immerhin, seit die Torino-Skala 1999 auf einer Konferenz in der italienischen Stadt Turin vorgestellt wurde, ist dies erst das dritte Mal, dass ein NEO eine höhere Stufe zugewiesen bekam als 1 – die niedrigste Designation, die mehrfach im Jahr an Objekte vergeben und ihnen nach besseren Bahndaten wieder entzogen wird.

Der andere prominente Fall war der Asteroid 99942 Apophis, der sich im Dezember 2004 für vier Tage mit einem Torino-Wert von 4 schmücken durfte. Diese hohe Zahl war vor allem den in die Berechnung der Torino-Klassifikation einfließenden Abmessungen dieses Asteroiden von rund 400 Metern zuzuschreiben. Weitere Beobachtungen bestimmten seine Bahn dann allerdings immer genauer. Eine Kollision von Apophis mit der Erde ist heute für die kommenden hundert Jahre auszuschließen – und weiter lassen sich Asteroidenbahnen nicht vorausberechnen. Entsprechend steht Apophis heute auf der Torino-Stufe null.

„Wir haben keine Krise“

Es ist sehr wahrscheinlich, dass es 2024 XR4 auch so ergeht und der 22. Dezember 2032 ein ganz normaler Mittwoch in der Vorweihnachtszeit wird. Allerdings, im Moment bewegt sich der Brocken von der Erde weg und wird Mitte Februar mit den bisher dafür eingesetzten Teleskopen nicht mehr zu verfolgen sein. Erst 2028 ist der Asteroid wieder in Erdnähe.

Richard Moissl, der Leiter des Planetary Defence Office der europäischen Raumfahrtorganisation ESA in Frascati bei Rom, hofft trotzdem, nicht so lange warten zu müssen, um mehr über die Bahn des Objekts und damit über die tatsächliche Gefahr für die Erde herauszufinden. „Wir werden dann Zugriff auf Teleskope der Vier-Meter-Klasse haben“, sagt er. Danach gebe es auch Möglichkeiten, bis Anfang April 2025 mit noch größeren Instrumenten zu beobachten, und schließlich sogar weltraumbasiert, zum Beispiel mit dem James Webb Space Telescope.

Damit könnte bereits in diesem Jahr völlige Entwarnung gegeben und 2024 XR4 auf einen Torino-Wert von null zurückgestuft werden. „Das ist erhofft, aber nicht zwingend“, sagt Moissl, der die aktuelle Situation keinesfalls überbewertet sehen möchte. „Wir haben keine Krise, es ist nicht gefährlich“, sagt er. „Wir haben nur noch nicht die Messgenauigkeit, um unsere Vorhersagen akkurat genug zu machen.“

Wo kommt er im Fall der Fälle runter?

Bis dahin aber bleibt eine kleine Wahrscheinlichkeit, dass es 2032 doch zu einem Aufprall kommt. Kann man für diesen Fall wenigstens Angaben darüber machen, wo auf der Erde mit dem Einschlag zu rechnen wäre?

Tatsächlich ist die Bahnebene des Objektes schon jetzt gut bekannt, und daraus ergibt sich für die Erde ein „Risiko-Korridor“, ein schmaler Streifen auf der Erdoberfläche, der gegebenenfalls gefährdet wäre. Richard Moissl kennt ihn, doch die ESA habe kein Mandat, ihn öffentlich zu kommunizieren. Man stehe aber in Verbindung mit den Zivilschutzbehörden der Länder, die es im Fall der Fälle betreffen könnte.

Anders das International Asteroid Warning Network (IAWN), eine von der NASA koordinierte Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen. Auf der Website der IAWN wurde am 29. Januar eine Bekanntmachung zum Fall 2024 YR4 veröffentlicht, die auch den Risiko-Korridor umreißt: Er reicht vom östlichen Pazifik und dem Norden Südamerikas über den Zentralatlantik, quer durch Afrika, über das Arabische Meer bis nach Südasien. Entlang dieses Streifens liegen auch dicht besiedelte Regionen, insbesondere entlang der Südküste Westafrikas und auf dem indischen Subkontinent. Genauer lässt sich das im Fall der Fälle gefährdete Gebiet aber bis auf Weiteres nicht eingrenzen.

Flurschaden an der Steinigen Tunguska: Angerichtet von einem in der Luft zerborstenen Asteroiden im Jahre 1908.
Flurschaden an der Steinigen Tunguska: Angerichtet von einem in der Luft zerborstenen Asteroiden im Jahre 1908.dpa

Auch die genaue Energiemenge, die bei einem Einschlag frei würde, ist unsicher, vor allem weil die Masse des Objekts dazu nicht genau genug bekannt ist. „Es ist zwischen 40 und 90 Meter groß – hundert Meter können wir schon so gut wie ausschließen“, sagt Moissl. Damit fällt 2024 YR4 in die Gewichtsklasse der Verursacher des Tunguska-Ereignisses 1908 in Sibirien, als auf mehr als zweitausend Quadratkilometern die Bäume umgelegt wurden – und des Barringer-Kraters in Arizona.

Da die Energie eines Einschlagereignisses mit der dritten Potenz der Abmessungen des Impaktors ansteigt, wäre die Zerstörungskraft beim Durchmesser von 80 Metern achtmal so hoch wie bei einem von 40 Metern. Daneben spielen der Winkel eine Rolle, unter dem der Brocken auf die Erdatmosphäre trifft, sowie das Material, aus dem er besteht. „Wir haben mittlerweile recht verlässliche Daten darüber, dass es sich um einen steinigen Asteroiden handelt“, sagt Moissl. Und seine Rotationsperiode von zwanzig Minuten deutete auf einen eher kompakten Körper hin, nicht auf einen nur von seiner Gravitation zusammengehaltenen Schutthaufen.

Ob sich die Astronomen und die Zivilschützer zwischen Kolumbien und Bangladesch wirklich genauer mit diesem Stein werden befassen müssen, wird sich spätestens 2028 herausstellen, wenn 2024 YR4 auf seiner lang gestreckten, bis fast in die Nähe des Jupiter führenden Ellipsenbahn wieder in Reichweite der irdischen Teleskope kommt. „Sofort im Juli 2028, wenn das Objekt wieder sichtbar ist, werden wir mit den Messungen beginnen“, sagt Moissl. „Und in ein oder zwei Tagen wird die Wahrscheinlichkeit auf null oder eins gehen.“

„Aber ich bin nicht allzu beunruhigt“, sagt der Wissenschaftler, will damit aber gerade nicht irgendeinen Grad wirklicher Beunruhigung zum Ausdruck bringen. Vielmehr würde er eine Wette darauf eingehen, dass die Wahrscheinlichkeit auf null sinkt. Spannend ist die Sache für ihn und seine Kollegen trotzdem. Der Fall 2024 YR4 ist für die ESA, das IAWN oder die NASA eine gute Gelegenheit, die Maßnahmen und Abläufe zu testen und zu verbessern, um Risiken durch NEOs aufzuspüren, zu quantifizieren und zu kommunizieren.

Denn tatsächlich geht die Gefahr aus dem All nicht von Brocken aus wie dem, der einst die evolutionäre Karriere der Dinosaurier beendete. Sondern von den weitaus zahlreicheren Objekten, die zwar weitaus kleiner sind, aber für einen dicht besiedelten und von empfindlicher Infrastruktur überzogenen Planeten im Fall der Fälle doch zu groß.