Altbundespräsident Horst Köhler ist tot

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Aus heutiger Sicht wirkt die Bemerkung Horst Köhlers aus dem Februar 2010 weitsichtig. Sie hätte Wirkmacht entfalten können und hätte ein früher Baustein in der Diskussion über die viel später von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende werden können. Sie hätte zeigen können, dass auch ohne die aggressive Rhetorik eines Donald Trump in Sachen Grönland eine Debatte über den Zusammenhang zwischen den Interessen einer Handelsnation und militärischer Absicherung angebracht ist. Sie hätte dafür sorgen können, dass Horst Köhler als politischer Präsident in Erinnerung bleibt.

Stattdessen führte sie geradewegs zum jähen Ende seiner zweiten Amtszeit.

Köhler war damals auf dem Rückweg von China. Unterwegs stattete er den deutschen Soldaten in Afghanistan einen Besuch ab. Anschließend gab er dem Deutschlandfunk ein Interview, in dem er sagte, ein Land mit so starkem Außenhandel wie Deutschland müsse seine Handelswege notfalls militärisch schützen.

Heute, wo es der Exportnation Deutschland wirtschaftlich schlecht geht, wo Russland deutlich aggressiver ist als damals, wo in Europa, viel mehr aber noch in den Vereinigten Staaten ständig über die ökonomische Herausforderung durch China gesprochen wird, wäre es ein Leichtes zu sagen: Der Mann hatte recht. Damals musste er sich einige Kritik anhören. Die führte dazu, dass Köhler wenig später bei Bundeskanzlerin Angela Merkel anrief und ihr mitteilte, dass er kurz nach dem Beginn seiner zweiten Amtszeit im Schloss Bellevue die Brocken hinwerfe.

Das siebte von acht Kindern einer bessarabischen Bauernfamilie

Horst Köhler wurde 1943 im polnischen Skierbieszów, das damals als Teil des deutschen Generalgouvernements Heidenstein hieß, geboren. Er war das siebte von acht Kindern einer bessarabischen Bauernfamilie. Die Familie kam nach dem Zweiten Weltkrieg nach Ludwigsburg, Köhler sollte später einmal sagen, dass er sich nicht als Vertriebener fühle. Nach dem Abitur und dem Wehrdienst studierte er Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre, machte einen Abschluss als Diplomvolkswirt.

Köhler war ein politisch denkender Kopf, der seinen Schwerpunkt auf wirtschaftliche Themen setzte. Ein Politiker im engeren Sinne war er nicht. 1976 ging er in die Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums in Bonn. Fünf Jahre später trat er der CDU bei. Nach einem Umweg über die Staatskanzlei von Schleswig-Holstein ging er ins Bundesfinanzministerium und stieg dort auf bis zum Staatssekretär. In den Verhandlungen über den Maastrichtvertrag spielte er eine wichtige Rolle, auch über die Wiedervereinigung Deutschlands verhandelte er mit.

Horst Köhler (1943 bis 2025)
Horst Köhler (1943 bis 2025)dpa

Mit der Unterstützung zweier Sozialdemokraten stieg der Christdemokrat international auf. Auf Empfehlung von Altkanzler Helmut Schmidt schlug der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder Köhler im Jahr 2000 als neuen Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor. Schmidt hatte ihm „öffentliches Ansehen in der Welt“ attestiert. Schon früh interessierte und engagierte Köhler sich für den afrikanischen Kontinent und machte die Armutsbekämpfung zu seinem großen Ziel.

Merkel macht den IWF-Chef zum Kandidaten

Dieser Horst Köhler geriet in den Blick seiner Parteifreundin Angela Merkel. Nachdem der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber bei der Bundestagswahl 2002 als Kanzlerkandidat gescheitert war, nahm Merkel endgültig das höchste Regierungsamt ins Visier. Auf dem Leipziger CDU-Parteitag wurde 2003 unter ihrer Führung ein Programm mit weitgehenden wirtschaftsliberalen Reformen beschlossen. Dazu schien ihr ein Mann wie der IWF-Chef Horst Köhler gut als nächster Bundespräsident zu passen.

Ihn zusammen mit dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, ebenfalls in der Opposition, als aussichtsreichen Bewerber für das Schloss Bellevue ausgesucht und im Jahr 2004 durchgesetzt zu haben, gehört zumindest machtstrategisch zu den wenigen Glanzstücken, die Merkel im Umgang mit dem Amt des Bundespräsidenten vorzuweisen hat. Dass sie dabei Wolfgang Schäuble, der gerne Bundespräsidenten geworden wäre, überging, nahm Merkel mindestens in Kauf.

Doch wurde schnell klar, dass Horst Köhler zwar politisch dachte, aber die Regeln des politischen Machtspiels nicht so verinnerlicht hatte, wie das erforderlich gewesen wäre. Schon kurz nach seiner Nominierung äußerte er, dass in seiner Amtszeit „hoffentlich jemand von der CDU – Frau Merkel – Bundeskanzlerin“ werde. Mit dem überparteilichen Wirken eines Bundespräsidenten war das nicht zu vereinbaren.

Schröders Vertrauensfrage, Köhlers Erlaubnis, Merkels Sieg

Kaum war Köhler gewählt, musste er darüber entscheiden, ob er dem Wunsch Kanzler Schröders folgend den Bundestag auflöst und den Weg zu einer vorgezogenen Wahl ebnet. Schröder hatte – mit Absicht – die Vertrauensfrage verloren, obwohl die Fraktionen von SPD und Grünen hinter ihm standen. Köhler stimmte einer vorgezogenen Wahl zu, und die Frau, der er nicht nur sein Amt verdankte, sondern die er sich offen als Kanzlerin gewünscht hatte, ging siegreich aus der Wahl hervor.

Angela Merkel hatte mit Horst Köhler einem Mann mit wirtschafts- und finanzpolitischen Kenntnissen ins Schloss Bellevue verholfen. Immer wieder äußerte sich der Bundespräsident zu Themen aus diesen Politikfeldern. So warb er im März 2005, noch vor der Bundestagswahl, dafür, dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit oberste Priorität einzuräumen. Als eines der wesentlichen Probleme auf diesem Weg nannte er die hohen Lohnnebenkosten. Die durch Schröders Arbeitsmarktreformen ohnehin gereizte SPD-Linke und die Gewerkschaften kritisierten ihn dafür.

Das lag noch ganz auf der wirtschaftsliberalen Linie, mit dem Merkel die Bundestagswahl gewinnen wollte. Als ihr dieses zwar knapp gelang, sie aber erkannte, dass man mit einem solchen Kurs beim deutschen Wähler nur schwer Mehrheiten erzielen kann, wechselte die Kanzlerin die Richtung. Im Dezember 2005 hielt Köhler dann eine Rede, in der er eine stärkere Beteiligung von Arbeitnehmern an Unternehmensgewinnen befürwortete. In der Familienpolitik argumentierte er ähnlich wie Merkel. Während deren Familienministerin Ursula von der Leyen mit Rückendeckung der Kanzlerin für den Ausbau der Kinderbetreuung kämpfte, damit Frauen leichter berufstätig sein könnten, sprach er sich für die Anerkennung neuer Rollenbilder aus und für die bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben.

Am frühen Samstagmorgen ist Horst Köhler im Alter von 81 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit gestorben, wie das Bundespräsidialamt in Berlin mitteilte.